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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Viertes Kapitel. §. 130.
Neuere, von der gleichen Erfahrung ausgehend, haben in
dem Ausdruck eine Hendiadys gesehen, und denselben von
noch flüssigem Blute, einem Zeichen des noch nicht, oder
doch eben erst erfolgten Todes, verstanden 5). Da jedoch
das Blut für sich schon ein Flüssiges ist, so kann das zu
aima gesezte udor nicht bloss den flüssigen Zustand von
jenem bedeuten, sondern muss eine besondere Beimischung
bezeichnen, welche das aus der Wunde Jesu fliessende
Blut enthielt. Um sich diese zu erklären, und zugleich
die möglichst sichere Todesprobe zu bekommen, sind An-
dere auf den Einfall gerathen, das dem Blute beigemisch-
te Wasser sei wohl aus dem von der Lanze getroffenen
Herzbeutel gekommen, in welchem sich, namentlich bei sol-
chen, die unter starker Beängstigung sterben, eine Quan-
tität Flüssigkeit sammeln soll 6). Allein ausserdem, dass
das Eindringen der Lanze in das Pericardium blosse Vor-
aussetzung ist, so ist theils, wo keine Wassersucht statt-
findet, das Quantum jener Flüssigkeit so gering, dass
ihr Ausfluss nicht in die Augen fiele; theils ist es nur ein
einziger kleiner Fleck vorn an der Brust, wo das Pericar-
dium so getroffen werden kann, dass eine Entleerung nach
aussen möglich ist: in allen andern Fällen würde, was
ausfliesst, in das Innere der Brusthöhle sich ergiessen 7).
Ohne Zweifel geht vielmehr der Evangelist von der bei
jeder Aderlässe zu machenden Erfahrung aus, dass das
Blut, sobald es aufgehört hat, im Lebensprocesse begriffen
zu sein, sich in Blutkuchen, placenta, und Blutwasser,
serum, zu zersetzen anfängt, und will nun daraus, dass
am Blute Jesu sich bereits diese Scheidung gezeigt habe,

exeleusetai aima. uperphues touto to pragma, kai tranos didas-
kon, oti uper anthropon o nugeis.
5) Schuster, in Eichhorn's Bibl. 9, S. 1036 ff.
6) Gruner, Comm. de morte J. Chr. vera, p. 47.
7) Vgl. Hase, a. a. O.

Viertes Kapitel. §. 130.
Neuere, von der gleichen Erfahrung ausgehend, haben in
dem Ausdruck eine Hendiadys gesehen, und denselben von
noch flüssigem Blute, einem Zeichen des noch nicht, oder
doch eben erst erfolgten Todes, verstanden 5). Da jedoch
das Blut für sich schon ein Flüssiges ist, so kann das zu
αἷμα gesezte ὕδωρ nicht bloſs den flüssigen Zustand von
jenem bedeuten, sondern muſs eine besondere Beimischung
bezeichnen, welche das aus der Wunde Jesu flieſsende
Blut enthielt. Um sich diese zu erklären, und zugleich
die möglichst sichere Todesprobe zu bekommen, sind An-
dere auf den Einfall gerathen, das dem Blute beigemisch-
te Wasser sei wohl aus dem von der Lanze getroffenen
Herzbeutel gekommen, in welchem sich, namentlich bei sol-
chen, die unter starker Beängstigung sterben, eine Quan-
tität Flüssigkeit sammeln soll 6). Allein ausserdem, daſs
das Eindringen der Lanze in das Pericardium bloſse Vor-
aussetzung ist, so ist theils, wo keine Wassersucht statt-
findet, das Quantum jener Flüssigkeit so gering, daſs
ihr Ausfluſs nicht in die Augen fiele; theils ist es nur ein
einziger kleiner Fleck vorn an der Brust, wo das Pericar-
dium so getroffen werden kann, daſs eine Entleerung nach
aussen möglich ist: in allen andern Fällen würde, was
ausflieſst, in das Innere der Brusthöhle sich ergieſsen 7).
Ohne Zweifel geht vielmehr der Evangelist von der bei
jeder Aderlässe zu machenden Erfahrung aus, daſs das
Blut, sobald es aufgehört hat, im Lebensprocesse begriffen
zu sein, sich in Blutkuchen, placenta, und Blutwasser,
serum, zu zersetzen anfängt, und will nun daraus, daſs
am Blute Jesu sich bereits diese Scheidung gezeigt habe,

ἐξελεύσεται αἷμα. ὑπερφυὲς τοῦτο τὸ πρᾶγμα, καὶ τρανῶς διδάσ-
κον, ὅτι ὑπὲρ ἄνϑρωπον ὁ νυγείς.
5) Schuster, in Eichhorn's Bibl. 9, S. 1036 ff.
6) Gruner, Comm. de morte J. Chr. vera, p. 47.
7) Vgl. Hase, a. a. O.
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[569/0588] Viertes Kapitel. §. 130. Neuere, von der gleichen Erfahrung ausgehend, haben in dem Ausdruck eine Hendiadys gesehen, und denselben von noch flüssigem Blute, einem Zeichen des noch nicht, oder doch eben erst erfolgten Todes, verstanden 5). Da jedoch das Blut für sich schon ein Flüssiges ist, so kann das zu αἷμα gesezte ὕδωρ nicht bloſs den flüssigen Zustand von jenem bedeuten, sondern muſs eine besondere Beimischung bezeichnen, welche das aus der Wunde Jesu flieſsende Blut enthielt. Um sich diese zu erklären, und zugleich die möglichst sichere Todesprobe zu bekommen, sind An- dere auf den Einfall gerathen, das dem Blute beigemisch- te Wasser sei wohl aus dem von der Lanze getroffenen Herzbeutel gekommen, in welchem sich, namentlich bei sol- chen, die unter starker Beängstigung sterben, eine Quan- tität Flüssigkeit sammeln soll 6). Allein ausserdem, daſs das Eindringen der Lanze in das Pericardium bloſse Vor- aussetzung ist, so ist theils, wo keine Wassersucht statt- findet, das Quantum jener Flüssigkeit so gering, daſs ihr Ausfluſs nicht in die Augen fiele; theils ist es nur ein einziger kleiner Fleck vorn an der Brust, wo das Pericar- dium so getroffen werden kann, daſs eine Entleerung nach aussen möglich ist: in allen andern Fällen würde, was ausflieſst, in das Innere der Brusthöhle sich ergieſsen 7). Ohne Zweifel geht vielmehr der Evangelist von der bei jeder Aderlässe zu machenden Erfahrung aus, daſs das Blut, sobald es aufgehört hat, im Lebensprocesse begriffen zu sein, sich in Blutkuchen, placenta, und Blutwasser, serum, zu zersetzen anfängt, und will nun daraus, daſs am Blute Jesu sich bereits diese Scheidung gezeigt habe, 4) 5) Schuster, in Eichhorn's Bibl. 9, S. 1036 ff. 6) Gruner, Comm. de morte J. Chr. vera, p. 47. 7) Vgl. Hase, a. a. O. 4) ἐξελεύσεται αἷμα. ὑπερφυὲς τοῦτο τὸ πρᾶγμα, καὶ τρανῶς διδάσ- κον, ὅτι ὑπὲρ ἄνϑρωπον ὁ νυγείς.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/588>, abgerufen am 22.11.2024.