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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Von dem Leiden Jesu selbst.
sondern auch selbst für diejenigen Oerter, die uns zur Sünde ver-
leitet haben, in sich empfindet.

4. Das Nachdenken über seine Sünden und die Prüfung sei-
nes Seelenzustandes erfordert eine Absonderung von allen Zer-
streuungen, und eine einsame Stille.

5. Der Eindruck, welchen die Erkenntniß der Sünden auf
das Herz gemacht hat, muß bis ans Ende fortdauren.

22. Nochmaliges Verhör Jesu vor dem hohen
Rathe.

Alle diese Begegnisse ereigneten sich noch vor der Mit-
ternacht. Sobald nun das Todesurtheil über Jesum aus-
gesprochen worden, giengen die Mitglieder des hohen Raths
aus einander, und liessen Jesum unter den Händen der Ge-
richtsdiener. Mit dem anbrechenden Morgen aber ver-
sammleten sie sich wieder im Pallaste des Hohenpriesters
Kaiphas. Ihre Berathschlagung gieng hauptsächlich da-
hin, wie sie am bequemsten das Todesurtheil an Jesu voll-
ziehen möchten. Sie suchten aber diese Absicht sorgfältig
zu verbergen, und äusserlich so zu handeln, als wenn es ih-
nen blos um die Untersuchung der Wahrheit zu thun wä-
re. Jesus wurde also vor ihre Versammlung gebracht.
Der Hohepriester legte ihm im Namen des hohen Raths
die wiederholte Frage vor: ob er der Meßias wäre? Je-
sus antwortete darauf: Wenn ich es euch schon sage,
wie ich so oft gethan habe, so glaubt ihr es doch
nicht. Und wollte ich euch davon durch die stärksten
Beweise überführen, so würdet ihr euch doch in kei-
ne unpartheyische Untersuchung derselben einlassen.
Und wozu würden alle Beweise nützen? da ihr
schon beschlossen habt, mich nicht in Freyheit zu se-
tzen, ich mag noch so bündig, als ich will, die Wahr-
heit meines Bekenntnisses rechtfertigen. Jedoch

ver-
Q 4

Von dem Leiden Jeſu ſelbſt.
ſondern auch ſelbſt für diejenigen Oerter, die uns zur Sünde ver-
leitet haben, in ſich empfindet.

4. Das Nachdenken über ſeine Sünden und die Prüfung ſei-
nes Seelenzuſtandes erfordert eine Abſonderung von allen Zer-
ſtreuungen, und eine einſame Stille.

5. Der Eindruck, welchen die Erkenntniß der Sünden auf
das Herz gemacht hat, muß bis ans Ende fortdauren.

22. Nochmaliges Verhör Jeſu vor dem hohen
Rathe.

Alle dieſe Begegniſſe ereigneten ſich noch vor der Mit-
ternacht. Sobald nun das Todesurtheil über Jeſum aus-
geſprochen worden, giengen die Mitglieder des hohen Raths
aus einander, und lieſſen Jeſum unter den Händen der Ge-
richtsdiener. Mit dem anbrechenden Morgen aber ver-
ſammleten ſie ſich wieder im Pallaſte des Hohenprieſters
Kaiphas. Ihre Berathſchlagung gieng hauptſächlich da-
hin, wie ſie am bequemſten das Todesurtheil an Jeſu voll-
ziehen möchten. Sie ſuchten aber dieſe Abſicht ſorgfältig
zu verbergen, und äuſſerlich ſo zu handeln, als wenn es ih-
nen blos um die Unterſuchung der Wahrheit zu thun wä-
re. Jeſus wurde alſo vor ihre Verſammlung gebracht.
Der Hoheprieſter legte ihm im Namen des hohen Raths
die wiederholte Frage vor: ob er der Meßias wäre? Je-
ſus antwortete darauf: Wenn ich es euch ſchon ſage,
wie ich ſo oft gethan habe, ſo glaubt ihr es doch
nicht. Und wollte ich euch davon durch die ſtärkſten
Beweiſe überführen, ſo würdet ihr euch doch in kei-
ne unpartheyiſche Unterſuchung derſelben einlaſſen.
Und wozu würden alle Beweiſe nützen? da ihr
ſchon beſchloſſen habt, mich nicht in Freyheit zu ſe-
tzen, ich mag noch ſo bündig, als ich will, die Wahr-
heit meines Bekenntniſſes rechtfertigen. Jedoch

ver-
Q 4
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[247/0269] Von dem Leiden Jeſu ſelbſt. ſondern auch ſelbſt für diejenigen Oerter, die uns zur Sünde ver- leitet haben, in ſich empfindet. 4. Das Nachdenken über ſeine Sünden und die Prüfung ſei- nes Seelenzuſtandes erfordert eine Abſonderung von allen Zer- ſtreuungen, und eine einſame Stille. 5. Der Eindruck, welchen die Erkenntniß der Sünden auf das Herz gemacht hat, muß bis ans Ende fortdauren. 22. Nochmaliges Verhör Jeſu vor dem hohen Rathe. Alle dieſe Begegniſſe ereigneten ſich noch vor der Mit- ternacht. Sobald nun das Todesurtheil über Jeſum aus- geſprochen worden, giengen die Mitglieder des hohen Raths aus einander, und lieſſen Jeſum unter den Händen der Ge- richtsdiener. Mit dem anbrechenden Morgen aber ver- ſammleten ſie ſich wieder im Pallaſte des Hohenprieſters Kaiphas. Ihre Berathſchlagung gieng hauptſächlich da- hin, wie ſie am bequemſten das Todesurtheil an Jeſu voll- ziehen möchten. Sie ſuchten aber dieſe Abſicht ſorgfältig zu verbergen, und äuſſerlich ſo zu handeln, als wenn es ih- nen blos um die Unterſuchung der Wahrheit zu thun wä- re. Jeſus wurde alſo vor ihre Verſammlung gebracht. Der Hoheprieſter legte ihm im Namen des hohen Raths die wiederholte Frage vor: ob er der Meßias wäre? Je- ſus antwortete darauf: Wenn ich es euch ſchon ſage, wie ich ſo oft gethan habe, ſo glaubt ihr es doch nicht. Und wollte ich euch davon durch die ſtärkſten Beweiſe überführen, ſo würdet ihr euch doch in kei- ne unpartheyiſche Unterſuchung derſelben einlaſſen. Und wozu würden alle Beweiſe nützen? da ihr ſchon beſchloſſen habt, mich nicht in Freyheit zu ſe- tzen, ich mag noch ſo bündig, als ich will, die Wahr- heit meines Bekenntniſſes rechtfertigen. Jedoch ver- Q 4

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/269>, abgerufen am 01.07.2024.