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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
als ein Reden mit ihnen aufzufassen? wie denkbar end-
lich ist es, dass diese Eindrücke bisweilen bei Einzelnen,
namentlich Frauen, und bei ganzen Versammlungen bis
zur wirklichen Vision sich steigerten, eine Höhe des from-
men Enthusiasmus, welche auch sonst bei religiösen Ge-
sellschaften, besonders gedrückten und verfolgten, vorzu-
kommen pflegt. Sollte aber der gekreuzigte Messias wahr-
haft in die höchste Form des seligen Lebens eingegangen
sein: so durfte er seinen Leib nicht im Grabe gelassen
haben, und wenn nun gerade in solchen A. T.lichen Stel-
len, welche eine vorbildliche Beziehung auf das Leiden des
Messias zuliessen, zugleich die Hoffnung sich ausgespro-
chen fand: oti ouk egkataleipseis ten psukhen mou eis adou,
oude doseis ton osion sou
idein diaphthoran (Ps. 16, 10. A. G.
2, 27.); wenn Jes. 53, 10. dem zur Schlachtbank Geführ-
ten, Getödteten und Begrabenen nachher noch ein langes
Leben verheissen war: was lag den Jüngern näher, als
ihre frühere jüdische Vorstellung, oti o Khrisos menei eis
ton aiona (Joh. 12, 34.), die ihnen im Tode Jesu unter-
gegangen war, durch Vermittlung des Gedankens einer
wirklichen Wiederbelebung des Getödteten wiederherzu-
stellen, und zwar, da es messianisches Attribut war, einst
die Todten leiblich zu erwecken, ihn gleichfalls in Form
der anasasis in das Leben zurückkehren zu lassen?

Indess, wenn doch der Leichnam Jesu an einem be-
kannten Platze beigesezt war, und an diesem (sofern wir
weder einen Diebstahl, noch eine zufällige Entfernung des-
selben postuliren mögen) aufgesucht und nachgewiesen
werden konnte, ist es schwer zu begreifen, wie die Jün-
ger in Jerusalem selbst, und nicht volle zwei Tage nach
der Beerdigung, meinen und aussagen konnten, Jesus sei
auferstanden, ohne durch den Augenschein am Grabe sich
selbst zu widerlegen, und von ihren Widersachern (de-
nen sie freilich erst an Pfingsten etwas von der Auferste-
hung ihres Messias eröffnet zu haben scheinen) widerlegt

Dritter Abschnitt.
als ein Reden mit ihnen aufzufassen? wie denkbar end-
lich ist es, daſs diese Eindrücke bisweilen bei Einzelnen,
namentlich Frauen, und bei ganzen Versammlungen bis
zur wirklichen Vision sich steigerten, eine Höhe des from-
men Enthusiasmus, welche auch sonst bei religiösen Ge-
sellschaften, besonders gedrückten und verfolgten, vorzu-
kommen pflegt. Sollte aber der gekreuzigte Messias wahr-
haft in die höchste Form des seligen Lebens eingegangen
sein: so durfte er seinen Leib nicht im Grabe gelassen
haben, und wenn nun gerade in solchen A. T.lichen Stel-
len, welche eine vorbildliche Beziehung auf das Leiden des
Messias zulieſsen, zugleich die Hoffnung sich ausgespro-
chen fand: ὅτι οὐκ ἐγκαταλείψεις τὴν ψυχήν μου εἰς ᾅδου,
οὐδὲ δωσεις τὸν ὅσιόν σου
ἰδεῖν διαφϑοράν (Ps. 16, 10. A. G.
2, 27.); wenn Jes. 53, 10. dem zur Schlachtbank Geführ-
ten, Getödteten und Begrabenen nachher noch ein langes
Leben verheiſsen war: was lag den Jüngern näher, als
ihre frühere jüdische Vorstellung, ὅτι ὁ Χριςὸς μένει εἰς
τὸν αἰῶνα (Joh. 12, 34.), die ihnen im Tode Jesu unter-
gegangen war, durch Vermittlung des Gedankens einer
wirklichen Wiederbelebung des Getödteten wiederherzu-
stellen, und zwar, da es messianisches Attribut war, einst
die Todten leiblich zu erwecken, ihn gleichfalls in Form
der ἀνάςασις in das Leben zurückkehren zu lassen?

Indeſs, wenn doch der Leichnam Jesu an einem be-
kannten Platze beigesezt war, und an diesem (sofern wir
weder einen Diebstahl, noch eine zufällige Entfernung des-
selben postuliren mögen) aufgesucht und nachgewiesen
werden konnte, ist es schwer zu begreifen, wie die Jün-
ger in Jerusalem selbst, und nicht volle zwei Tage nach
der Beerdigung, meinen und aussagen konnten, Jesus sei
auferstanden, ohne durch den Augenschein am Grabe sich
selbst zu widerlegen, und von ihren Widersachern (de-
nen sie freilich erst an Pfingsten etwas von der Auferste-
hung ihres Messias eröffnet zu haben scheinen) widerlegt

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[660/0679] Dritter Abschnitt. als ein Reden mit ihnen aufzufassen? wie denkbar end- lich ist es, daſs diese Eindrücke bisweilen bei Einzelnen, namentlich Frauen, und bei ganzen Versammlungen bis zur wirklichen Vision sich steigerten, eine Höhe des from- men Enthusiasmus, welche auch sonst bei religiösen Ge- sellschaften, besonders gedrückten und verfolgten, vorzu- kommen pflegt. Sollte aber der gekreuzigte Messias wahr- haft in die höchste Form des seligen Lebens eingegangen sein: so durfte er seinen Leib nicht im Grabe gelassen haben, und wenn nun gerade in solchen A. T.lichen Stel- len, welche eine vorbildliche Beziehung auf das Leiden des Messias zulieſsen, zugleich die Hoffnung sich ausgespro- chen fand: ὅτι οὐκ ἐγκαταλείψεις τὴν ψυχήν μου εἰς ᾅδου, οὐδὲ δωσεις τὸν ὅσιόν σου ἰδεῖν διαφϑοράν (Ps. 16, 10. A. G. 2, 27.); wenn Jes. 53, 10. dem zur Schlachtbank Geführ- ten, Getödteten und Begrabenen nachher noch ein langes Leben verheiſsen war: was lag den Jüngern näher, als ihre frühere jüdische Vorstellung, ὅτι ὁ Χριςὸς μένει εἰς τὸν αἰῶνα (Joh. 12, 34.), die ihnen im Tode Jesu unter- gegangen war, durch Vermittlung des Gedankens einer wirklichen Wiederbelebung des Getödteten wiederherzu- stellen, und zwar, da es messianisches Attribut war, einst die Todten leiblich zu erwecken, ihn gleichfalls in Form der ἀνάςασις in das Leben zurückkehren zu lassen? Indeſs, wenn doch der Leichnam Jesu an einem be- kannten Platze beigesezt war, und an diesem (sofern wir weder einen Diebstahl, noch eine zufällige Entfernung des- selben postuliren mögen) aufgesucht und nachgewiesen werden konnte, ist es schwer zu begreifen, wie die Jün- ger in Jerusalem selbst, und nicht volle zwei Tage nach der Beerdigung, meinen und aussagen konnten, Jesus sei auferstanden, ohne durch den Augenschein am Grabe sich selbst zu widerlegen, und von ihren Widersachern (de- nen sie freilich erst an Pfingsten etwas von der Auferste- hung ihres Messias eröffnet zu haben scheinen) widerlegt

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/679>, abgerufen am 18.05.2024.