dass der Hauptgegenstand seiner Lehre eben seine Person war; Hoherpriester und zugleich Opfer ist er, sofern er, der Sündlose, aus dessen Dasein sich daher auch kein Übel entwickeln konnte, in die Gemeinschaft des sündlichen Lebens der Menschheit eintrat, und die in demselben er- zeugten Übel auf sich nahm, um sofort uns in die Gemein- schaft seines sündlosen und seligen Lebens aufzunehmen, d. h., Sünde und Übel auch in und für uns aufzuheben, und uns vor Gott rein darzustellen; König endlich ist er, sofern er diese Segnungen eben in Form eines Gemeinwe- sens, dessen Haupt er ist, an die Menschheit bringt.
Aus diesem nun, was Christus wirkt, ergiebt sich, was er gewesen ist. Verdanken wir ihm die immer stei- gende Kräftigung unsres Gottesbewusstseins: so muss diess in ihm in absoluter Kräftigkeit gewesen sein, so dass es, oder Gott in Form des Bewusstseins, das allein Wirksame in ihm war, und diess ist der Sinn des kirchlichen Aus- drucks, dass Gott in Christo Mensch geworden ist. Wirkt ferner Christus in uns die immer vollständigere Überwin- dung der Sinnlichkeit: so muss diese in ihm schlechthin überwunden gewesen sein, in keinem Augenblick seines Lebens kann das sinnliche Bewusstsein dem Gottesbewusst- sein den Sieg streitig gemacht, nie ein Schwanken und Kampf in ihm stattgefunden haben, d. h. die menschliche Natur in ihm war unsündlich, und zwar in dem strenge- ren Sinn, dass er, vermöge des wesentlichen Übergewichts der höheren Kräfte in ihm über die niederen, unmöglich sündigen konnte. Ist er durch diese Eigenthümlichkeit sei- nes Wesens das Urbild, welchem seine Gemeinde sich im- mer nur annähern, nie über dasselbe hinauskommen kann: so muss er doch -- sonst könnte zwischen ihm und uns keine wahrhafte Gemeinschaft stattfinden -- unter den ge- wöhnlichen Bedingungen des menschlichen Lebens sich ent- wickelt haben, das Urbildliche muss in ihm vollkommen ge- schichtlich geworden sein, jeder seiner geschichtlichen Mo-
Schluſsabhandlung. §. 144.
daſs der Hauptgegenstand seiner Lehre eben seine Person war; Hoherpriester und zugleich Opfer ist er, sofern er, der Sündlose, aus dessen Dasein sich daher auch kein Übel entwickeln konnte, in die Gemeinschaft des sündlichen Lebens der Menschheit eintrat, und die in demselben er- zeugten Übel auf sich nahm, um sofort uns in die Gemein- schaft seines sündlosen und seligen Lebens aufzunehmen, d. h., Sünde und Übel auch in und für uns aufzuheben, und uns vor Gott rein darzustellen; König endlich ist er, sofern er diese Segnungen eben in Form eines Gemeinwe- sens, dessen Haupt er ist, an die Menschheit bringt.
Aus diesem nun, was Christus wirkt, ergiebt sich, was er gewesen ist. Verdanken wir ihm die immer stei- gende Kräftigung unsres Gottesbewuſstseins: so muſs dieſs in ihm in absoluter Kräftigkeit gewesen sein, so daſs es, oder Gott in Form des Bewuſstseins, das allein Wirksame in ihm war, und dieſs ist der Sinn des kirchlichen Aus- drucks, daſs Gott in Christo Mensch geworden ist. Wirkt ferner Christus in uns die immer vollständigere Überwin- dung der Sinnlichkeit: so muſs diese in ihm schlechthin überwunden gewesen sein, in keinem Augenblick seines Lebens kann das sinnliche Bewuſstsein dem Gottesbewuſst- sein den Sieg streitig gemacht, nie ein Schwanken und Kampf in ihm stattgefunden haben, d. h. die menschliche Natur in ihm war unsündlich, und zwar in dem strenge- ren Sinn, daſs er, vermöge des wesentlichen Übergewichts der höheren Kräfte in ihm über die niederen, unmöglich sündigen konnte. Ist er durch diese Eigenthümlichkeit sei- nes Wesens das Urbild, welchem seine Gemeinde sich im- mer nur annähern, nie über dasselbe hinauskommen kann: so muſs er doch — sonst könnte zwischen ihm und uns keine wahrhafte Gemeinschaft stattfinden — unter den ge- wöhnlichen Bedingungen des menschlichen Lebens sich ent- wickelt haben, das Urbildliche muſs in ihm vollkommen ge- schichtlich geworden sein, jeder seiner geschichtlichen Mo-
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Schluſsabhandlung. §. 144.
daſs der Hauptgegenstand seiner Lehre eben seine Person
war; Hoherpriester und zugleich Opfer ist er, sofern er,
der Sündlose, aus dessen Dasein sich daher auch kein Übel
entwickeln konnte, in die Gemeinschaft des sündlichen
Lebens der Menschheit eintrat, und die in demselben er-
zeugten Übel auf sich nahm, um sofort uns in die Gemein-
schaft seines sündlosen und seligen Lebens aufzunehmen,
d. h., Sünde und Übel auch in und für uns aufzuheben,
und uns vor Gott rein darzustellen; König endlich ist er,
sofern er diese Segnungen eben in Form eines Gemeinwe-
sens, dessen Haupt er ist, an die Menschheit bringt.
Aus diesem nun, was Christus wirkt, ergiebt sich,
was er gewesen ist. Verdanken wir ihm die immer stei-
gende Kräftigung unsres Gottesbewuſstseins: so muſs dieſs
in ihm in absoluter Kräftigkeit gewesen sein, so daſs es,
oder Gott in Form des Bewuſstseins, das allein Wirksame
in ihm war, und dieſs ist der Sinn des kirchlichen Aus-
drucks, daſs Gott in Christo Mensch geworden ist. Wirkt
ferner Christus in uns die immer vollständigere Überwin-
dung der Sinnlichkeit: so muſs diese in ihm schlechthin
überwunden gewesen sein, in keinem Augenblick seines
Lebens kann das sinnliche Bewuſstsein dem Gottesbewuſst-
sein den Sieg streitig gemacht, nie ein Schwanken und
Kampf in ihm stattgefunden haben, d. h. die menschliche
Natur in ihm war unsündlich, und zwar in dem strenge-
ren Sinn, daſs er, vermöge des wesentlichen Übergewichts
der höheren Kräfte in ihm über die niederen, unmöglich
sündigen konnte. Ist er durch diese Eigenthümlichkeit sei-
nes Wesens das Urbild, welchem seine Gemeinde sich im-
mer nur annähern, nie über dasselbe hinauskommen kann:
so muſs er doch — sonst könnte zwischen ihm und uns
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/732>, abgerufen am 23.11.2024.
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