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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Schlussabhandlung. §. 141.
seiner Person in die engste Verbindung gesezt wurde. Der
Mensch ist Gott vollständigen Gehorsam schuldig; der Sün-
der aber -- und diess sind alle Menschen -- entzieht Gott
die schuldige Leistung und Ehre. Da nun Gott eine Be-
leidigung seiner Ehre vermöge seiner Gerechtigkeit nicht
dulden kann: so muss entweder der Mensch freiwillig Gott
wiedergeben, was Gottes ist, ja zur Genugthuung ihm
noch mehr leisten, als er ihm entzogen hat, oder muss Gott
dem Menschen mit Gewalt nehmen, was des Menschen ist,
d. h. die Glückseligkeit, zu der er geschaffen ist, ihm zur
Strafe entziehen. Jenes zu thun ist der Mensch nicht im
Stande; denn da er alles Gute, was er thun kann, Gott
schuldig ist, um nicht in Sünde zu verfallen, so kann er
nichts Gutes übrig haben, um durch diesen Überschuss die
begangene Sünde zu decken. Dass andrerseits Gott durch
ewige Strafen sich Genugthuung verschaffe, dagegen ist sei-
ne unveränderliche Güte, kraft welcher er den zur Selig-
keit bestimmten Menschen auch wirklich zu dieser führen
will. Diess kann aber vermöge der göttlichen Gerechtig-
keit nicht geschehen, wenn nicht Genugthuung für den
Menschen geleistet, und nach Maassgabe dessen, was Gott
entzogen worden ist, ihm etwas gegeben wird, das grösser
ist, als Alles ausser Gott. Diess aber ist nur Gott selbst,
und da andrerseits für den Menschen nur der Mensch ge-
nugthun kann: so muss es ein Gottmensch sein, der die
Genugthuung leistet. Diese kann näher nicht in thätigem
Gehorsam, in sündlosem Leben, bestehen, weil diess jedes
vernünftige Wesen Gott für sich selbst schon schuldig ist;
aber den Tod, der Sünden Sold, auf sich zu nehmen, ist
der Sündlose nicht schuldig, und besteht also die Genug-
thuung für die Sünde der Menschen im Tod des Gottmen-
schen, dessen Belohnung, weil er als Eins mit Gott nicht
selbst belohnt werden kann, der Menschheit zu Gute kommt.

Dieses altkirchliche Lehrsystem über die Person und
Thätigkeit Christi gieng auch in die Bekenntnissschriften

Schluſsabhandlung. §. 141.
seiner Person in die engste Verbindung gesezt wurde. Der
Mensch ist Gott vollständigen Gehorsam schuldig; der Sün-
der aber — und dieſs sind alle Menschen — entzieht Gott
die schuldige Leistung und Ehre. Da nun Gott eine Be-
leidigung seiner Ehre vermöge seiner Gerechtigkeit nicht
dulden kann: so muſs entweder der Mensch freiwillig Gott
wiedergeben, was Gottes ist, ja zur Genugthuung ihm
noch mehr leisten, als er ihm entzogen hat, oder muſs Gott
dem Menschen mit Gewalt nehmen, was des Menschen ist,
d. h. die Glückseligkeit, zu der er geschaffen ist, ihm zur
Strafe entziehen. Jenes zu thun ist der Mensch nicht im
Stande; denn da er alles Gute, was er thun kann, Gott
schuldig ist, um nicht in Sünde zu verfallen, so kann er
nichts Gutes übrig haben, um durch diesen Überschuſs die
begangene Sünde zu decken. Daſs andrerseits Gott durch
ewige Strafen sich Genugthuung verschaffe, dagegen ist sei-
ne unveränderliche Güte, kraft welcher er den zur Selig-
keit bestimmten Menschen auch wirklich zu dieser führen
will. Dieſs kann aber vermöge der göttlichen Gerechtig-
keit nicht geschehen, wenn nicht Genugthuung für den
Menschen geleistet, und nach Maaſsgabe dessen, was Gott
entzogen worden ist, ihm etwas gegeben wird, das gröſser
ist, als Alles ausser Gott. Dieſs aber ist nur Gott selbst,
und da andrerseits für den Menschen nur der Mensch ge-
nugthun kann: so muſs es ein Gottmensch sein, der die
Genugthuung leistet. Diese kann näher nicht in thätigem
Gehorsam, in sündlosem Leben, bestehen, weil dieſs jedes
vernünftige Wesen Gott für sich selbst schon schuldig ist;
aber den Tod, der Sünden Sold, auf sich zu nehmen, ist
der Sündlose nicht schuldig, und besteht also die Genug-
thuung für die Sünde der Menschen im Tod des Gottmen-
schen, dessen Belohnung, weil er als Eins mit Gott nicht
selbst belohnt werden kann, der Menschheit zu Gute kommt.

Dieses altkirchliche Lehrsystem über die Person und
Thätigkeit Christi gieng auch in die Bekenntniſsschriften

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[698/0717] Schluſsabhandlung. §. 141. seiner Person in die engste Verbindung gesezt wurde. Der Mensch ist Gott vollständigen Gehorsam schuldig; der Sün- der aber — und dieſs sind alle Menschen — entzieht Gott die schuldige Leistung und Ehre. Da nun Gott eine Be- leidigung seiner Ehre vermöge seiner Gerechtigkeit nicht dulden kann: so muſs entweder der Mensch freiwillig Gott wiedergeben, was Gottes ist, ja zur Genugthuung ihm noch mehr leisten, als er ihm entzogen hat, oder muſs Gott dem Menschen mit Gewalt nehmen, was des Menschen ist, d. h. die Glückseligkeit, zu der er geschaffen ist, ihm zur Strafe entziehen. Jenes zu thun ist der Mensch nicht im Stande; denn da er alles Gute, was er thun kann, Gott schuldig ist, um nicht in Sünde zu verfallen, so kann er nichts Gutes übrig haben, um durch diesen Überschuſs die begangene Sünde zu decken. Daſs andrerseits Gott durch ewige Strafen sich Genugthuung verschaffe, dagegen ist sei- ne unveränderliche Güte, kraft welcher er den zur Selig- keit bestimmten Menschen auch wirklich zu dieser führen will. Dieſs kann aber vermöge der göttlichen Gerechtig- keit nicht geschehen, wenn nicht Genugthuung für den Menschen geleistet, und nach Maaſsgabe dessen, was Gott entzogen worden ist, ihm etwas gegeben wird, das gröſser ist, als Alles ausser Gott. Dieſs aber ist nur Gott selbst, und da andrerseits für den Menschen nur der Mensch ge- nugthun kann: so muſs es ein Gottmensch sein, der die Genugthuung leistet. Diese kann näher nicht in thätigem Gehorsam, in sündlosem Leben, bestehen, weil dieſs jedes vernünftige Wesen Gott für sich selbst schon schuldig ist; aber den Tod, der Sünden Sold, auf sich zu nehmen, ist der Sündlose nicht schuldig, und besteht also die Genug- thuung für die Sünde der Menschen im Tod des Gottmen- schen, dessen Belohnung, weil er als Eins mit Gott nicht selbst belohnt werden kann, der Menschheit zu Gute kommt. Dieses altkirchliche Lehrsystem über die Person und Thätigkeit Christi gieng auch in die Bekenntniſsschriften

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/717>, abgerufen am 23.11.2024.