nig gebunden sich zeigten, als der betastbare Jesus, wenn er doch plözlich verschwinden, und in verschlossene Zim- mer ohne Hinderniss eindringen konnte 20).
Eine ganz andere Frage ist, ob auch auf unserem, durch genauere Naturkenntniss gebildeten Standpunkt jene beiderlei Züge sich vertragen? Und da werden wir frei- lich sagen müssen: ein Leib, der sichtbare Speise geniesst, muss auch selbst ein sichtbarer sein; der Genuss der Spei- se sezt einen Organismus voraus, der Organismus aber ist organisirte Materie, und diese hat die Eigenschaft nicht, in beliebigem Wechsel verschwinden und wieder sichtbar werden zu können. Ganz besonders aber, wenn der Leib Jesu sich betasten liess, und Fleisch und Knochen zu füh- len gab, so zeigte er damit die Widerstandskraft der Materie, und zwar wie sie ihr als fester eigenthümlich ist: wenn er dagegen in verschlossene Häuser und Zimmer, ungehindert durch dazwischenliegende Wände und Thüren, einzugehen im Stande war, so bewies er hiedurch, dass eben diese Widerstandskraft der festen Materie ihm nicht zukam; indem er also nach den evangelischen Berichten dieselbe Eigenschaft um dieselbe Zeit gehabt und nicht ge- habt haben müsste: so zeigt sich die evangelische Darstel- lung der Leiblichkeit Jesu nach der Auferstehung als eine in sich widersprechende. Und zwar ist dieser Wieder- spruch nicht etwa von der Art, dass er sich unter die ver- schiedenen Berichterstatter vertheilte, sondern der Be- richt Eines und desselben Evangelisten schliesst jene wider- sprechenden Züge in sich. Der kurze Bericht des Mat- thäus zwar enthält in dem ekratesan autou tous podas (V. 9.)
20) Das Unbestimmte der hier zum Grunde liegenden Vorstel- lung drückt Origenes gut aus, wenn er, c. Cels. 2, 62. von Jesu sagt: kai en ge meta ten anasasin autou osperei en me- thorio tini tes pakhutetos tou pro tou pathous somatos, kai tou gumnen toioutou somatos phainesthai psukhen.
Dritter Abschnitt.
nig gebunden sich zeigten, als der betastbare Jesus, wenn er doch plözlich verschwinden, und in verschlossene Zim- mer ohne Hinderniſs eindringen konnte 20).
Eine ganz andere Frage ist, ob auch auf unserem, durch genauere Naturkenntniſs gebildeten Standpunkt jene beiderlei Züge sich vertragen? Und da werden wir frei- lich sagen müssen: ein Leib, der sichtbare Speise genieſst, muſs auch selbst ein sichtbarer sein; der Genuſs der Spei- se sezt einen Organismus voraus, der Organismus aber ist organisirte Materie, und diese hat die Eigenschaft nicht, in beliebigem Wechsel verschwinden und wieder sichtbar werden zu können. Ganz besonders aber, wenn der Leib Jesu sich betasten lieſs, und Fleisch und Knochen zu füh- len gab, so zeigte er damit die Widerstandskraft der Materie, und zwar wie sie ihr als fester eigenthümlich ist: wenn er dagegen in verschlossene Häuser und Zimmer, ungehindert durch dazwischenliegende Wände und Thüren, einzugehen im Stande war, so bewies er hiedurch, daſs eben diese Widerstandskraft der festen Materie ihm nicht zukam; indem er also nach den evangelischen Berichten dieselbe Eigenschaft um dieselbe Zeit gehabt und nicht ge- habt haben müſste: so zeigt sich die evangelische Darstel- lung der Leiblichkeit Jesu nach der Auferstehung als eine in sich widersprechende. Und zwar ist dieser Wieder- spruch nicht etwa von der Art, daſs er sich unter die ver- schiedenen Berichterstatter vertheilte, sondern der Be- richt Eines und desselben Evangelisten schlieſst jene wider- sprechenden Züge in sich. Der kurze Bericht des Mat- thäus zwar enthält in dem ἐκράτησαν αὐτοῦ τοὺς πόδας (V. 9.)
20) Das Unbestimmte der hier zum Grunde liegenden Vorstel- lung drückt Origenes gut aus, wenn er, c. Cels. 2, 62. von Jesu sagt: καὶ ἦν γε μετὰ τὴν ἀνάςασιν αὑτοῦ ὡσπερεὶ ἐν με- ϑορίῳ τινὶ τῆς παχύτητος τοῦ πρὸ του πάϑοῦς σώματος, καὶ τοῦ γυμνὴν τοιου̍του σώματος φαίνεσϑαι ψυχήν.
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Dritter Abschnitt.
nig gebunden sich zeigten, als der betastbare Jesus, wenn
er doch plözlich verschwinden, und in verschlossene Zim-
mer ohne Hinderniſs eindringen konnte 20).
Eine ganz andere Frage ist, ob auch auf unserem,
durch genauere Naturkenntniſs gebildeten Standpunkt jene
beiderlei Züge sich vertragen? Und da werden wir frei-
lich sagen müssen: ein Leib, der sichtbare Speise genieſst,
muſs auch selbst ein sichtbarer sein; der Genuſs der Spei-
se sezt einen Organismus voraus, der Organismus aber ist
organisirte Materie, und diese hat die Eigenschaft nicht,
in beliebigem Wechsel verschwinden und wieder sichtbar
werden zu können. Ganz besonders aber, wenn der Leib
Jesu sich betasten lieſs, und Fleisch und Knochen zu füh-
len gab, so zeigte er damit die Widerstandskraft der
Materie, und zwar wie sie ihr als fester eigenthümlich
ist: wenn er dagegen in verschlossene Häuser und Zimmer,
ungehindert durch dazwischenliegende Wände und Thüren,
einzugehen im Stande war, so bewies er hiedurch, daſs
eben diese Widerstandskraft der festen Materie ihm nicht
zukam; indem er also nach den evangelischen Berichten
dieselbe Eigenschaft um dieselbe Zeit gehabt und nicht ge-
habt haben müſste: so zeigt sich die evangelische Darstel-
lung der Leiblichkeit Jesu nach der Auferstehung als eine
in sich widersprechende. Und zwar ist dieser Wieder-
spruch nicht etwa von der Art, daſs er sich unter die ver-
schiedenen Berichterstatter vertheilte, sondern der Be-
richt Eines und desselben Evangelisten schlieſst jene wider-
sprechenden Züge in sich. Der kurze Bericht des Mat-
thäus zwar enthält in dem ἐκράτησαν αὐτοῦ τοὺς πόδας (V. 9.)
20) Das Unbestimmte der hier zum Grunde liegenden Vorstel-
lung drückt Origenes gut aus, wenn er, c. Cels. 2, 62. von
Jesu sagt: καὶ ἦν γε μετὰ τὴν ἀνάςασιν αὑτοῦ ὡσπερεὶ ἐν με-
ϑορίῳ τινὶ τῆς παχύτητος τοῦ πρὸ του πάϑοῦς σώματος, καὶ τοῦ
γυμνὴν τοιου̍του σώματος φαίνεσϑαι ψυχήν.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/663>, abgerufen am 23.11.2024.
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