Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.
gethanen Reise. geschlagen hat. Die Sache wäre einer nähern Be-leuchtung um so mehr werth, da die Entdeckung der wahren Ursachen, die den Verfall einzeler Städte be- wirkt haben, ohne Zweifel ein merkliches Licht über den Verfall und die Aufnahme ganzer Länder verbreiten würde. Man giebt sich zwar seit einigen Jahren fast in allen großen Staaten sehr viel Mühe, die wahren Quellen des Nationalwohlstandes zu erforschen, und aus diesen Untersuchungen Grundsätze und Maximen einer guten Staatsverwaltung herzuleiten. Dennoch hat man es meines Erachtens eben noch nicht sehr weit darin gebracht. Die vornehmsten Schriftsteller in diesem wichtigen Fach widersprechen einander nicht sel- ten, sogar über die ersten Grundsätze der Staats- wirthschaft: ein offenbarer Beweis, daß diese Wis- senschaft in ihren ersten Gründen noch sehr ungewiß ist. Man wird sich aber darüber gar nicht wundern, wenn man bedenkt, wie sehr schwer es ist, genau zu bestimmen, was für Folgen eine allgemein getroffene Landesanstalt auch in der Folge der Zeit haben werde. Gewiß sind alle mathematische Aufgaben, deren Auf- lösung dem großen Newton den Ruhm des ersten Genies der Welt erworben hat, Kleinigkeiten da- gegen. *) Ge- *) Die Erwägung der unüberwindlichen Schwierigkei- ten, die sich der Festsetzung einer wahren Theorie der Staatswirthschaft entgegenstellen, bringt mich alle- mal auf den Gedanken, ob es nicht besser wäre, daß man die ganze Untersuchung aufgäbe, und das große Problem durch einen Umweg auflösete. Jch stelle mir wenigstens vor, daß ein Land, dessen Einwohner überhaupt verständige, arbeitsame, sparsame und da- bey redliche Menschen wären, ohne viele Polizey- und Fi- A 4
gethanen Reiſe. geſchlagen hat. Die Sache waͤre einer naͤhern Be-leuchtung um ſo mehr werth, da die Entdeckung der wahren Urſachen, die den Verfall einzeler Staͤdte be- wirkt haben, ohne Zweifel ein merkliches Licht uͤber den Verfall und die Aufnahme ganzer Laͤnder verbreiten wuͤrde. Man giebt ſich zwar ſeit einigen Jahren faſt in allen großen Staaten ſehr viel Muͤhe, die wahren Quellen des Nationalwohlſtandes zu erforſchen, und aus dieſen Unterſuchungen Grundſaͤtze und Maximen einer guten Staatsverwaltung herzuleiten. Dennoch hat man es meines Erachtens eben noch nicht ſehr weit darin gebracht. Die vornehmſten Schriftſteller in dieſem wichtigen Fach widerſprechen einander nicht ſel- ten, ſogar uͤber die erſten Grundſaͤtze der Staats- wirthſchaft: ein offenbarer Beweis, daß dieſe Wiſ- ſenſchaft in ihren erſten Gruͤnden noch ſehr ungewiß iſt. Man wird ſich aber daruͤber gar nicht wundern, wenn man bedenkt, wie ſehr ſchwer es iſt, genau zu beſtimmen, was fuͤr Folgen eine allgemein getroffene Landesanſtalt auch in der Folge der Zeit haben werde. Gewiß ſind alle mathematiſche Aufgaben, deren Auf- loͤſung dem großen Newton den Ruhm des erſten Genies der Welt erworben hat, Kleinigkeiten da- gegen. *) Ge- *) Die Erwaͤgung der unuͤberwindlichen Schwierigkei- ten, die ſich der Feſtſetzung einer wahren Theorie der Staatswirthſchaft entgegenſtellen, bringt mich alle- mal auf den Gedanken, ob es nicht beſſer waͤre, daß man die ganze Unterſuchung aufgaͤbe, und das große Problem durch einen Umweg aufloͤſete. Jch ſtelle mir wenigſtens vor, daß ein Land, deſſen Einwohner uͤberhaupt verſtaͤndige, arbeitſame, ſparſame und da- bey redliche Menſchen waͤren, ohne viele Polizey- und Fi- A 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="diaryEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0025" n="7"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">gethanen Reiſe.