Ach Gott! Wie schercklich ist dein Grimm! Jezt hör ich deine Donnerstimm in den erschrock- nen Ohren. Wie fürchterlich ist dein Gericht! Ach richte, Herr mein Gott, mich nicht! Denn sonst bin verloren.
2. Schau, Vater aller Gnaden, an den, der für uns genug gethan! Schau an, was er erduldet! Ist es nicht dein geliebter Sohn? Litt er nicht Marter, Angst und Hohn für mich, der ichs verschuldet?
3. Er ist der Sohn; ich bin der Knecht. Doch daß ich würd in ihm gerecht, ließ'st du für mich ihn töd- ten. Zum Kreuzestode stellt er sich gehorsam ein; so reißt er mich aus allen meinen Nöthen.
4. Er ist, der mit dir alles schaft; dein ewger Sohn, und deine Kraft, den deine Lieb uns schenkte, daß er, wie uns dein Eyd verhieß, für uns sein Leben willig ließ, für uns ins Grab sich senkte.
5. Schau auf sein Kreuz hin! Schau, vor dir verblutet sich ein Opfer hier, dem keines je gegliechen! An seinem Leib ist nichts gesund; denn alle Glieder sind verwundt, und alle Kräft entwichen.
6. Schau seine blutgen Hände doch! Vor Blute kennt man sie kaum noch die so viel Kranke heilten. Schau wie jetzt Blut aus Füßen rinnt, die grausam und durchgra- ben sind, und sonst zum Wohlthun eilten.
[Spaltenumbruch]
7. Sein Leib verschmachtet ihm vor Schmerz; wie weiches Wachs, zerschmilzt sein Herz, das lang auf Trost geharret; die Augen brechen, die gesehn, was in der ganzen Welt geschehn; der holde Mund erstarret.
8. Schau an, Gott, wie sein Haupt sich neigt, und so vor aller Augen zeigt, daß er den Tod nicht scheue! Sein willigs Opfer gilt vor dir. Neig mit Erbarmung dich zu mir, daß mich dein Blick erfreue.
9. Schau, Gott, wie ist sein Herz entblößt, da seine Seit' ein Speer durchstößt, daß Blut und Wasser fließet! Er kömmt mit Was- ser und mit Blut, daß dadurch Le- ben, Trost und Muth sich auch auf mich ergießet.
10. Ich fleh, Gott, itzt bey sei- nem Tod, daß mich vom Fluche, der mich droht, dein gnädig Wort entlade. Gott! Meine Seele fleht und schreyt: Barmherzigkeit! Barm- herzigkeit! Nicht Recht! Nein, Va- ter, Gnade!
2. Mel. Kommt her zu mir, spricht etc.
Ach, Jesu welche Kümmerniß littst du, da Petrus dich ver- lies und treulos dich verkannte! Dis kränkte dein so sanftes Herz weit mehr, als aller Martern Schmerz, weit mehr, als Schmach und Bande.
2. Er schwur, nicht Hohn, nicht Tod zu scheun, auch dann dir, Jesu, treu zu seyn, wann Todesmartern drohten. Doch bald vergaß er sei-
nen
T 3
Paßionslieder.
[Spaltenumbruch]
1. Mel. Kommt her zu mir, ſpricht.
Ach Gott! Wie ſchercklich iſt dein Grimm! Jezt hör ich deine Donnerſtimm in den erſchrock- nen Ohren. Wie fürchterlich iſt dein Gericht! Ach richte, Herr mein Gott, mich nicht! Denn ſonſt bin verloren.
2. Schau, Vater aller Gnaden, an den, der für uns genug gethan! Schau an, was er erduldet! Iſt es nicht dein geliebter Sohn? Litt er nicht Marter, Angſt und Hohn für mich, der ichs verſchuldet?
3. Er iſt der Sohn; ich bin der Knecht. Doch daß ich würd in ihm gerecht, ließ’ſt du für mich ihn töd- ten. Zum Kreuzestode ſtellt er ſich gehorſam ein; ſo reißt er mich aus allen meinen Nöthen.
4. Er iſt, der mit dir alles ſchaft; dein ewger Sohn, und deine Kraft, den deine Lieb uns ſchenkte, daß er, wie uns dein Eyd verhieß, für uns ſein Leben willig ließ, für uns ins Grab ſich ſenkte.
5. Schau auf ſein Kreuz hin! Schau, vor dir verblutet ſich ein Opfer hier, dem keines je gegliechen! An ſeinem Leib iſt nichts geſund; denn alle Glieder ſind verwundt, und alle Kräft entwichen.
6. Schau ſeine blutgen Hände doch! Vor Blute kennt man ſie kaum noch die ſo viel Kranke heilten. Schau wie jetzt Blut aus Füßen rinnt, die grauſam und durchgra- ben ſind, und ſonſt zum Wohlthun eilten.
[Spaltenumbruch]
7. Sein Leib verſchmachtet ihm vor Schmerz; wie weiches Wachs, zerſchmilzt ſein Herz, das lang auf Troſt geharret; die Augen brechen, die geſehn, was in der ganzen Welt geſchehn; der holde Mund erſtarret.
