Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber ein schlechter Guß," versuchte Miß zu tadeln.

"Ah bah! er wird schon durchkommen," gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: "Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?"

"Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt," fügte Miß hinzu.

"Die kennt sich aus, die," brummte Stella. "Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden."

"Aber auch nicht im Sacre-Coeur," entgegnete Miß.

"Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich."

"O nein!" warf Miß mit Schärfe dazwischen.

"Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut."

"Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden," betonte Mira.

"Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von

„Aber ein schlechter Guß,“ versuchte Miß zu tadeln.

„Ah bah! er wird schon durchkommen,“ gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: „Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?“

„Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt,“ fügte Miß hinzu.

„Die kennt sich aus, die,“ brummte Stella. „Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden.“

„Aber auch nicht im Sacré-Coeur,“ entgegnete Miß.

„Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich.“

„O nein!“ warf Miß mit Schärfe dazwischen.

„Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut.“

„Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden,“ betonte Mira.

„Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0040" n="39"/>
        <p>&#x201E;Aber ein schlechter Guß,&#x201C; versuchte Miß zu tadeln.</p>
        <p>&#x201E;Ah bah! er wird schon durchkommen,&#x201C; gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: &#x201E;Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt,&#x201C; fügte Miß hinzu.</p>
        <p>&#x201E;Die kennt sich aus, die,&#x201C; brummte Stella. &#x201E;Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Aber auch nicht im <hi rendition="#aq">Sacré-Coeur,</hi>&#x201C; entgegnete Miß.</p>
        <p>&#x201E;Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;O nein!&#x201C; warf Miß mit Schärfe dazwischen.</p>
        <p>&#x201E;Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden,&#x201C; betonte Mira.</p>
        <p>&#x201E;Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0040] „Aber ein schlechter Guß,“ versuchte Miß zu tadeln. „Ah bah! er wird schon durchkommen,“ gab Stella mit stolzem Lächeln zurück und schüttelte die offenen Haare, die ihr wie ein rotblonder Schleier über den Rücken fielen. Dann fuhr sie fort: „Marie hat mir gesagt, daß Fred hier sei. Er ist euch also ausgekniffen?“ „Wie Ihre Freundin Alice sich so elegant ausdrückt,“ fügte Miß hinzu. „Die kennt sich aus, die,“ brummte Stella. „Die ist nicht in einem solchen Provinznest erzogen worden.“ „Aber auch nicht im Sacré-Coeur,“ entgegnete Miß. „Weil ihr Vater, der Präfekt, ein freidenkender Mann, deswegen. Das hindert sie nicht, viel gelehrter zu sein, als alle hiesigen Gänse und gar nicht zimperlich.“ „O nein!“ warf Miß mit Schärfe dazwischen. „Und nicht affig. Sie ist aufrichtig, sie paßt mir sehr gut.“ „Man kann aufrichtig sein, ohne frech zu werden,“ betonte Mira. „Mein Gott! Du armes, liebes Stiefmütterchen, du sprichst von diesen Dingen, wie der Blinde von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/40
Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/40>, abgerufen am 24.11.2024.