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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Vorläufige Betrachtungen
tigen unruhvollen Leben herausnehme, und sie der Be-
trachtung des Leidens Jesu widme? Kann ich mich
wohl bereden, meine ganze Christenpflicht erfüllt zu haben,
wenn ich mich nur der äussern Umstände der Leidensge-
schichte Jesu flüchtig erinnere, ohne ihre Kraft an meinem
Herzen zu empfinden, ohne sie zum heiligen Leben und
gottseligen Wandel anzuwenden? Zuvörderst wird
also nöthig seyn, daß ich mit ganzem Ernste dem
Leiden meines Erlösers nachdenke: daß ich desselben
Beschaffenheiten, Ursachen, Absichten und Wirkungen in
meinem Herzen erwäge. Allein wie kann ich diese heilsa-
men Betrachtungen unterhalten, wenn ich nicht damit
ein ernstliches Gebet um Erleuchtung, Andacht und
Stärke des Geistes verbinde? Ich will mich daher, so
oft ich das Leiden meines Erlösers betrachten will, zu
Gott wenden, ihm das Unvermögen meines Herzens,
meine Unempfindlichkeit, meine Trägheit, meine mannig-
faltigen Zerstreuungen klagen, und ihn anrufen, das
Feuer meiner Andacht zu entzünden, und mein Herz
mit Glauben und Liebe zu erfüllen.

Aber wie werde ich Gott wohlgefällig beten, und
alsdenn zu meinem Segen das Leiden Jesu betrachten kön-
nen, wenn ich nicht mein Herz von allen fremden Gedan-
ken reinige, und eine wahre Stille des Geistes zu diesen
Handlungen der Andacht bringe? Was kann das Wort
vom Kreuz in den Seelen dererjenigen ausrichten, deren
Herz mit Sorgen der Nahrung beschwert, oder mit einer
herrschenden Liebe zu irrdischen Gütern und Vergnügun-
gen erfüllt ist? Da ich überzeugt bin, daß dis die Ur-
sache ist, warum ich so wenig Nutzen von der Betrach-
tung des Leidens Jesu habe, so will ich meinem Herzen
beständig die Grundsätze vorhalten, nach welchen das
Leiden Jesu von mir betrachtet werden muß, und mich von

Zeit

Vorläufige Betrachtungen
tigen unruhvollen Leben herausnehme, und ſie der Be-
trachtung des Leidens Jeſu widme? Kann ich mich
wohl bereden, meine ganze Chriſtenpflicht erfüllt zu haben,
wenn ich mich nur der äuſſern Umſtände der Leidensge-
ſchichte Jeſu flüchtig erinnere, ohne ihre Kraft an meinem
Herzen zu empfinden, ohne ſie zum heiligen Leben und
gottſeligen Wandel anzuwenden? Zuvörderſt wird
alſo nöthig ſeyn, daß ich mit ganzem Ernſte dem
Leiden meines Erlöſers nachdenke: daß ich deſſelben
Beſchaffenheiten, Urſachen, Abſichten und Wirkungen in
meinem Herzen erwäge. Allein wie kann ich dieſe heilſa-
men Betrachtungen unterhalten, wenn ich nicht damit
ein ernſtliches Gebet um Erleuchtung, Andacht und
Stärke des Geiſtes verbinde? Ich will mich daher, ſo
oft ich das Leiden meines Erlöſers betrachten will, zu
Gott wenden, ihm das Unvermögen meines Herzens,
meine Unempfindlichkeit, meine Trägheit, meine mannig-
faltigen Zerſtreuungen klagen, und ihn anrufen, das
Feuer meiner Andacht zu entzünden, und mein Herz
mit Glauben und Liebe zu erfüllen.

Aber wie werde ich Gott wohlgefällig beten, und
alsdenn zu meinem Segen das Leiden Jeſu betrachten kön-
nen, wenn ich nicht mein Herz von allen fremden Gedan-
ken reinige, und eine wahre Stille des Geiſtes zu dieſen
Handlungen der Andacht bringe? Was kann das Wort
vom Kreuz in den Seelen dererjenigen ausrichten, deren
Herz mit Sorgen der Nahrung beſchwert, oder mit einer
herrſchenden Liebe zu irrdiſchen Gütern und Vergnügun-
gen erfüllt iſt? Da ich überzeugt bin, daß dis die Ur-
ſache iſt, warum ich ſo wenig Nutzen von der Betrach-
tung des Leidens Jeſu habe, ſo will ich meinem Herzen
beſtändig die Grundſätze vorhalten, nach welchen das
Leiden Jeſu von mir betrachtet werden muß, und mich von

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[8/0030] Vorläufige Betrachtungen tigen unruhvollen Leben herausnehme, und ſie der Be- trachtung des Leidens Jeſu widme? Kann ich mich wohl bereden, meine ganze Chriſtenpflicht erfüllt zu haben, wenn ich mich nur der äuſſern Umſtände der Leidensge- ſchichte Jeſu flüchtig erinnere, ohne ihre Kraft an meinem Herzen zu empfinden, ohne ſie zum heiligen Leben und gottſeligen Wandel anzuwenden? Zuvörderſt wird alſo nöthig ſeyn, daß ich mit ganzem Ernſte dem Leiden meines Erlöſers nachdenke: daß ich deſſelben Beſchaffenheiten, Urſachen, Abſichten und Wirkungen in meinem Herzen erwäge. Allein wie kann ich dieſe heilſa- men Betrachtungen unterhalten, wenn ich nicht damit ein ernſtliches Gebet um Erleuchtung, Andacht und Stärke des Geiſtes verbinde? Ich will mich daher, ſo oft ich das Leiden meines Erlöſers betrachten will, zu Gott wenden, ihm das Unvermögen meines Herzens, meine Unempfindlichkeit, meine Trägheit, meine mannig- faltigen Zerſtreuungen klagen, und ihn anrufen, das Feuer meiner Andacht zu entzünden, und mein Herz mit Glauben und Liebe zu erfüllen. Aber wie werde ich Gott wohlgefällig beten, und alsdenn zu meinem Segen das Leiden Jeſu betrachten kön- nen, wenn ich nicht mein Herz von allen fremden Gedan- ken reinige, und eine wahre Stille des Geiſtes zu dieſen Handlungen der Andacht bringe? Was kann das Wort vom Kreuz in den Seelen dererjenigen ausrichten, deren Herz mit Sorgen der Nahrung beſchwert, oder mit einer herrſchenden Liebe zu irrdiſchen Gütern und Vergnügun- gen erfüllt iſt? Da ich überzeugt bin, daß dis die Ur- ſache iſt, warum ich ſo wenig Nutzen von der Betrach- tung des Leidens Jeſu habe, ſo will ich meinem Herzen beſtändig die Grundſätze vorhalten, nach welchen das Leiden Jeſu von mir betrachtet werden muß, und mich von Zeit

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/30>, abgerufen am 27.11.2024.