das Bedürfniss fühlen, nun ebenso auch die Seite der Iden- tität zu ihrem Rechte zu bringen.
Zunächst, indem unsre Kritik zwar in aller Ausführ- lichkeit vollzogen worden, aber nunmehr an dem Bewusst- sein vorübergegangen ist, fällt sie demselben wieder zur Einfachheit des unentwickelten Zweifels zusammen, gegen welchen sich das glaubige Bewusstsein mit einem ebenso einfachen Veto kehrt, und nach Zurückweisung desselben das Geglaubte in unverkümmerter Fülle wieder ausbreitet. Indem aber hiemit die Kritik nur beseitigt, nicht überwun- den ist, wird das Geglaubte nicht wahrhaft vermittelt, son- dern bleibt in seiner Unmittelbarkeit. Scheint so, indem gegen diese Unmittelbarkeit abermals die Kritik sich keh- ren muss, der eben vollendete Process sich zu wiederholen, und wir zum Anfang der Untersuchung zurückgeworfen zu sein: so thut sich doch zugleich eine Differenz hervor, welche die Sache weiter führt. Bisher war Gegenstand der Kritik der christliche Inhalt, wie er in den evange- lischen Urkunden als Geschichte Jesu vorliegt: nun dieser durch den Zweifel in Anspruch genommen ist, reflectirt er sich in sich, sucht eine Freistätte im Innern der Glaubi- gen, wo er aber nicht als blosse Geschichte, sondern als in sich reflectirte Geschichte, d. h. als Bekenntniss und Dogma, vorhanden ist. Erwacht daher allerdings auch ge- gen das in seiner Unmittelbarkeit auftretende Dogma, wie gegen jede Unmittelbarkeit, die Kritik als Negativität und Streben nach Vermittlung: so ist diese doch nicht mehr, wie bisher, historische, sondern dogmatische Kritik, und erst durch beide hindurchgegangen, ist der Glaube wahr- haft vermittelt, oder zum Wissen geworden.
Dieses zweite Stadium, welches der Glaube zu durch- laufen hat, müsste eigentlich ebenso wie das erste Ge- genstand eines eigenen Werkes sein: hier soll es nur in seinen Grundzügen verzeichnet werden, um die historische
Schluſsabhandlung. §. 140.
das Bedürfniſs fühlen, nun ebenso auch die Seite der Iden- tität zu ihrem Rechte zu bringen.
Zunächst, indem unsre Kritik zwar in aller Ausführ- lichkeit vollzogen worden, aber nunmehr an dem Bewuſst- sein vorübergegangen ist, fällt sie demselben wieder zur Einfachheit des unentwickelten Zweifels zusammen, gegen welchen sich das glaubige Bewuſstsein mit einem ebenso einfachen Veto kehrt, und nach Zurückweisung desselben das Geglaubte in unverkümmerter Fülle wieder ausbreitet. Indem aber hiemit die Kritik nur beseitigt, nicht überwun- den ist, wird das Geglaubte nicht wahrhaft vermittelt, son- dern bleibt in seiner Unmittelbarkeit. Scheint so, indem gegen diese Unmittelbarkeit abermals die Kritik sich keh- ren muſs, der eben vollendete Proceſs sich zu wiederholen, und wir zum Anfang der Untersuchung zurückgeworfen zu sein: so thut sich doch zugleich eine Differenz hervor, welche die Sache weiter führt. Bisher war Gegenstand der Kritik der christliche Inhalt, wie er in den evange- lischen Urkunden als Geschichte Jesu vorliegt: nun dieser durch den Zweifel in Anspruch genommen ist, reflectirt er sich in sich, sucht eine Freistätte im Innern der Glaubi- gen, wo er aber nicht als bloſse Geschichte, sondern als in sich reflectirte Geschichte, d. h. als Bekenntniſs und Dogma, vorhanden ist. Erwacht daher allerdings auch ge- gen das in seiner Unmittelbarkeit auftretende Dogma, wie gegen jede Unmittelbarkeit, die Kritik als Negativität und Streben nach Vermittlung: so ist diese doch nicht mehr, wie bisher, historische, sondern dogmatische Kritik, und erst durch beide hindurchgegangen, ist der Glaube wahr- haft vermittelt, oder zum Wissen geworden.
Dieses zweite Stadium, welches der Glaube zu durch- laufen hat, müſste eigentlich ebenso wie das erste Ge- genstand eines eigenen Werkes sein: hier soll es nur in seinen Grundzügen verzeichnet werden, um die historische
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Schluſsabhandlung. §. 140.
das Bedürfniſs fühlen, nun ebenso auch die Seite der Iden-
tität zu ihrem Rechte zu bringen.
Zunächst, indem unsre Kritik zwar in aller Ausführ-
lichkeit vollzogen worden, aber nunmehr an dem Bewuſst-
sein vorübergegangen ist, fällt sie demselben wieder zur
Einfachheit des unentwickelten Zweifels zusammen, gegen
welchen sich das glaubige Bewuſstsein mit einem ebenso
einfachen Veto kehrt, und nach Zurückweisung desselben
das Geglaubte in unverkümmerter Fülle wieder ausbreitet.
Indem aber hiemit die Kritik nur beseitigt, nicht überwun-
den ist, wird das Geglaubte nicht wahrhaft vermittelt, son-
dern bleibt in seiner Unmittelbarkeit. Scheint so, indem
gegen diese Unmittelbarkeit abermals die Kritik sich keh-
ren muſs, der eben vollendete Proceſs sich zu wiederholen,
und wir zum Anfang der Untersuchung zurückgeworfen
zu sein: so thut sich doch zugleich eine Differenz hervor,
welche die Sache weiter führt. Bisher war Gegenstand
der Kritik der christliche Inhalt, wie er in den evange-
lischen Urkunden als Geschichte Jesu vorliegt: nun dieser
durch den Zweifel in Anspruch genommen ist, reflectirt er
sich in sich, sucht eine Freistätte im Innern der Glaubi-
gen, wo er aber nicht als bloſse Geschichte, sondern als
in sich reflectirte Geschichte, d. h. als Bekenntniſs und
Dogma, vorhanden ist. Erwacht daher allerdings auch ge-
gen das in seiner Unmittelbarkeit auftretende Dogma, wie
gegen jede Unmittelbarkeit, die Kritik als Negativität und
Streben nach Vermittlung: so ist diese doch nicht mehr,
wie bisher, historische, sondern dogmatische Kritik, und
erst durch beide hindurchgegangen, ist der Glaube wahr-
haft vermittelt, oder zum Wissen geworden.
Dieses zweite Stadium, welches der Glaube zu durch-
laufen hat, müſste eigentlich ebenso wie das erste Ge-
genstand eines eigenen Werkes sein: hier soll es nur in
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 688. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/707>, abgerufen am 23.11.2024.
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