kai udor selbst aus der Seite Jesu als Zeichen des erfolg- ten Todes kommen sehen: sondern weil er bei Blutlässen schon jene Scheidung im ersterbenden Blute gesehen hat- te, und ihm anlag, eine sichere Probe für den Tod Jesu zu bekommen, liess er aus dessen verwundetem Leichnam jene geschiedenen Bestandtheile kommen.
Dass sich diess mit Jesu wirklich zugetragen habe, und sein Bericht davon, als auf Autopsie gegründet, zu- verlässig sei, versichert übrigens der Evangelist aufs An- gelegentlichste (V. 35.). Nach Einigen desswegen, um do- ketische Gnostiker, welche die wahre Leiblichkeit Jesu leugneten, zu widerlegen 9): allein wozu dann die Erwäh- nung des udor? Nach Andern wegen der merkwürdigen Erfüllung zweier Weissagungen durch jenes Vornehmen mit der Leiche Jesu 10): aber, wie Lücke selber sagt, wenn allerdings auch sonst Johannes selbst in Nebenpunkten ei- ne Erfüllung der Schrift sucht, so legt er doch nirgends ein so ausserordentliches Gewicht darauf, wie er hier nach dieser Auffassung thun würde. Daher scheint es immer noch die natürlichste Annahme zu sein, dass Johannes durch jene Versicherungen die Wahrheit des Todes Jesu bekräftigen wolle 11), die Hinweisung auf die Schrifterfül- lung aber nur als weiteren, erläuternden Zusaz beifüge. Der Mangel einer historischen Spur, dass schon zur Zeit der Abfassung des johanneischen Evangeliums der Verdacht eines Scheintods Jesu rege gewesen, beweist bei der Man- gelhaftigkeit der Nachrichten, die uns über jene Zeit zu Gebote stehen, nicht, dass ein so nahe liegender Verdacht nicht wirklich in dem Kreise, in welchem das genannte Evangelium entstand, zu bekämpfen gewesen ist, und dass dasselbe nicht, wie zur Mittheilung von Auferstehungs-
9)Wetstein und Olshausen, z. d. St.; vgl. Hase, a. a. O.
10)Lücke, z. d. St.
11) so Less, Auferstehungsgeschichte, S. 95 f. Tholuck z. d. St.
Viertes Kapitel. §. 130.
καὶ ὕδωρ selbst aus der Seite Jesu als Zeichen des erfolg- ten Todes kommen sehen: sondern weil er bei Blutlässen schon jene Scheidung im ersterbenden Blute gesehen hat- te, und ihm anlag, eine sichere Probe für den Tod Jesu zu bekommen, lieſs er aus dessen verwundetem Leichnam jene geschiedenen Bestandtheile kommen.
Daſs sich dieſs mit Jesu wirklich zugetragen habe, und sein Bericht davon, als auf Autopsie gegründet, zu- verlässig sei, versichert übrigens der Evangelist aufs An- gelegentlichste (V. 35.). Nach Einigen deſswegen, um do- ketische Gnostiker, welche die wahre Leiblichkeit Jesu leugneten, zu widerlegen 9): allein wozu dann die Erwäh- nung des ὕδωρ? Nach Andern wegen der merkwürdigen Erfüllung zweier Weissagungen durch jenes Vornehmen mit der Leiche Jesu 10): aber, wie Lücke selber sagt, wenn allerdings auch sonst Johannes selbst in Nebenpunkten ei- ne Erfüllung der Schrift sucht, so legt er doch nirgends ein so ausserordentliches Gewicht darauf, wie er hier nach dieser Auffassung thun würde. Daher scheint es immer noch die natürlichste Annahme zu sein, daſs Johannes durch jene Versicherungen die Wahrheit des Todes Jesu bekräftigen wolle 11), die Hinweisung auf die Schrifterfül- lung aber nur als weiteren, erläuternden Zusaz beifüge. Der Mangel einer historischen Spur, daſs schon zur Zeit der Abfassung des johanneischen Evangeliums der Verdacht eines Scheintods Jesu rege gewesen, beweist bei der Man- gelhaftigkeit der Nachrichten, die uns über jene Zeit zu Gebote stehen, nicht, daſs ein so nahe liegender Verdacht nicht wirklich in dem Kreise, in welchem das genannte Evangelium entstand, zu bekämpfen gewesen ist, und daſs dasselbe nicht, wie zur Mittheilung von Auferstehungs-
9)Wetstein und Olshausen, z. d. St.; vgl. Hase, a. a. O.
10)Lücke, z. d. St.
11) so Less, Auferstehungsgeschichte, S. 95 f. Tholuck z. d. St.
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Viertes Kapitel. §. 130.
καὶ ὕδωρ selbst aus der Seite Jesu als Zeichen des erfolg-
ten Todes kommen sehen: sondern weil er bei Blutlässen
schon jene Scheidung im ersterbenden Blute gesehen hat-
te, und ihm anlag, eine sichere Probe für den Tod Jesu
zu bekommen, lieſs er aus dessen verwundetem Leichnam
jene geschiedenen Bestandtheile kommen.
Daſs sich dieſs mit Jesu wirklich zugetragen habe,
und sein Bericht davon, als auf Autopsie gegründet, zu-
verlässig sei, versichert übrigens der Evangelist aufs An-
gelegentlichste (V. 35.). Nach Einigen deſswegen, um do-
ketische Gnostiker, welche die wahre Leiblichkeit Jesu
leugneten, zu widerlegen 9): allein wozu dann die Erwäh-
nung des ὕδωρ? Nach Andern wegen der merkwürdigen
Erfüllung zweier Weissagungen durch jenes Vornehmen mit
der Leiche Jesu 10): aber, wie Lücke selber sagt, wenn
allerdings auch sonst Johannes selbst in Nebenpunkten ei-
ne Erfüllung der Schrift sucht, so legt er doch nirgends
ein so ausserordentliches Gewicht darauf, wie er hier nach
dieser Auffassung thun würde. Daher scheint es immer
noch die natürlichste Annahme zu sein, daſs Johannes
durch jene Versicherungen die Wahrheit des Todes Jesu
bekräftigen wolle 11), die Hinweisung auf die Schrifterfül-
lung aber nur als weiteren, erläuternden Zusaz beifüge.
Der Mangel einer historischen Spur, daſs schon zur Zeit
der Abfassung des johanneischen Evangeliums der Verdacht
eines Scheintods Jesu rege gewesen, beweist bei der Man-
gelhaftigkeit der Nachrichten, die uns über jene Zeit zu
Gebote stehen, nicht, daſs ein so nahe liegender Verdacht
nicht wirklich in dem Kreise, in welchem das genannte
Evangelium entstand, zu bekämpfen gewesen ist, und daſs
dasselbe nicht, wie zur Mittheilung von Auferstehungs-
9) Wetstein und Olshausen, z. d. St.; vgl. Hase, a. a. O.
10) Lücke, z. d. St.
11) so Less, Auferstehungsgeschichte, S. 95 f. Tholuck z. d. St.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/590>, abgerufen am 22.11.2024.
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