Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagebuch von einer nach Nizza
Fremder ist sicher, daß in einer solchen Tischgesell-
schaft keine zu neugierige oder unbescheidene Frage an
ihn geschieht.

Die einzigen Menschen, über die ich mich auf
dieser Reise zu beklagen fand, sind die Barbierer, die
alle zugleich Friseurs sind. Sie gehen mit Bart und
Haaren gar unbarmherzig um, reiben, stoßen und
reissen so brutal, als wenn sie einen unempfindlichen
Ochsenkopf unter den Händen hätten. Jch gerieth
allemal in Versuchung, diesen groben Kerln unter den
Händen zu entspringen.

Des fürtrefflichen Clima in der untern Provence
ungeachtet, schien sie mir doch, im Ganzen genom-
men, kein angenehmes Land. Die meisten Provin-
zen von Deutschland übertreffen sie meines Erachtens
an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit sehr weit. Nur
die kalten und rauhen Winter! dafür aber sind denn
auch die Sommer in der Provence desto beschwerlicher.
Den unbeschreiblichen Reichthum an Oel ausgenom-
men, ist die Provence ein armes Land; und jener
Franzose, der sie eine Gueuse parfumee nannte,
scheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.



Beschrei-

Tagebuch von einer nach Nizza
Fremder iſt ſicher, daß in einer ſolchen Tiſchgeſell-
ſchaft keine zu neugierige oder unbeſcheidene Frage an
ihn geſchieht.

Die einzigen Menſchen, uͤber die ich mich auf
dieſer Reiſe zu beklagen fand, ſind die Barbierer, die
alle zugleich Friſeurs ſind. Sie gehen mit Bart und
Haaren gar unbarmherzig um, reiben, ſtoßen und
reiſſen ſo brutal, als wenn ſie einen unempfindlichen
Ochſenkopf unter den Haͤnden haͤtten. Jch gerieth
allemal in Verſuchung, dieſen groben Kerln unter den
Haͤnden zu entſpringen.

Des fuͤrtrefflichen Clima in der untern Provence
ungeachtet, ſchien ſie mir doch, im Ganzen genom-
men, kein angenehmes Land. Die meiſten Provin-
zen von Deutſchland uͤbertreffen ſie meines Erachtens
an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit ſehr weit. Nur
die kalten und rauhen Winter! dafuͤr aber ſind denn
auch die Sommer in der Provence deſto beſchwerlicher.
Den unbeſchreiblichen Reichthum an Oel ausgenom-
men, iſt die Provence ein armes Land; und jener
Franzoſe, der ſie eine Gueuſe parfumée nannte,
ſcheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.



Beſchrei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0196" n="176"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von einer nach Nizza</hi></fw><lb/>
Fremder i&#x017F;t &#x017F;icher, daß in einer &#x017F;olchen Ti&#x017F;chge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft keine zu neugierige oder unbe&#x017F;cheidene Frage an<lb/>
ihn ge&#x017F;chieht.</p><lb/>
          <p>Die einzigen Men&#x017F;chen, u&#x0364;ber die ich mich auf<lb/>
die&#x017F;er Rei&#x017F;e zu beklagen fand, &#x017F;ind die Barbierer, die<lb/>
alle zugleich Fri&#x017F;eurs &#x017F;ind. Sie gehen mit Bart und<lb/>
Haaren gar unbarmherzig um, reiben, &#x017F;toßen und<lb/>
rei&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o brutal, als wenn &#x017F;ie einen unempfindlichen<lb/>
Och&#x017F;enkopf unter den Ha&#x0364;nden ha&#x0364;tten. Jch gerieth<lb/>
allemal in Ver&#x017F;uchung, die&#x017F;en groben Kerln unter den<lb/>
Ha&#x0364;nden zu ent&#x017F;pringen.</p><lb/>
          <p>Des fu&#x0364;rtrefflichen Clima in der untern Provence<lb/>
ungeachtet, &#x017F;chien &#x017F;ie mir doch, im Ganzen genom-<lb/>
men, kein angenehmes Land. Die mei&#x017F;ten Provin-<lb/>
zen von Deut&#x017F;chland u&#x0364;bertreffen &#x017F;ie meines Erachtens<lb/>
an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit &#x017F;ehr weit. Nur<lb/>
die kalten und rauhen Winter! dafu&#x0364;r aber &#x017F;ind denn<lb/>
auch die Sommer in der Provence de&#x017F;to be&#x017F;chwerlicher.<lb/>
Den unbe&#x017F;chreiblichen Reichthum an Oel ausgenom-<lb/>
men, i&#x017F;t die Provence ein armes Land; und jener<lb/>
Franzo&#x017F;e, der &#x017F;ie eine <hi rendition="#aq">Gueu&#x017F;e parfumée</hi> nannte,<lb/>
&#x017F;cheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Be&#x017F;chrei-</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0196] Tagebuch von einer nach Nizza Fremder iſt ſicher, daß in einer ſolchen Tiſchgeſell- ſchaft keine zu neugierige oder unbeſcheidene Frage an ihn geſchieht. Die einzigen Menſchen, uͤber die ich mich auf dieſer Reiſe zu beklagen fand, ſind die Barbierer, die alle zugleich Friſeurs ſind. Sie gehen mit Bart und Haaren gar unbarmherzig um, reiben, ſtoßen und reiſſen ſo brutal, als wenn ſie einen unempfindlichen Ochſenkopf unter den Haͤnden haͤtten. Jch gerieth allemal in Verſuchung, dieſen groben Kerln unter den Haͤnden zu entſpringen. Des fuͤrtrefflichen Clima in der untern Provence ungeachtet, ſchien ſie mir doch, im Ganzen genom- men, kein angenehmes Land. Die meiſten Provin- zen von Deutſchland uͤbertreffen ſie meines Erachtens an Fruchtbarkeit und Annehmlichkeit ſehr weit. Nur die kalten und rauhen Winter! dafuͤr aber ſind denn auch die Sommer in der Provence deſto beſchwerlicher. Den unbeſchreiblichen Reichthum an Oel ausgenom- men, iſt die Provence ein armes Land; und jener Franzoſe, der ſie eine Gueuſe parfumée nannte, ſcheint eben nicht ganz unrecht geurtheilt zu haben. Beſchrei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/196
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/196>, abgerufen am 23.11.2024.