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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Fünftes Kapitel. §. 137.
Zeichen seiner Jüngerschaft einen Werth gelegt. -- Bei
Lukas ist der Gegenstand der lezten Verheissung Jesu die
duouamis ex upsmis, welche er, gemäss der epaggelia tou
patros, den Aposteln schicken, und deren Mittheilung
sie in Jerusalem abwarten sollten (24, 49.), und A. G. 1,
5. ff. bestimmt Jesus diese Kraftmittheilung näher als eine
Taufe mit dem pneuma agion, welche nach wenigen Tagen
den Jüngern zu Theil werden, und sie zur Verkündigung
des Evangeliums befähigen werde. -- Mit diesen Stellen
des Lukas, welche die Mittheilung des heiligen Geistes in
die Tage nach der Himmelfahrt setzen, scheint die Nach-
richt des vierten Evangeliums im Widerspruch zu stehen,
dass Jesus schon in den Tagen seiner Auferstehung, und
zwar bei der ersten Erscheinung im Kreise der Eilfe, ih-
nen den heiligen Geist mitgetheilt habe. Joh. 20, 22. f.
lesen wir nämlich, dass Jesus, bei verschlossenen Thüren
erscheinend, die Jünger angeblasen und gesprochen habe:
labete pneuma agion, womit er die Befugniss, Sünden zu
erlassen und zu behalten, verbunden habe.

Hätte man über die Mittheilung des pneuma bloss diese
Stelle, so würde jedermann glauben, die Jünger haben
es schon damals von dem persönlich gegenwärtigen Jesus,
und nicht erst später nach seiner Erhebung zum Himmel,
mitgetheilt bekommen. Aber in harmonistischem Interesse
hat schon Theodor von Mopsvestia, wie jezt Tholuck, ge-
schlossen, das labete bei Johannes müsse in der Bedeu-
tung von lepsesthe genommen werden, weil ja nach Lukas
der heilige Geist den Jüngern erst später, am Pfingstfest,
mitgetheilt worden sei. Allein, wie wenn er einer solchen
Verdrehung vorbeugen wollte, fügt der johanneische Jesus
seinen Worten die sinnbildliche Handlung des Anhauchens
hinzu, welche aufs Unverkennbarste das lambanein des
pneuma als ein gegenwärtiges darstellt 6). Die Ausleger

6) Lücke, Comm. z. Joh. 2, S. 686.

Fünftes Kapitel. §. 137.
Zeichen seiner Jüngerschaft einen Werth gelegt. — Bei
Lukas ist der Gegenstand der lezten Verheissung Jesu die
δύουαμις ἐξ ὕψμις, welche er, gemäſs der ἐπαγγελία τοῦ
πατρὸς, den Aposteln schicken, und deren Mittheilung
sie in Jerusalem abwarten sollten (24, 49.), und A. G. 1,
5. ff. bestimmt Jesus diese Kraftmittheilung näher als eine
Taufe mit dem πνεῦμα ἅγιον, welche nach wenigen Tagen
den Jüngern zu Theil werden, und sie zur Verkündigung
des Evangeliums befähigen werde. — Mit diesen Stellen
des Lukas, welche die Mittheilung des heiligen Geistes in
die Tage nach der Himmelfahrt setzen, scheint die Nach-
richt des vierten Evangeliums im Widerspruch zu stehen,
daſs Jesus schon in den Tagen seiner Auferstehung, und
zwar bei der ersten Erscheinung im Kreise der Eilfe, ih-
nen den heiligen Geist mitgetheilt habe. Joh. 20, 22. f.
lesen wir nämlich, daſs Jesus, bei verschlossenen Thüren
erscheinend, die Jünger angeblasen und gesprochen habe:
λάβετε πνεῦμα ἅγιον, womit er die Befugniſs, Sünden zu
erlassen und zu behalten, verbunden habe.

Hätte man über die Mittheilung des πνεῦμα bloſs diese
Stelle, so würde jedermann glauben, die Jünger haben
es schon damals von dem persönlich gegenwärtigen Jesus,
und nicht erst später nach seiner Erhebung zum Himmel,
mitgetheilt bekommen. Aber in harmonistischem Interesse
hat schon Theodor von Mopsvestia, wie jezt Tholuck, ge-
schlossen, das λάβετε bei Johannes müsse in der Bedeu-
tung von λήψεσϑε genommen werden, weil ja nach Lukas
der heilige Geist den Jüngern erst später, am Pfingstfest,
mitgetheilt worden sei. Allein, wie wenn er einer solchen
Verdrehung vorbeugen wollte, fügt der johanneische Jesus
seinen Worten die sinnbildliche Handlung des Anhauchens
hinzu, welche aufs Unverkennbarste das λαμβάνειν des
πνεῦμα als ein gegenwärtiges darstellt 6). Die Ausleger

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[667/0686] Fünftes Kapitel. §. 137. Zeichen seiner Jüngerschaft einen Werth gelegt. — Bei Lukas ist der Gegenstand der lezten Verheissung Jesu die δύουαμις ἐξ ὕψμις, welche er, gemäſs der ἐπαγγελία τοῦ πατρὸς, den Aposteln schicken, und deren Mittheilung sie in Jerusalem abwarten sollten (24, 49.), und A. G. 1, 5. ff. bestimmt Jesus diese Kraftmittheilung näher als eine Taufe mit dem πνεῦμα ἅγιον, welche nach wenigen Tagen den Jüngern zu Theil werden, und sie zur Verkündigung des Evangeliums befähigen werde. — Mit diesen Stellen des Lukas, welche die Mittheilung des heiligen Geistes in die Tage nach der Himmelfahrt setzen, scheint die Nach- richt des vierten Evangeliums im Widerspruch zu stehen, daſs Jesus schon in den Tagen seiner Auferstehung, und zwar bei der ersten Erscheinung im Kreise der Eilfe, ih- nen den heiligen Geist mitgetheilt habe. Joh. 20, 22. f. lesen wir nämlich, daſs Jesus, bei verschlossenen Thüren erscheinend, die Jünger angeblasen und gesprochen habe: λάβετε πνεῦμα ἅγιον, womit er die Befugniſs, Sünden zu erlassen und zu behalten, verbunden habe. Hätte man über die Mittheilung des πνεῦμα bloſs diese Stelle, so würde jedermann glauben, die Jünger haben es schon damals von dem persönlich gegenwärtigen Jesus, und nicht erst später nach seiner Erhebung zum Himmel, mitgetheilt bekommen. Aber in harmonistischem Interesse hat schon Theodor von Mopsvestia, wie jezt Tholuck, ge- schlossen, das λάβετε bei Johannes müsse in der Bedeu- tung von λήψεσϑε genommen werden, weil ja nach Lukas der heilige Geist den Jüngern erst später, am Pfingstfest, mitgetheilt worden sei. Allein, wie wenn er einer solchen Verdrehung vorbeugen wollte, fügt der johanneische Jesus seinen Worten die sinnbildliche Handlung des Anhauchens hinzu, welche aufs Unverkennbarste das λαμβάνειν des πνεῦμα als ein gegenwärtiges darstellt 6). Die Ausleger 6) Lücke, Comm. z. Joh. 2, S. 686.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 667. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/686>, abgerufen am 23.11.2024.