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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Vier und dreyßigste Betrachtung.

Dieses ist für mich eine wichtige Lehre und ein unaus-
sprechlicher Trost. Ich werde einmahl meinem Heiland
auch hierinn ähnlich werden, daß ich bey meinem Abschie-
de aus der Welt diejenigen Personen um mich sehen werde,
die mir meinen Aufenthalt in der Welt so angenehm ge-
macht haben. Es wird vielleicht ein Ehegatte seyn, der
meinen Abschied beweinen wird; vielleicht Kinder, vielleicht
Geschwister und andre Freunde wird mein naher Tod um
mein Sterbebette versammlen. Und ich sehe es vorher,
welcher Kampf alsdann in meiner Seele vorgehen wird.
Aber dann schwebe mir dein Beyspiel, gekreuzigter Jesu,
vor Augen. So zärtlich, wie du, will ich sie anblicken, so
ernstlich für ihre Wohlfahrt sorgen, und im übrigen sie
deiner Fürsorge überlassen.

Ich finde in dieser Begebenheit noch einen Umstand,
welchen ich zu meiner Belehrung anwenden kann. Ma-
ria befand sich bey dem Kreuze Jesu: allein sie blieb auch
aufrecht dabey stehen. Man kann sich ihren Schmerz und
ihre Betrübniß leicht vorstellen; aber sie ließ sich von der-
selben nicht überwältigen. Man hörte nicht, daß sie bittre
Klagen gegen Gott, oder empfindliche Verweise wider die
Mörder ihres Sohnes ausstieß. Sie kannte die Gelas-
senheit gar wohl, mit welcher man sich allemal in die We-
ge der Vorsehung finden muß; sie wußte, daß der Tod
ihres Sohnes zum Heil der Welt dienen würde. Ich
will ihrem Exempel nachfolgen. Wer weis, ob nicht
auch vor meinen Augen diejenigen sterben werden, wel-
che jetzt meine Stütze, meine Freude und mein Trost
sind? So bitter dieses Verhängniß seyn mag, so will
ich es mit Ehrfurcht von der Hand Gottes anneh-
men, und dabey sagen: Es ist der Herr: er thue was
ihm wohlgefällt; der Herr hats gegeben, der Herr hats
genommen. Der Name des Herrn sey gelobet! In

die-
Vier und dreyßigſte Betrachtung.

Dieſes iſt für mich eine wichtige Lehre und ein unaus-
ſprechlicher Troſt. Ich werde einmahl meinem Heiland
auch hierinn ähnlich werden, daß ich bey meinem Abſchie-
de aus der Welt diejenigen Perſonen um mich ſehen werde,
die mir meinen Aufenthalt in der Welt ſo angenehm ge-
macht haben. Es wird vielleicht ein Ehegatte ſeyn, der
meinen Abſchied beweinen wird; vielleicht Kinder, vielleicht
Geſchwiſter und andre Freunde wird mein naher Tod um
mein Sterbebette verſammlen. Und ich ſehe es vorher,
welcher Kampf alsdann in meiner Seele vorgehen wird.
Aber dann ſchwebe mir dein Beyſpiel, gekreuzigter Jeſu,
vor Augen. So zärtlich, wie du, will ich ſie anblicken, ſo
ernſtlich für ihre Wohlfahrt ſorgen, und im übrigen ſie
deiner Fürſorge überlaſſen.

Ich finde in dieſer Begebenheit noch einen Umſtand,
welchen ich zu meiner Belehrung anwenden kann. Ma-
ria befand ſich bey dem Kreuze Jeſu: allein ſie blieb auch
aufrecht dabey ſtehen. Man kann ſich ihren Schmerz und
ihre Betrübniß leicht vorſtellen; aber ſie ließ ſich von der-
ſelben nicht überwältigen. Man hörte nicht, daß ſie bittre
Klagen gegen Gott, oder empfindliche Verweiſe wider die
Mörder ihres Sohnes ausſtieß. Sie kannte die Gelaſ-
ſenheit gar wohl, mit welcher man ſich allemal in die We-
ge der Vorſehung finden muß; ſie wußte, daß der Tod
ihres Sohnes zum Heil der Welt dienen würde. Ich
will ihrem Exempel nachfolgen. Wer weis, ob nicht
auch vor meinen Augen diejenigen ſterben werden, wel-
che jetzt meine Stütze, meine Freude und mein Troſt
ſind? So bitter dieſes Verhängniß ſeyn mag, ſo will
ich es mit Ehrfurcht von der Hand Gottes anneh-
men, und dabey ſagen: Es iſt der Herr: er thue was
ihm wohlgefällt; der Herr hats gegeben, der Herr hats
genommen. Der Name des Herrn ſey gelobet! In

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[156/0178] Vier und dreyßigſte Betrachtung. Dieſes iſt für mich eine wichtige Lehre und ein unaus- ſprechlicher Troſt. Ich werde einmahl meinem Heiland auch hierinn ähnlich werden, daß ich bey meinem Abſchie- de aus der Welt diejenigen Perſonen um mich ſehen werde, die mir meinen Aufenthalt in der Welt ſo angenehm ge- macht haben. Es wird vielleicht ein Ehegatte ſeyn, der meinen Abſchied beweinen wird; vielleicht Kinder, vielleicht Geſchwiſter und andre Freunde wird mein naher Tod um mein Sterbebette verſammlen. Und ich ſehe es vorher, welcher Kampf alsdann in meiner Seele vorgehen wird. Aber dann ſchwebe mir dein Beyſpiel, gekreuzigter Jeſu, vor Augen. So zärtlich, wie du, will ich ſie anblicken, ſo ernſtlich für ihre Wohlfahrt ſorgen, und im übrigen ſie deiner Fürſorge überlaſſen. Ich finde in dieſer Begebenheit noch einen Umſtand, welchen ich zu meiner Belehrung anwenden kann. Ma- ria befand ſich bey dem Kreuze Jeſu: allein ſie blieb auch aufrecht dabey ſtehen. Man kann ſich ihren Schmerz und ihre Betrübniß leicht vorſtellen; aber ſie ließ ſich von der- ſelben nicht überwältigen. Man hörte nicht, daß ſie bittre Klagen gegen Gott, oder empfindliche Verweiſe wider die Mörder ihres Sohnes ausſtieß. Sie kannte die Gelaſ- ſenheit gar wohl, mit welcher man ſich allemal in die We- ge der Vorſehung finden muß; ſie wußte, daß der Tod ihres Sohnes zum Heil der Welt dienen würde. Ich will ihrem Exempel nachfolgen. Wer weis, ob nicht auch vor meinen Augen diejenigen ſterben werden, wel- che jetzt meine Stütze, meine Freude und mein Troſt ſind? So bitter dieſes Verhängniß ſeyn mag, ſo will ich es mit Ehrfurcht von der Hand Gottes anneh- men, und dabey ſagen: Es iſt der Herr: er thue was ihm wohlgefällt; der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen. Der Name des Herrn ſey gelobet! In die-

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/178>, abgerufen am 24.11.2024.