Einbruch der Nacht noch davonrennt, um mit den Prie- stern zu unterhandeln, und unmittelbar darauf zur That zu schreiten.
Über die Motive, welche den Judas bewogen haben, sich mit den Feinden Jesu gegen ihn zu verbinden, erfah- ren wir aus den drei ersten Evangelien nur, dass er von den Hohenpriestern Geld bekommen habe. Diess würde, besonders nach der Erzählung bei Matthäus, wo Judas, ehe er den Verrath zusagt, die Frage macht: ti thelete moi dounai; für Hab- und Gewinnsucht als Triebfeder sprechen. Bestimmteres Licht wirft hierauf noch die Angabe des vierten Evangeliums (12, 4 ff.), schon bei dem Bethanischen Mahle habe Judas sich über die Salbung, als eine unnö- thige Verschwendung, geärgert; er habe nämlich den Beu- tel geführt, sei aber an demselben zum Dieb geworden; wornach also anzunehmen wäre, dass die Habsucht des Judas, durch das, was er der Gesellschaftscasse abstehlen konnte, nicht mehr befriedigt, durch die Überlieferung Je- su an die reiche und mächtige Priesterpartei nachhal- tigeren Gewinn zu machen gehofft habe. Man wird es dem Verfasser des vierten Evangeliums Dank wissen müs- sen, dass er uns durch die Aufbewahrung dieser Notizen, welche den übrigen Evangelisten fehlen, die That des Ju- das einigermassen begreiflich gemacht hat, -- sobald sich seine Angaben als historisch begründet zeigen. Hier ist nun aber in Bezug darauf, dass gerade Judas jene Rüge ausgesprochen habe, schon oben ausgeführt worden, wie unwahrscheinlich es sei, dass die Sage diesen Zug verlo- ren haben sollte 3): wie wahrscheinlich dagegen eine sa- genhafte Entstehung desselben ist, erhellt leicht. Das Be- thanische Mahl stand in der evangelischen Überlieferung dem Ausgang des Lebens Jesu durch den Verrath des Ju- das nahe: wie leicht konnte einem der Gedanke aufsteigen
3) 1. Band, S. 721 f.
Zweites Kapitel. §. 114.
Einbruch der Nacht noch davonrennt, um mit den Prie- stern zu unterhandeln, und unmittelbar darauf zur That zu schreiten.
Über die Motive, welche den Judas bewogen haben, sich mit den Feinden Jesu gegen ihn zu verbinden, erfah- ren wir aus den drei ersten Evangelien nur, daſs er von den Hohenpriestern Geld bekommen habe. Dieſs würde, besonders nach der Erzählung bei Matthäus, wo Judas, ehe er den Verrath zusagt, die Frage macht: τί ϑέλετέ μοι δοῦναι; für Hab- und Gewinnsucht als Triebfeder sprechen. Bestimmteres Licht wirft hierauf noch die Angabe des vierten Evangeliums (12, 4 ff.), schon bei dem Bethanischen Mahle habe Judas sich über die Salbung, als eine unnö- thige Verschwendung, geärgert; er habe nämlich den Beu- tel geführt, sei aber an demselben zum Dieb geworden; wornach also anzunehmen wäre, daſs die Habsucht des Judas, durch das, was er der Gesellschaftscasse abstehlen konnte, nicht mehr befriedigt, durch die Überlieferung Je- su an die reiche und mächtige Priesterpartei nachhal- tigeren Gewinn zu machen gehofft habe. Man wird es dem Verfasser des vierten Evangeliums Dank wissen müs- sen, daſs er uns durch die Aufbewahrung dieser Notizen, welche den übrigen Evangelisten fehlen, die That des Ju- das einigermaſsen begreiflich gemacht hat, — sobald sich seine Angaben als historisch begründet zeigen. Hier ist nun aber in Bezug darauf, daſs gerade Judas jene Rüge ausgesprochen habe, schon oben ausgeführt worden, wie unwahrscheinlich es sei, daſs die Sage diesen Zug verlo- ren haben sollte 3): wie wahrscheinlich dagegen eine sa- genhafte Entstehung desselben ist, erhellt leicht. Das Be- thanische Mahl stand in der evangelischen Überlieferung dem Ausgang des Lebens Jesu durch den Verrath des Ju- das nahe: wie leicht konnte einem der Gedanke aufsteigen
3) 1. Band, S. 721 f.
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Zweites Kapitel. §. 114.
Einbruch der Nacht noch davonrennt, um mit den Prie-
stern zu unterhandeln, und unmittelbar darauf zur That
zu schreiten.
Über die Motive, welche den Judas bewogen haben,
sich mit den Feinden Jesu gegen ihn zu verbinden, erfah-
ren wir aus den drei ersten Evangelien nur, daſs er von
den Hohenpriestern Geld bekommen habe. Dieſs würde,
besonders nach der Erzählung bei Matthäus, wo Judas,
ehe er den Verrath zusagt, die Frage macht: τί ϑέλετέ μοι
δοῦναι; für Hab- und Gewinnsucht als Triebfeder sprechen.
Bestimmteres Licht wirft hierauf noch die Angabe des
vierten Evangeliums (12, 4 ff.), schon bei dem Bethanischen
Mahle habe Judas sich über die Salbung, als eine unnö-
thige Verschwendung, geärgert; er habe nämlich den Beu-
tel geführt, sei aber an demselben zum Dieb geworden;
wornach also anzunehmen wäre, daſs die Habsucht des
Judas, durch das, was er der Gesellschaftscasse abstehlen
konnte, nicht mehr befriedigt, durch die Überlieferung Je-
su an die reiche und mächtige Priesterpartei nachhal-
tigeren Gewinn zu machen gehofft habe. Man wird es
dem Verfasser des vierten Evangeliums Dank wissen müs-
sen, daſs er uns durch die Aufbewahrung dieser Notizen,
welche den übrigen Evangelisten fehlen, die That des Ju-
das einigermaſsen begreiflich gemacht hat, — sobald sich
seine Angaben als historisch begründet zeigen. Hier ist
nun aber in Bezug darauf, daſs gerade Judas jene Rüge
ausgesprochen habe, schon oben ausgeführt worden, wie
unwahrscheinlich es sei, daſs die Sage diesen Zug verlo-
ren haben sollte 3): wie wahrscheinlich dagegen eine sa-
genhafte Entstehung desselben ist, erhellt leicht. Das Be-
thanische Mahl stand in der evangelischen Überlieferung
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3) 1. Band, S. 721 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/402>, abgerufen am 22.11.2024.
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