herauszog, war sie von Aussaz bedeckt: er musste sie noch einmal hineinstecken, und beim abermaligen Heraus- ziehen war sie wieder rein (2 Mos. 4, 6. 7.). Später, we- gen eines Empörungsversuchs gegen Moses, wurde seine Schwester Mirjam plözlich mit Aussaz geschlagen, aber auf die Fürbitte des Moses bald wieder geheilt (4 Mos. 12, 10 ff.). Besonders aber spielt unter den Wunderthaten des Pro- pheten Elisa die Heilung eines Aussätzigen, deren auch Je- sus (Luc. 4, 27.) gedenkt, eine bedeutende Rolle. Der sy- rische Feldherr Naeman, welcher am Aussaz litt, wandte sich an den israelitischen Propheten um Hülfe; dieser liess ihm die Weisung geben, er solle sich siebenmal im Jordan waschen, worauf auch wirklich der Aussaz wich, welchen aber der Prophet später veranlasst war, auf seinen betrü- gerischen Diener Gehasi überzutragen (2 Kön. 5.). Ich wüsste nicht, was wir ausser diesen A. T.lichen Vorgän- gen noch weiter bedürfen sollten, um die Entstehung der evangelischen Anekdote erklärbar zu finden. Was der er- ste Goel in Jehova's Auftrag vermochte, das, wie gesagt, musste auch der zweite zu thun im Stande sein, und oh- nehin hinter einem Propheten durfte der Propheten gröss- ter nicht zurückbleiben. Waren hienach ohne Zweifel schon in dem jüdischen Messiasbilde dergleichen Heilungen mit- begriffen, so waren noch bestimmter die Christen, welche den Messias in Jesu wirklich erschienen glaubten, veran- lasst, seine Geschichte durch solche aus der mosaischen und prophetischen Sage genommene Züge zu verherrlichen, nur dass sie dem milden Geiste des neuen Bundes (Luc. 9, 55 f.) gemäss die strafende Seite jener alten Wunder wegliessen.
Etwas mehr Schein hat die rationalistische Berufung auf den Mangel einer ausdrücklichen Angabe, dass eine wunderbare Reinigung vom Aussaz gemeint sei, bei der Erzählung von den zehn Aussätzigen, welche dem Lukas eigenthümlich ist (17, 12 ff.). Hier nämlich verlangen we-
Neuntes Kapitel. §. 90.
herauszog, war sie von Aussaz bedeckt: er muſste sie noch einmal hineinstecken, und beim abermaligen Heraus- ziehen war sie wieder rein (2 Mos. 4, 6. 7.). Später, we- gen eines Empörungsversuchs gegen Moses, wurde seine Schwester Mirjam plözlich mit Aussaz geschlagen, aber auf die Fürbitte des Moses bald wieder geheilt (4 Mos. 12, 10 ff.). Besonders aber spielt unter den Wunderthaten des Pro- pheten Elisa die Heilung eines Aussätzigen, deren auch Je- sus (Luc. 4, 27.) gedenkt, eine bedeutende Rolle. Der sy- rische Feldherr Naëman, welcher am Aussaz litt, wandte sich an den israëlitischen Propheten um Hülfe; dieser lieſs ihm die Weisung geben, er solle sich siebenmal im Jordan waschen, worauf auch wirklich der Aussaz wich, welchen aber der Prophet später veranlaſst war, auf seinen betrü- gerischen Diener Gehasi überzutragen (2 Kön. 5.). Ich wüſste nicht, was wir ausser diesen A. T.lichen Vorgän- gen noch weiter bedürfen sollten, um die Entstehung der evangelischen Anekdote erklärbar zu finden. Was der er- ste Goël in Jehova's Auftrag vermochte, das, wie gesagt, muſste auch der zweite zu thun im Stande sein, und oh- nehin hinter einem Propheten durfte der Propheten gröſs- ter nicht zurückbleiben. Waren hienach ohne Zweifel schon in dem jüdischen Messiasbilde dergleichen Heilungen mit- begriffen, so waren noch bestimmter die Christen, welche den Messias in Jesu wirklich erschienen glaubten, veran- laſst, seine Geschichte durch solche aus der mosaischen und prophetischen Sage genommene Züge zu verherrlichen, nur daſs sie dem milden Geiste des neuen Bundes (Luc. 9, 55 f.) gemäſs die strafende Seite jener alten Wunder weglieſsen.
Etwas mehr Schein hat die rationalistische Berufung auf den Mangel einer ausdrücklichen Angabe, daſs eine wunderbare Reinigung vom Aussaz gemeint sei, bei der Erzählung von den zehn Aussätzigen, welche dem Lukas eigenthümlich ist (17, 12 ff.). Hier nämlich verlangen we-
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Neuntes Kapitel. §. 90.
herauszog, war sie von Aussaz bedeckt: er muſste sie
noch einmal hineinstecken, und beim abermaligen Heraus-
ziehen war sie wieder rein (2 Mos. 4, 6. 7.). Später, we-
gen eines Empörungsversuchs gegen Moses, wurde seine
Schwester Mirjam plözlich mit Aussaz geschlagen, aber auf
die Fürbitte des Moses bald wieder geheilt (4 Mos. 12, 10 ff.).
Besonders aber spielt unter den Wunderthaten des Pro-
pheten Elisa die Heilung eines Aussätzigen, deren auch Je-
sus (Luc. 4, 27.) gedenkt, eine bedeutende Rolle. Der sy-
rische Feldherr Naëman, welcher am Aussaz litt, wandte
sich an den israëlitischen Propheten um Hülfe; dieser lieſs
ihm die Weisung geben, er solle sich siebenmal im Jordan
waschen, worauf auch wirklich der Aussaz wich, welchen
aber der Prophet später veranlaſst war, auf seinen betrü-
gerischen Diener Gehasi überzutragen (2 Kön. 5.). Ich
wüſste nicht, was wir ausser diesen A. T.lichen Vorgän-
gen noch weiter bedürfen sollten, um die Entstehung der
evangelischen Anekdote erklärbar zu finden. Was der er-
ste Goël in Jehova's Auftrag vermochte, das, wie gesagt,
muſste auch der zweite zu thun im Stande sein, und oh-
nehin hinter einem Propheten durfte der Propheten gröſs-
ter nicht zurückbleiben. Waren hienach ohne Zweifel schon
in dem jüdischen Messiasbilde dergleichen Heilungen mit-
begriffen, so waren noch bestimmter die Christen, welche
den Messias in Jesu wirklich erschienen glaubten, veran-
laſst, seine Geschichte durch solche aus der mosaischen
und prophetischen Sage genommene Züge zu verherrlichen,
nur daſs sie dem milden Geiste des neuen Bundes (Luc.
9, 55 f.) gemäſs die strafende Seite jener alten Wunder
weglieſsen.
Etwas mehr Schein hat die rationalistische Berufung
auf den Mangel einer ausdrücklichen Angabe, daſs eine
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eigenthümlich ist (17, 12 ff.). Hier nämlich verlangen we-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/76>, abgerufen am 22.07.2024.
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