8. Schau an, Gott, wie ſein Haupt ſich neigt, und ſo vor aller Augen zeigt, daß er den Tod nicht ſcheue! Sein willigs Opfer gilt vor dir. Neig mit Erbarmung dich zu mir, daß mich dein Blick erfreue.
9. Schau, Gott, wie iſt ſein Herz entblößt, da ſeine Seit’ ein Speer durchſtößt, daß Blut und Waſſer fließet! Er kömmt mit Waſ- ſer und mit Blut, daß dadurch Le- ben, Troſt und Muth ſich auch auf mich ergießet.
10. Ich fleh, Gott, itzt bey ſei- nem Tod, daß mich vom Fluche, der mich droht, dein gnädig Wort entlade. Gott! Meine Seele fleht und ſchreyt: Barmherzigkeit! Barm- herzigkeit! Nicht Recht! Nein, Va- ter, Gnade!
2. Mel. Kommt her zu mir, ſpricht ꝛc.
Ach, Jeſu welche Kümmerniß littſt du, da Petrus dich ver- lies und treulos dich verkannte! Dis kränkte dein ſo ſanftes Herz weit mehr, als aller Martern Schmerz, weit mehr, als Schmach und Bande.
2. Er ſchwur, nicht Hohn, nicht Tod zu ſcheun, auch dann dir, Jeſu, treu zu ſeyn, wann Todesmartern drohten. Doch bald vergaß er ſei-
nen
T 3
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[[293]/0315]
Paßionslieder.
1. Mel. Kommt her zu mir, ſpricht.
Ach Gott! Wie ſchercklich iſt dein
Grimm! Jezt hör ich deine
Donnerſtimm in den erſchrock-
nen Ohren. Wie fürchterlich iſt
dein Gericht! Ach richte, Herr mein
Gott, mich nicht! Denn ſonſt bin
verloren.
2. Schau, Vater aller Gnaden,
an den, der für uns genug gethan!
Schau an, was er erduldet! Iſt es
nicht dein geliebter Sohn? Litt er
nicht Marter, Angſt und Hohn für
mich, der ichs verſchuldet?
3. Er iſt der Sohn; ich bin der
Knecht. Doch daß ich würd in ihm
gerecht, ließ’ſt du für mich ihn töd-
ten. Zum Kreuzestode ſtellt er ſich
gehorſam ein; ſo reißt er mich
aus allen meinen Nöthen.
4. Er iſt, der mit dir alles ſchaft;
dein ewger Sohn, und deine Kraft,
den deine Lieb uns ſchenkte, daß er,
wie uns dein Eyd verhieß, für uns
ſein Leben willig ließ, für uns ins
Grab ſich ſenkte.
5. Schau auf ſein Kreuz hin!
Schau, vor dir verblutet ſich ein
Opfer hier, dem keines je gegliechen!
An ſeinem Leib iſt nichts geſund;
denn alle Glieder ſind verwundt,
und alle Kräft entwichen.
6. Schau ſeine blutgen Hände
doch! Vor Blute kennt man ſie kaum
noch die ſo viel Kranke heilten.
Schau wie jetzt Blut aus Füßen
rinnt, die grauſam und durchgra-
ben ſind, und ſonſt zum Wohlthun
eilten.
7. Sein Leib verſchmachtet ihm
vor Schmerz; wie weiches Wachs,
zerſchmilzt ſein Herz, das lang auf
Troſt geharret; die Augen brechen,
die geſehn, was in der ganzen Welt
geſchehn; der holde Mund erſtarret.
8. Schau an, Gott, wie ſein
Haupt ſich neigt, und ſo vor aller
Augen zeigt, daß er den Tod nicht
ſcheue! Sein willigs Opfer gilt vor
dir. Neig mit Erbarmung dich zu
mir, daß mich dein Blick erfreue.
9. Schau, Gott, wie iſt ſein
Herz entblößt, da ſeine Seit’ ein
Speer durchſtößt, daß Blut und
Waſſer fließet! Er kömmt mit Waſ-
ſer und mit Blut, daß dadurch Le-
ben, Troſt und Muth ſich auch auf
mich ergießet.
10. Ich fleh, Gott, itzt bey ſei-
nem Tod, daß mich vom Fluche,
der mich droht, dein gnädig Wort
entlade. Gott! Meine Seele fleht
und ſchreyt: Barmherzigkeit! Barm-
herzigkeit! Nicht Recht! Nein, Va-
ter, Gnade!
2. Mel. Kommt her zu mir, ſpricht ꝛc.
Ach, Jeſu welche Kümmerniß
littſt du, da Petrus dich ver-
lies und treulos dich verkannte!
Dis kränkte dein ſo ſanftes Herz
weit mehr, als aller Martern
Schmerz, weit mehr, als Schmach
und Bande.
2. Er ſchwur, nicht Hohn, nicht
Tod zu ſcheun, auch dann dir, Jeſu,
treu zu ſeyn, wann Todesmartern
drohten. Doch bald vergaß er ſei-
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. [293]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/315>, abgerufen am 01.07.2024.
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