</hi></fw><lb/> geſchlagen hat. Die Sache waͤre einer naͤhern Be-<lb/> leuchtung um ſo mehr werth, da die Entdeckung der<lb/> wahren Urſachen, die den Verfall einzeler Staͤdte be-<lb/> wirkt haben, ohne Zweifel ein merkliches Licht uͤber<lb/> den Verfall und die Aufnahme ganzer Laͤnder verbreiten<lb/> wuͤrde. Man giebt ſich zwar ſeit einigen Jahren faſt in<lb/> allen großen Staaten ſehr viel Muͤhe, die wahren<lb/> Quellen des Nationalwohlſtandes zu erforſchen, und<lb/> aus dieſen Unterſuchungen Grundſaͤtze und Maximen<lb/> einer guten Staatsverwaltung herzuleiten. Dennoch<lb/> hat man es meines Erachtens eben noch nicht ſehr weit<lb/> darin gebracht. Die vornehmſten Schriftſteller in<lb/> dieſem wichtigen Fach widerſprechen einander nicht ſel-<lb/> ten, ſogar uͤber die erſten Grundſaͤtze der Staats-<lb/> wirthſchaft: ein offenbarer Beweis, daß dieſe Wiſ-<lb/> ſenſchaft in ihren erſten Gruͤnden noch ſehr ungewiß<lb/> iſt. Man wird ſich aber daruͤber gar nicht wundern,<lb/> wenn man bedenkt, wie ſehr ſchwer es iſt, genau zu<lb/> beſtimmen, was fuͤr Folgen eine allgemein getroffene<lb/> Landesanſtalt auch in der Folge der Zeit haben werde.<lb/> Gewiß ſind alle mathematiſche Aufgaben, deren Auf-<lb/> loͤſung dem großen <hi rendition="#fr">Newton</hi> den Ruhm des erſten<lb/> Genies der Welt erworben hat, Kleinigkeiten da-<lb/> gegen.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">A 4</fw> <fw place="bottom" type="catch">Ge-</fw><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_1_1" next="#seg2pn_1_2" place="foot" n="*)">Die Erwaͤgung der unuͤberwindlichen Schwierigkei-<lb/> ten, die ſich der Feſtſetzung einer wahren Theorie der<lb/> Staatswirthſchaft entgegenſtellen, bringt mich alle-<lb/> mal auf den Gedanken, ob es nicht beſſer waͤre, daß<lb/> man die ganze Unterſuchung aufgaͤbe, und das große<lb/> Problem durch einen Umweg aufloͤſete. Jch ſtelle mir<lb/> wenigſtens vor, daß ein Land, deſſen Einwohner<lb/> uͤberhaupt verſtaͤndige, arbeitſame, ſparſame und da-<lb/> bey redliche Menſchen waͤren, ohne viele Polizey- und<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Fi-</fw></note> </p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0025]
gethanen Reiſe.
geſchlagen hat. Die Sache waͤre einer naͤhern Be-
leuchtung um ſo mehr werth, da die Entdeckung der
wahren Urſachen, die den Verfall einzeler Staͤdte be-
wirkt haben, ohne Zweifel ein merkliches Licht uͤber
den Verfall und die Aufnahme ganzer Laͤnder verbreiten
wuͤrde. Man giebt ſich zwar ſeit einigen Jahren faſt in
allen großen Staaten ſehr viel Muͤhe, die wahren
Quellen des Nationalwohlſtandes zu erforſchen, und
aus dieſen Unterſuchungen Grundſaͤtze und Maximen
einer guten Staatsverwaltung herzuleiten. Dennoch
hat man es meines Erachtens eben noch nicht ſehr weit
darin gebracht. Die vornehmſten Schriftſteller in
dieſem wichtigen Fach widerſprechen einander nicht ſel-
ten, ſogar uͤber die erſten Grundſaͤtze der Staats-
wirthſchaft: ein offenbarer Beweis, daß dieſe Wiſ-
ſenſchaft in ihren erſten Gruͤnden noch ſehr ungewiß
iſt. Man wird ſich aber daruͤber gar nicht wundern,
wenn man bedenkt, wie ſehr ſchwer es iſt, genau zu
beſtimmen, was fuͤr Folgen eine allgemein getroffene
Landesanſtalt auch in der Folge der Zeit haben werde.
Gewiß ſind alle mathematiſche Aufgaben, deren Auf-
loͤſung dem großen Newton den Ruhm des erſten
Genies der Welt erworben hat, Kleinigkeiten da-
gegen.
Ge-
*)
*) Die Erwaͤgung der unuͤberwindlichen Schwierigkei-
ten, die ſich der Feſtſetzung einer wahren Theorie der
Staatswirthſchaft entgegenſtellen, bringt mich alle-
mal auf den Gedanken, ob es nicht beſſer waͤre, daß
man die ganze Unterſuchung aufgaͤbe, und das große
Problem durch einen Umweg aufloͤſete. Jch ſtelle mir
wenigſtens vor, daß ein Land, deſſen Einwohner
uͤberhaupt verſtaͤndige, arbeitſame, ſparſame und da-
bey redliche Menſchen waͤren, ohne viele Polizey- und
Fi-
A 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/25 |
| Zitationshilfe: | Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/25>, abgerufen am 21.11.2024. |
