den Momenten die Sage von einem Besiz des Judas ablei- ten müssen. Waren nämlich die genannten beiden Psal- men einmal auf den Verräther Jesu bezogen, und in de- ren einem ihm Verödung seiner epaulis (LXX) gewünscht: so musste er vorher im Besiz einer solchen gewesen sein, und diese, dachte man sich, wird er wohl um den Lohn seines Verraths erkauft haben. Oder vielmehr, dass man aus jenen Psalmen gerade die Verödung der epaulis be- sonders hervorhob, scheint in der nahe liegenden Voraus- setzung seinen Grund gehabt zu haben, dass eben an et- was, das er sich um sein Sündengeld erworben, der Fluch sich geäussert haben werde: etwas Erwerbliches aber ist unter dem, was die gedachten Psalmen aufführen, nur die epaulis. Dieser Wendung der Sache kam nun auf erwünsch- te Weise das in der Nähe Jerusalems gelegene akelda- ma entgegen, welches, je weniger man den wahren Ur- sprung seiner Benennung und des an ihm haftenden Ab- scheus kannte, desto leichter sich dazu hergab, von der urchristlichen Sage für sich verwendet, und als die epaulis eremomene des Verräthers betrachtet zu werden.
Statt dieser Psalmstellen führt das erste Evangelium als erfüllt durch das endliche Benehmen des Judas eine Stelle angeblich aus Jeremias an, für welche sich aber nur bei Zacharias, 11, 12 f., etwas Entsprechendes findet, wesswegen man jezt ziemlich allgemein eine Verwechslung der Namen von Seiten des Evangelisten voraussezt 15). Wie Matthäus durch den Grundgedanken dieser Stelle -- einen unbillig geringen Preiss für den im Orakel Redenden -- zu einer Anwendung auf den Verrath des Judas, der um ein schnödes Geld seinen Meister gleichsam verkauft hatte, sich veranlasst finden konnte, ist schon oben auseinander- gesezt 16). Nun war in der Prophetenstelle dem Urheber
15) Doch s. andere Vermuthungen bei Kuinöl z. d. St.
16) §. 115.
Dritter Abschnitt.
den Momenten die Sage von einem Besiz des Judas ablei- ten müssen. Waren nämlich die genannten beiden Psal- men einmal auf den Verräther Jesu bezogen, und in de- ren einem ihm Verödung seiner ἔπαυλις (LXX) gewünscht: so muſste er vorher im Besiz einer solchen gewesen sein, und diese, dachte man sich, wird er wohl um den Lohn seines Verraths erkauft haben. Oder vielmehr, daſs man aus jenen Psalmen gerade die Verödung der ἔπαυλις be- sonders hervorhob, scheint in der nahe liegenden Voraus- setzung seinen Grund gehabt zu haben, daſs eben an et- was, das er sich um sein Sündengeld erworben, der Fluch sich geäussert haben werde: etwas Erwerbliches aber ist unter dem, was die gedachten Psalmen aufführen, nur die ἔπαυλις. Dieser Wendung der Sache kam nun auf erwünsch- te Weise das in der Nähe Jerusalems gelegene ἀκελδα- μὰ entgegen, welches, je weniger man den wahren Ur- sprung seiner Benennung und des an ihm haftenden Ab- scheus kannte, desto leichter sich dazu hergab, von der urchristlichen Sage für sich verwendet, und als die ἔπαυλις ἠρημωμένη des Verräthers betrachtet zu werden.
Statt dieser Psalmstellen führt das erste Evangelium als erfüllt durch das endliche Benehmen des Judas eine Stelle angeblich aus Jeremias an, für welche sich aber nur bei Zacharias, 11, 12 f., etwas Entsprechendes findet, weſswegen man jezt ziemlich allgemein eine Verwechslung der Namen von Seiten des Evangelisten voraussezt 15). Wie Matthäus durch den Grundgedanken dieser Stelle — einen unbillig geringen Preiſs für den im Orakel Redenden — zu einer Anwendung auf den Verrath des Judas, der um ein schnödes Geld seinen Meister gleichsam verkauft hatte, sich veranlaſst finden konnte, ist schon oben auseinander- gesezt 16). Nun war in der Prophetenstelle dem Urheber
15) Doch s. andere Vermuthungen bei Kuinöl z. d. St.
16) §. 115.
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Dritter Abschnitt.
den Momenten die Sage von einem Besiz des Judas ablei-
ten müssen. Waren nämlich die genannten beiden Psal-
men einmal auf den Verräther Jesu bezogen, und in de-
ren einem ihm Verödung seiner ἔπαυλις (LXX) gewünscht:
so muſste er vorher im Besiz einer solchen gewesen sein,
und diese, dachte man sich, wird er wohl um den Lohn
seines Verraths erkauft haben. Oder vielmehr, daſs man
aus jenen Psalmen gerade die Verödung der ἔπαυλις be-
sonders hervorhob, scheint in der nahe liegenden Voraus-
setzung seinen Grund gehabt zu haben, daſs eben an et-
was, das er sich um sein Sündengeld erworben, der Fluch
sich geäussert haben werde: etwas Erwerbliches aber ist
unter dem, was die gedachten Psalmen aufführen, nur die
ἔπαυλις. Dieser Wendung der Sache kam nun auf erwünsch-
te Weise das in der Nähe Jerusalems gelegene ἀκελδα-
μὰ entgegen, welches, je weniger man den wahren Ur-
sprung seiner Benennung und des an ihm haftenden Ab-
scheus kannte, desto leichter sich dazu hergab, von der
urchristlichen Sage für sich verwendet, und als die ἔπαυλις
ἠρημωμένη des Verräthers betrachtet zu werden.
Statt dieser Psalmstellen führt das erste Evangelium
als erfüllt durch das endliche Benehmen des Judas eine
Stelle angeblich aus Jeremias an, für welche sich aber
nur bei Zacharias, 11, 12 f., etwas Entsprechendes findet,
weſswegen man jezt ziemlich allgemein eine Verwechslung
der Namen von Seiten des Evangelisten voraussezt 15). Wie
Matthäus durch den Grundgedanken dieser Stelle — einen
unbillig geringen Preiſs für den im Orakel Redenden —
zu einer Anwendung auf den Verrath des Judas, der um
ein schnödes Geld seinen Meister gleichsam verkauft hatte,
sich veranlaſst finden konnte, ist schon oben auseinander-
gesezt 16). Nun war in der Prophetenstelle dem Urheber
15) Doch s. andere Vermuthungen bei Kuinöl z. d. St.
16) §. 115.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/525>, abgerufen am 22.11.2024.
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