Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.Ein und dreyßigste Betrachtung. Aber wie kann ich bey so herrlichen Vorrechten Dies alles erkennet meine Seele. Und jetzt, da ich durch
Ein und dreyßigſte Betrachtung. Aber wie kann ich bey ſo herrlichen Vorrechten Dies alles erkennet meine Seele. Und jetzt, da ich durch
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Ein und dreyßigſte Betrachtung.
Aber wie kann ich bey ſo herrlichen Vorrechten
und Hofnungen, deren ich durch das Kreuz Jeſu theilhaf-
tig werde, dennoch ſo gleichgültig, und ſo fühllos blei-
ben, als ich zu ſeyn pflege, wenn ich den gekreuzigten Je-
ſum betrachte? Ach, meine Liebe iſt noch viel zu kalt, und
der Eifer in der Gottſeligkeit viel zu ſchwach, wenn ich da-
gegen die brünſtige Liebe meines Jeſu betrachte. Liebte ich
den gekreuzigten Jeſum von ganzer Seele: ſo würde ich
mich dadurch gewinnen laſſen, den Dienſt der Sünde und
der Welt aufzugeben, und meinem Heiland eine ewige
Treue zu ſchwören. Wäre mir das Kreuz Jeſu über al-
les theuer: ſo würde ich nicht in vergänglichen Dingen mei-
ne Glückſeligkeit und Freude ſuchen. Würde ich durch
die Betrachtung des gekreuzigten Jeſu lebendig gerühret:
ſo würde ich den lebendigſten Abſcheu gegen alle Sünden
in meinem Herzen fühlen und mich hüten, meine Seele
mit neuen Miſſethaten zu beflecken. Wäre es mir einzig
um die Rettung meines unſterblichen Geiſtes zu thun: ſo
könnte ich nicht fortfahren, die Vergnügung des Fleiſches
als mein höchſtes Gut anzuſehen. Hätte das Kreuz Jeſu
mehr Gewalt über mein Herz: ſo würde ich in Anſehung
Gottes und ſeines Dienſtes, in Anſehung Chriſti und ſei-
ner Nachfolge, in Anſehung meines Nächſten und mei-
ner ſelbſt, ganz anders geſinnet ſeyn, als ich bisher ge-
weſen bin.
Dies alles erkennet meine Seele. Und jetzt, da ich
in meiner Einſamkeit deinem Kreuzestode nachdenke, wird
meine Fühlloſigkeit und meine Verſchuldung an deinem
Kreuze mir recht lebendig. Wenn ich mich aber recht
kenne, ſo fühle ich in meiner Seele das heftigſte Verlan-
gen und den feurigſten Trieb, dir, mein gekreuzigter Mitt-
ler, mich ganz aufzuopfern. Ich wünſchte in Anſehung
deines Kreuzes ſo geſinnet zu ſeyn, wie Paulus war, und
durch
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