Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 91. sowohl in Bestimmung des Objekts der Heilung, indemMatthäus zwei Blinde hat, die beiden andern nur Einen, als auch in Bezug auf das Lokal derselben, indem Lukas sie bei'm Einzug, Matthäus und Markus bei'm Auszug aus Jericho vor sich gehen lassen; auch wissen von der Berührung, mittelst welcher nach dem ersten Evangelisten Jesus die Blinden heilt, die beiden andern Berichterstat- ter nichts. Von diesen Differenzen mag sich die lezte durch die Bemerkung, dass Markus und Lukas die Berüh- rung, die sie verschweigen, darum nicht läugnen, etwa lö- sen lassen: schwieriger ist die erste, welche die Zahl der Geheilten betrifft. Hier hat man bald mit Zugrundlegung des Matthäus gesagt, es möge sich einer von beiden Blin- den besonders ausgezeichnet haben, wesswegen in die er- ste Überlieferung er allein gekommen sei; Matthäus aber als Augenzeuge habe ergänzend den zweiten Blinden hin- zugefügt. So widersprechen weder Lukas und Markus dem Matthäus, denn sie läugnen nirgends, dass nicht noch mehrere als nur der von ihnen hervorgehobene Blinde ge- heilt worden seien; noch Matthäus den beiden andern, denn wo Zwei seien, da sei auch Einer 2). Allein wenn der einfache Erzähler von Einem Individuum spricht (und sogar, wie Markus, dessen Namen nennt), an welchem et- was Ausserordentliches geschehen sei: so hat er offenbar der Angabe, es sei an zwei Individuen vorgegangen, still- schweigend widersprochen, was ausdrücklich zu thun er keine Veranlassung hatte. Wenn man sich aber auf die andre Seite wendet, und, die Einzahl des Markus und Lu- kas zum Grunde legend, von Matthäus, der hier wohl nicht Augenzeuge gewesen sei, vermuthet, sein Referent habe vielleicht den Führer des Blinden für einen zweiten Blin- den angesehen 3): so ist damit schon ein wahrer Wider- 2) Gratz, Comm. z. Matth. 2, S. 323. 3) Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 44.
Neuntes Kapitel. §. 91. sowohl in Bestimmung des Objekts der Heilung, indemMatthäus zwei Blinde hat, die beiden andern nur Einen, als auch in Bezug auf das Lokal derselben, indem Lukas sie bei'm Einzug, Matthäus und Markus bei'm Auszug aus Jericho vor sich gehen lassen; auch wissen von der Berührung, mittelst welcher nach dem ersten Evangelisten Jesus die Blinden heilt, die beiden andern Berichterstat- ter nichts. Von diesen Differenzen mag sich die lezte durch die Bemerkung, daſs Markus und Lukas die Berüh- rung, die sie verschweigen, darum nicht läugnen, etwa lö- sen lassen: schwieriger ist die erste, welche die Zahl der Geheilten betrifft. Hier hat man bald mit Zugrundlegung des Matthäus gesagt, es möge sich einer von beiden Blin- den besonders ausgezeichnet haben, weſswegen in die er- ste Überlieferung er allein gekommen sei; Matthäus aber als Augenzeuge habe ergänzend den zweiten Blinden hin- zugefügt. So widersprechen weder Lukas und Markus dem Matthäus, denn sie läugnen nirgends, daſs nicht noch mehrere als nur der von ihnen hervorgehobene Blinde ge- heilt worden seien; noch Matthäus den beiden andern, denn wo Zwei seien, da sei auch Einer 2). Allein wenn der einfache Erzähler von Einem Individuum spricht (und sogar, wie Markus, dessen Namen nennt), an welchem et- was Ausserordentliches geschehen sei: so hat er offenbar der Angabe, es sei an zwei Individuen vorgegangen, still- schweigend widersprochen, was ausdrücklich zu thun er keine Veranlassung hatte. Wenn man sich aber auf die andre Seite wendet, und, die Einzahl des Markus und Lu- kas zum Grunde legend, von Matthäus, der hier wohl nicht Augenzeuge gewesen sei, vermuthet, sein Referent habe vielleicht den Führer des Blinden für einen zweiten Blin- den angesehen 3): so ist damit schon ein wahrer Wider- 2) Gratz, Comm. z. Matth. 2, S. 323. 3) Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 44.
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Neuntes Kapitel. §. 91.
sowohl in Bestimmung des Objekts der Heilung, indem
Matthäus zwei Blinde hat, die beiden andern nur Einen,
als auch in Bezug auf das Lokal derselben, indem Lukas
sie bei'm Einzug, Matthäus und Markus bei'm Auszug
aus Jericho vor sich gehen lassen; auch wissen von der
Berührung, mittelst welcher nach dem ersten Evangelisten
Jesus die Blinden heilt, die beiden andern Berichterstat-
ter nichts. Von diesen Differenzen mag sich die lezte
durch die Bemerkung, daſs Markus und Lukas die Berüh-
rung, die sie verschweigen, darum nicht läugnen, etwa lö-
sen lassen: schwieriger ist die erste, welche die Zahl der
Geheilten betrifft. Hier hat man bald mit Zugrundlegung
des Matthäus gesagt, es möge sich einer von beiden Blin-
den besonders ausgezeichnet haben, weſswegen in die er-
ste Überlieferung er allein gekommen sei; Matthäus aber
als Augenzeuge habe ergänzend den zweiten Blinden hin-
zugefügt. So widersprechen weder Lukas und Markus
dem Matthäus, denn sie läugnen nirgends, daſs nicht noch
mehrere als nur der von ihnen hervorgehobene Blinde ge-
heilt worden seien; noch Matthäus den beiden andern,
denn wo Zwei seien, da sei auch Einer 2). Allein wenn
der einfache Erzähler von Einem Individuum spricht (und
sogar, wie Markus, dessen Namen nennt), an welchem et-
was Ausserordentliches geschehen sei: so hat er offenbar
der Angabe, es sei an zwei Individuen vorgegangen, still-
schweigend widersprochen, was ausdrücklich zu thun er
keine Veranlassung hatte. Wenn man sich aber auf die
andre Seite wendet, und, die Einzahl des Markus und Lu-
kas zum Grunde legend, von Matthäus, der hier wohl nicht
Augenzeuge gewesen sei, vermuthet, sein Referent habe
vielleicht den Führer des Blinden für einen zweiten Blin-
den angesehen 3): so ist damit schon ein wahrer Wider-
2) Gratz, Comm. z. Matth. 2, S. 323.
3) Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 44.
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