Der Missethäter, der ihm zur Seite hieng, offenbar- te ein Herz, welches die lauterste Begierde hatte, selig zu werden. Er sahe, daß nun für ihn nichts mehr in dieser Welt zu hoffen war, daher suchte er jene bessere Welt. Al- lein seine begangenen Missethaten schienen ihm den Zugang zu derselben zu verschliessen. Daher sahe er mit der bit- tersten Reue auf sein verstrichenes Leben zurück, und war nur darum besorgt, sein Leben, dessen Anfang und Fort- gang so strafbar war, selig zu endigen. In dem heftig- sten Kampfe seiner Seele wandte er sich zu Jesu, der dem äuserlichen Schicksale nach, ihm vollkommen gleich war, von welchem er sich aber alles versprechen konnte. Voll Zuversicht bittet er ihn, seiner eingedenk zu seyn, wenn er in sein Reich kommen würde. Wer muß nicht über den Glauben dieses Mannes erstaunen? Er würde Nach- sicht verdient haben, wenn er, bey dem Mangel einer bes- sern Erkenntniß, jetzt sich an den elenden Umständen Jesu geärgert hätte. Es wäre nicht zu verwundern gewesen, wenn die Spöttereyen und Lästerungen, die er von den Fein- den Jesu angehört hatte, alle gute Empfindungen seines Her- zens unterdrückt, und ihn zum wenigsten gleichgültig gegen Jesum gemacht hätten. Es war schon dis nicht von ei- nem Menschen, der so lasterhaft gelebet, und wie es seine Lebensart mit sich brachte, alle Triebe des Mitleidens muthwillig erstickt hatte, zu erwarten, daß er die Freymüthig- keit und Großmuth hätte beweisen sollen, Jesum gegen die Lästerungen seiner Feinde zu vertheidigen und desselben Un- schuld zu retten. Aber hierinn wird sein Verhalten er- staunenswürdig, da er ein so starkes Zutrauen zu Jesu äusserte, daß er sich von demselben eine Sache versprach, welche die Gottheit dieser leidenden Person nothwendig vor- aussetzte. Er erbat sich von Jesu einen Antheil an sei- nem Reiche. Von niemand ließ sich dieses dem äussern
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Bekehrung des Schächers zu Jeſu.
Der Miſſethäter, der ihm zur Seite hieng, offenbar- te ein Herz, welches die lauterſte Begierde hatte, ſelig zu werden. Er ſahe, daß nun für ihn nichts mehr in dieſer Welt zu hoffen war, daher ſuchte er jene beſſere Welt. Al- lein ſeine begangenen Miſſethaten ſchienen ihm den Zugang zu derſelben zu verſchlieſſen. Daher ſahe er mit der bit- terſten Reue auf ſein verſtrichenes Leben zurück, und war nur darum beſorgt, ſein Leben, deſſen Anfang und Fort- gang ſo ſtrafbar war, ſelig zu endigen. In dem heftig- ſten Kampfe ſeiner Seele wandte er ſich zu Jeſu, der dem äuſerlichen Schickſale nach, ihm vollkommen gleich war, von welchem er ſich aber alles verſprechen konnte. Voll Zuverſicht bittet er ihn, ſeiner eingedenk zu ſeyn, wenn er in ſein Reich kommen würde. Wer muß nicht über den Glauben dieſes Mannes erſtaunen? Er würde Nach- ſicht verdient haben, wenn er, bey dem Mangel einer beſ- ſern Erkenntniß, jetzt ſich an den elenden Umſtänden Jeſu geärgert hätte. Es wäre nicht zu verwundern geweſen, wenn die Spöttereyen und Läſterungen, die er von den Fein- den Jeſu angehört hatte, alle gute Empfindungen ſeines Her- zens unterdrückt, und ihn zum wenigſten gleichgültig gegen Jeſum gemacht hätten. Es war ſchon dis nicht von ei- nem Menſchen, der ſo laſterhaft gelebet, und wie es ſeine Lebensart mit ſich brachte, alle Triebe des Mitleidens muthwillig erſtickt hatte, zu erwarten, daß er die Freymüthig- keit und Großmuth hätte beweiſen ſollen, Jeſum gegen die Läſterungen ſeiner Feinde zu vertheidigen und deſſelben Un- ſchuld zu retten. Aber hierinn wird ſein Verhalten er- ſtaunenswürdig, da er ein ſo ſtarkes Zutrauen zu Jeſu äuſſerte, daß er ſich von demſelben eine Sache verſprach, welche die Gottheit dieſer leidenden Perſon nothwendig vor- ausſetzte. Er erbat ſich von Jeſu einen Antheil an ſei- nem Reiche. Von niemand ließ ſich dieſes dem äuſſern
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Bekehrung des Schächers zu Jeſu.
Der Miſſethäter, der ihm zur Seite hieng, offenbar-
te ein Herz, welches die lauterſte Begierde hatte, ſelig zu
werden. Er ſahe, daß nun für ihn nichts mehr in dieſer
Welt zu hoffen war, daher ſuchte er jene beſſere Welt. Al-
lein ſeine begangenen Miſſethaten ſchienen ihm den Zugang
zu derſelben zu verſchlieſſen. Daher ſahe er mit der bit-
terſten Reue auf ſein verſtrichenes Leben zurück, und war
nur darum beſorgt, ſein Leben, deſſen Anfang und Fort-
gang ſo ſtrafbar war, ſelig zu endigen. In dem heftig-
ſten Kampfe ſeiner Seele wandte er ſich zu Jeſu, der dem
äuſerlichen Schickſale nach, ihm vollkommen gleich war,
von welchem er ſich aber alles verſprechen konnte. Voll
Zuverſicht bittet er ihn, ſeiner eingedenk zu ſeyn, wenn er
in ſein Reich kommen würde. Wer muß nicht über den
Glauben dieſes Mannes erſtaunen? Er würde Nach-
ſicht verdient haben, wenn er, bey dem Mangel einer beſ-
ſern Erkenntniß, jetzt ſich an den elenden Umſtänden Jeſu
geärgert hätte. Es wäre nicht zu verwundern geweſen,
wenn die Spöttereyen und Läſterungen, die er von den Fein-
den Jeſu angehört hatte, alle gute Empfindungen ſeines Her-
zens unterdrückt, und ihn zum wenigſten gleichgültig gegen
Jeſum gemacht hätten. Es war ſchon dis nicht von ei-
nem Menſchen, der ſo laſterhaft gelebet, und wie es ſeine
Lebensart mit ſich brachte, alle Triebe des Mitleidens
muthwillig erſtickt hatte, zu erwarten, daß er die Freymüthig-
keit und Großmuth hätte beweiſen ſollen, Jeſum gegen die
Läſterungen ſeiner Feinde zu vertheidigen und deſſelben Un-
ſchuld zu retten. Aber hierinn wird ſein Verhalten er-
ſtaunenswürdig, da er ein ſo ſtarkes Zutrauen zu Jeſu
äuſſerte, daß er ſich von demſelben eine Sache verſprach,
welche die Gottheit dieſer leidenden Perſon nothwendig vor-
ausſetzte. Er erbat ſich von Jeſu einen Antheil an ſei-
nem Reiche. Von niemand ließ ſich dieſes dem äuſſern
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Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/185>, abgerufen am 16.02.2025.
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