Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.Sündenfall des Apostels Petri. gennützigen Gesinnungen dieses Jüngers? Wo ist jeneredle Trieb, der seine Seele einnahm, seinem Meister Jün- ger zuzuführen und sich an allen Orten als einen Zeugen der Wahrheit zu beweisen? Der Ort, wo er Jesum verläugnete, sollte es gewesen seyn, wo er das unverdäch- tigste Zeugniß von der Unschuld Jesu abgelegt hätte. Hier sollte er sich unter die Schaar der ergrimmten Feinde be- geben haben, in der Absicht, sie von ihren Versündigun- gen zu überzeugen, ihren Blutdurst zu bestrafen, oder zum wenigsten ihr Mitleiden gegen den unschuldigen Jesum rege zu machen. Aber an dem gefährlichen Ort, wo er sich befand, übte er keine von diesen Liebespflichten aus. Er dachte nicht an die Ruchlosigkeit der Feinde, nicht an die Unschuld Jesu, nicht an die Berbindlichkeit, ihn öffentlich zu bekennen, nicht an das Beyspiel der Treue, welches er unter solchen Umständen zu geben verbunden war: er dachte nur an sich, und die Rettung seines eig- nen Lebens war ihm theurer, als Jesus, und schätzbarer als das Bekenntniß seines Namens. Der Märtyrertod, den er befürchten mußte, wenn er sich als ein Jünger Je- su darstellte, schien ihm so erschrecklich, daß er es für das beste hielte, ihn jetzt noch zu vermeiden. Aber wenn je ei- ne Zeit war, wo Petrus mit weniger Verschuldung untreu gegen seinen Meister werden konnte, so war es gewis die- se nicht, in welcher er ihn verläugnete. Eben jetzt, da Je- sus die grausamsten Unmenschlichkeiten von seinen Feinden erdulden mußte; da er das freymüthigste Bekenntniß ab- legte; da er durch ungerechte Richter zum Tode verdammt wurde; da er unter den Händen der niederträchtigsten Skla- ven die frevelhaftesten Mißhandlungen erduldete; eben jetzt empsand er einen neuen Schmerz, da einer seiner ver- trautesten Jünger ihn verläugnete und ihn nicht einmal ken- nen wollte. Ach Jesu, wie gros muß damals die Quaal dei- E 2
Sündenfall des Apoſtels Petri. gennützigen Geſinnungen dieſes Jüngers? Wo iſt jeneredle Trieb, der ſeine Seele einnahm, ſeinem Meiſter Jün- ger zuzuführen und ſich an allen Orten als einen Zeugen der Wahrheit zu beweiſen? Der Ort, wo er Jeſum verläugnete, ſollte es geweſen ſeyn, wo er das unverdäch- tigſte Zeugniß von der Unſchuld Jeſu abgelegt hätte. Hier ſollte er ſich unter die Schaar der ergrimmten Feinde be- geben haben, in der Abſicht, ſie von ihren Verſündigun- gen zu überzeugen, ihren Blutdurſt zu beſtrafen, oder zum wenigſten ihr Mitleiden gegen den unſchuldigen Jeſum rege zu machen. Aber an dem gefährlichen Ort, wo er ſich befand, übte er keine von dieſen Liebespflichten aus. Er dachte nicht an die Ruchloſigkeit der Feinde, nicht an die Unſchuld Jeſu, nicht an die Berbindlichkeit, ihn öffentlich zu bekennen, nicht an das Beyſpiel der Treue, welches er unter ſolchen Umſtänden zu geben verbunden war: er dachte nur an ſich, und die Rettung ſeines eig- nen Lebens war ihm theurer, als Jeſus, und ſchätzbarer als das Bekenntniß ſeines Namens. Der Märtyrertod, den er befürchten mußte, wenn er ſich als ein Jünger Je- ſu darſtellte, ſchien ihm ſo erſchrecklich, daß er es für das beſte hielte, ihn jetzt noch zu vermeiden. Aber wenn je ei- ne Zeit war, wo Petrus mit weniger Verſchuldung untreu gegen ſeinen Meiſter werden konnte, ſo war es gewis die- ſe nicht, in welcher er ihn verläugnete. Eben jetzt, da Je- ſus die grauſamſten Unmenſchlichkeiten von ſeinen Feinden erdulden mußte; da er das freymüthigſte Bekenntniß ab- legte; da er durch ungerechte Richter zum Tode verdammt wurde; da er unter den Händen der niederträchtigſten Skla- ven die frevelhafteſten Mißhandlungen erduldete; eben jetzt empſand er einen neuen Schmerz, da einer ſeiner ver- trauteſten Jünger ihn verläugnete und ihn nicht einmal ken- nen wollte. Ach Jeſu, wie gros muß damals die Quaal dei- E 2
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Sündenfall des Apoſtels Petri.
gennützigen Geſinnungen dieſes Jüngers? Wo iſt jener
edle Trieb, der ſeine Seele einnahm, ſeinem Meiſter Jün-
ger zuzuführen und ſich an allen Orten als einen Zeugen
der Wahrheit zu beweiſen? Der Ort, wo er Jeſum
verläugnete, ſollte es geweſen ſeyn, wo er das unverdäch-
tigſte Zeugniß von der Unſchuld Jeſu abgelegt hätte. Hier
ſollte er ſich unter die Schaar der ergrimmten Feinde be-
geben haben, in der Abſicht, ſie von ihren Verſündigun-
gen zu überzeugen, ihren Blutdurſt zu beſtrafen, oder
zum wenigſten ihr Mitleiden gegen den unſchuldigen Jeſum
rege zu machen. Aber an dem gefährlichen Ort, wo er
ſich befand, übte er keine von dieſen Liebespflichten aus.
Er dachte nicht an die Ruchloſigkeit der Feinde, nicht an
die Unſchuld Jeſu, nicht an die Berbindlichkeit, ihn
öffentlich zu bekennen, nicht an das Beyſpiel der Treue,
welches er unter ſolchen Umſtänden zu geben verbunden
war: er dachte nur an ſich, und die Rettung ſeines eig-
nen Lebens war ihm theurer, als Jeſus, und ſchätzbarer
als das Bekenntniß ſeines Namens. Der Märtyrertod,
den er befürchten mußte, wenn er ſich als ein Jünger Je-
ſu darſtellte, ſchien ihm ſo erſchrecklich, daß er es für das
beſte hielte, ihn jetzt noch zu vermeiden. Aber wenn je ei-
ne Zeit war, wo Petrus mit weniger Verſchuldung untreu
gegen ſeinen Meiſter werden konnte, ſo war es gewis die-
ſe nicht, in welcher er ihn verläugnete. Eben jetzt, da Je-
ſus die grauſamſten Unmenſchlichkeiten von ſeinen Feinden
erdulden mußte; da er das freymüthigſte Bekenntniß ab-
legte; da er durch ungerechte Richter zum Tode verdammt
wurde; da er unter den Händen der niederträchtigſten Skla-
ven die frevelhafteſten Mißhandlungen erduldete; eben
jetzt empſand er einen neuen Schmerz, da einer ſeiner ver-
trauteſten Jünger ihn verläugnete und ihn nicht einmal ken-
nen wollte. Ach Jeſu, wie gros muß damals die Quaal
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