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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
ten war, als tou I. genomenouen Bethaniph (Matth. 26, 6.) sa-
gen will: nachdem Jesus in Bethanien gewesen war, son-
dern, indem uns durch jene Wendung Johannes den Ver-
lauf der Mahlzeit selbst 9), wie Matthäus durch diese die
Dauer des Bethanischen Aufenthalts Jesu, vorführt, so
macht er sich damit anheischig, uns alles, was während
jener Mahlzeit Merkwürdiges vorfiel, zu berichten, und
wenn er nun die bei derselben vorgefallene Stiftung des
Abendmahls nicht meldet, so bleibt diess ein Sprung, der
ihm den Vorwurf zuzieht, lückenhaft erzählt, und gerade
das Wichtigste übergangen zu haben.

Wie sich also im Allgemeinen kein Grund denken
liess, warum Johannes, wenn er einmal von diesem lez-
ten Abend sprach, die Stiftung des Abendmahls übergan-
gen haben sollte: so findet sich auch im Einzelnen keine
Stelle, wo sie in den Verlauf seiner Darstellung eingescho-
ben werden könnte, und es bleibt somit nichts übrig, als
die Annahme, er erzähle sie nicht, weil er nichts von der-
selben gewusst habe. Nämlich von dem Abendmahl als
christlichem Ritus wusste er wohl, wie sein 6tes Kapitel
zeigt, und musste davon wissen, da es, wie wir aus den
paulinischen Briefen abnehmen können, schon in der er-
sten Zeit allgemein in der Christenheit verbreitet war: das
aber kann ihm unbekannt gewesen sein, dass und unter
welchen Umständen Jesus das Abendmahl förmlich einge-
sezt haben sollte. Einen so hochgehaltenen Gebrauch auf
die Auctorität Jesu selbst zurückzuführen, lag zwar auch
ihm nahe, nur that er diess aus Unbekanntschaft mit je-
ner synoptischen Stiftungsscene, so wie aus Vorliebe für
das Geheimnissvolle, vermöge welcher er Jesu gerne Aus-
sprüche in den Mund legte, die, für den Augenblick un-
verständlich, erst aus dem späteren Erfolge Licht bekommen
haben sollten, nicht so, dass er Jesum wirklich schon den

9) Vgl. Lücke, S. 468.

Dritter Abschnitt.
ten war, als τοῦ Ἰ. γενομένουἐν Βηϑανίφ (Matth. 26, 6.) sa-
gen will: nachdem Jesus in Bethanien gewesen war, son-
dern, indem uns durch jene Wendung Johannes den Ver-
lauf der Mahlzeit selbst 9), wie Matthäus durch diese die
Dauer des Bethanischen Aufenthalts Jesu, vorführt, so
macht er sich damit anheischig, uns alles, was während
jener Mahlzeit Merkwürdiges vorfiel, zu berichten, und
wenn er nun die bei derselben vorgefallene Stiftung des
Abendmahls nicht meldet, so bleibt dieſs ein Sprung, der
ihm den Vorwurf zuzieht, lückenhaft erzählt, und gerade
das Wichtigste übergangen zu haben.

Wie sich also im Allgemeinen kein Grund denken
lieſs, warum Johannes, wenn er einmal von diesem lez-
ten Abend sprach, die Stiftung des Abendmahls übergan-
gen haben sollte: so findet sich auch im Einzelnen keine
Stelle, wo sie in den Verlauf seiner Darstellung eingescho-
ben werden könnte, und es bleibt somit nichts übrig, als
die Annahme, er erzähle sie nicht, weil er nichts von der-
selben gewuſst habe. Nämlich von dem Abendmahl als
christlichem Ritus wuſste er wohl, wie sein 6tes Kapitel
zeigt, und muſste davon wissen, da es, wie wir aus den
paulinischen Briefen abnehmen können, schon in der er-
sten Zeit allgemein in der Christenheit verbreitet war: das
aber kann ihm unbekannt gewesen sein, daſs und unter
welchen Umständen Jesus das Abendmahl förmlich einge-
sezt haben sollte. Einen so hochgehaltenen Gebrauch auf
die Auctorität Jesu selbst zurückzuführen, lag zwar auch
ihm nahe, nur that er dieſs aus Unbekanntschaft mit je-
ner synoptischen Stiftungsscene, so wie aus Vorliebe für
das Geheimniſsvolle, vermöge welcher er Jesu gerne Aus-
sprüche in den Mund legte, die, für den Augenblick un-
verständlich, erst aus dem späteren Erfolge Licht bekommen
haben sollten, nicht so, daſs er Jesum wirklich schon den

9) Vgl. Lücke, S. 468.
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[422/0441] Dritter Abschnitt. ten war, als τοῦ Ἰ. γενομένουἐν Βηϑανίφ (Matth. 26, 6.) sa- gen will: nachdem Jesus in Bethanien gewesen war, son- dern, indem uns durch jene Wendung Johannes den Ver- lauf der Mahlzeit selbst 9), wie Matthäus durch diese die Dauer des Bethanischen Aufenthalts Jesu, vorführt, so macht er sich damit anheischig, uns alles, was während jener Mahlzeit Merkwürdiges vorfiel, zu berichten, und wenn er nun die bei derselben vorgefallene Stiftung des Abendmahls nicht meldet, so bleibt dieſs ein Sprung, der ihm den Vorwurf zuzieht, lückenhaft erzählt, und gerade das Wichtigste übergangen zu haben. Wie sich also im Allgemeinen kein Grund denken lieſs, warum Johannes, wenn er einmal von diesem lez- ten Abend sprach, die Stiftung des Abendmahls übergan- gen haben sollte: so findet sich auch im Einzelnen keine Stelle, wo sie in den Verlauf seiner Darstellung eingescho- ben werden könnte, und es bleibt somit nichts übrig, als die Annahme, er erzähle sie nicht, weil er nichts von der- selben gewuſst habe. Nämlich von dem Abendmahl als christlichem Ritus wuſste er wohl, wie sein 6tes Kapitel zeigt, und muſste davon wissen, da es, wie wir aus den paulinischen Briefen abnehmen können, schon in der er- sten Zeit allgemein in der Christenheit verbreitet war: das aber kann ihm unbekannt gewesen sein, daſs und unter welchen Umständen Jesus das Abendmahl förmlich einge- sezt haben sollte. Einen so hochgehaltenen Gebrauch auf die Auctorität Jesu selbst zurückzuführen, lag zwar auch ihm nahe, nur that er dieſs aus Unbekanntschaft mit je- ner synoptischen Stiftungsscene, so wie aus Vorliebe für das Geheimniſsvolle, vermöge welcher er Jesu gerne Aus- sprüche in den Mund legte, die, für den Augenblick un- verständlich, erst aus dem späteren Erfolge Licht bekommen haben sollten, nicht so, daſs er Jesum wirklich schon den 9) Vgl. Lücke, S. 468.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/441>, abgerufen am 23.11.2024.