Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.Vertheidigung Jesu vor dem Caipha. Wenn sich der Unschuldigste unter allen Menschenkinderndem gottlosen Rath der Missethäter darstellen muste, wie kann es mich befremden, wenn ich bey meiner so sehr un- vollkommnen Tugend die lieblosesten Urtheile, und die boshaftesten Verläumdungen erfahren sollte? Ich will mich auf diese Schicksale gefaßt halten, und ohne mich an die Welt zu kehren, auf meinem betretnen Wege fort- gehen. Der Herr ists, der mich richtet. Vor allen Dingen soll es mein wichtigstes Augenmerk Eilfte D 3
Vertheidigung Jeſu vor dem Caipha. Wenn ſich der Unſchuldigſte unter allen Menſchenkinderndem gottloſen Rath der Miſſethäter darſtellen muſte, wie kann es mich befremden, wenn ich bey meiner ſo ſehr un- vollkommnen Tugend die liebloſeſten Urtheile, und die boshafteſten Verläumdungen erfahren ſollte? Ich will mich auf dieſe Schickſale gefaßt halten, und ohne mich an die Welt zu kehren, auf meinem betretnen Wege fort- gehen. Der Herr iſts, der mich richtet. Vor allen Dingen ſoll es mein wichtigſtes Augenmerk Eilfte D 3
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Vertheidigung Jeſu vor dem Caipha.
Wenn ſich der Unſchuldigſte unter allen Menſchenkindern
dem gottloſen Rath der Miſſethäter darſtellen muſte, wie
kann es mich befremden, wenn ich bey meiner ſo ſehr un-
vollkommnen Tugend die liebloſeſten Urtheile, und die
boshafteſten Verläumdungen erfahren ſollte? Ich will
mich auf dieſe Schickſale gefaßt halten, und ohne mich
an die Welt zu kehren, auf meinem betretnen Wege fort-
gehen. Der Herr iſts, der mich richtet.
Vor allen Dingen ſoll es mein wichtigſtes Augenmerk
bleiben, daß ich gegen Gott und Menſchen ein unbefleck-
tes Gewiſſen bewahre. Welche groſſe Glückſeligkeit iſt es,
wenn ich mit Wahrheit ſagen kann: ich bin mir nichts
bewuſt, was mir das Verdammungsurtheil am Tage
des Gerichts zuziehen könnte. Ich bin mir nicht bewuſt,
daß ich meinen Erlöſer muthwillig verachtet, ſeine Verſöh-
nung gemißbraucht und ſein Evangelium gering geſchätzt
hätte. Ich bin mir nicht bewuſt, daß ich jemand mit Vor-
ſatz geärgert und unglücklich gemacht hätte. Mein Ruhm
iſt der, nemlich das Zeugniß meines Gewiſſens, daß
ich in Einfältigkeit und göttlicher Lauterkeit auf der
Welt gewandelt habe. 2 Cor. 1, 12. Allein bey aller dieſer
Ueberzeugung bin ich doch nicht vor Gott gerechtfertiget.
Dein Auge, Allwiſſender, welches die Tiefen meines Her-
zens durchſchaut, wird unzählige Schwachheiten entdecken,
und meine unerkannte Sünden ans Licht bringen. Ich
kann in deinem Gerichte nicht beſtehen, wenn ſich nicht
mein Jeſus meiner Sache annimmt und ſeine Gerechtig-
keit bey dir geltend macht. Um ſeiner Unſchuld willen ſey
mir o Gott, im Gerichte gnädig, und wenn mich mein Herz
vor dir anklagt, ſo laß mich durch das Blut losgeſprochen
werden, das er auch für meine Sünden vergoſſen hat.
Eilfte
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