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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
das Gleichniss von den Weingärtnern sich seiner Person
nicht bemächtigte (Matth. 21, 45 f. parall.). Nach diesen
Vorgängen bedurfte es kaum mehr der antipharisäischen
Rede Matth. 23, um kurz vor dem Pascha die Hohenprie-
ster, Schriftgelehrten und Ältesten, d. h. das Synedrium,
in den Palast des Hohenpriesters zu einer Berathung zu-
sammenzuführen, ina ton I. dolo kratesosi kai apoktei-
nosin (Matth. 26, 3 ff. parall.).

Auch im vierten Evangelium zwar wird der grosse An-
hang Jesu unter dem Volk einigemale als der Grund be-
zeichnet, warum ihn seine Feinde haben wollen festnehmen
lassen (7, 32. 44. vgl. 4, 1 ff.), und sein feierlicher Einzug
in Jerusalem erbittert sie auch hier (12, 19.); bisweilen wird
ihrer Mordanschläge ohne Angabe einer Veranlassung ge-
dacht (7, 1. 19. 25. 8, 40.): aber den Hauptanstoss geben
in diesem Evangelium die Aussagen Jesu über seine höhere
Würde. Schon bei jener Sabbatheilung reizte das haupt-
sächlich die Juden auf, dass Jesus dieselbe durch Beru-
fung auf die ununterbrochene Thätigkeit Gottes, als seines
Vaters, rechtfertigte, worin nach ihrer Meinung ein blas-
phemisches ison eauton poiein to theo lag (5, 18.); wenn
er von seiner göttlichen Sendung sprach, suchten sie ihn
zu greifen (7, 30. vgl. 8, 20.); auf die Behauptung, vor
Abraham sei er, hoben sie Steine gegen ihn auf (8, 59.);
dasselbe thaten sie, als er äusserte, er und der Vater seien
Eins (10, 31.), und wie er behauptete, der Vater sei in
ihm, und er im Vater, suchten sie sich abermals seiner
zu bemächtigen (10, 39.). Was aber den Ausschlag giebt
nach der Darstellung des vierten Evangeliums, und die
feindliche Partei zu förmlicher Beschlussnahme gegen Je-
sum veranlasst, ist die Auferweckung des Lazarus. Als
diese That den Pharisäern gemeldet wurde, veranstalteten
sie und die Hohenpriester eine Synedriumssitzung, in wel-
cher sie in Erwägung zogen, wenn Jesus fortfahre, so
viele semeia zu thun, werde ihm zulezt Alles anhängen,

Dritter Abschnitt.
das Gleichniſs von den Weingärtnern sich seiner Person
nicht bemächtigte (Matth. 21, 45 f. parall.). Nach diesen
Vorgängen bedurfte es kaum mehr der antipharisäischen
Rede Matth. 23, um kurz vor dem Pascha die Hohenprie-
ster, Schriftgelehrten und Ältesten, d. h. das Synedrium,
in den Palast des Hohenpriesters zu einer Berathung zu-
sammenzuführen, ἵνα τὸν Ἰ. δόλῳ κρατήσωσι καὶ ἀποκτεί-
νωσιν (Matth. 26, 3 ff. parall.).

Auch im vierten Evangelium zwar wird der groſse An-
hang Jesu unter dem Volk einigemale als der Grund be-
zeichnet, warum ihn seine Feinde haben wollen festnehmen
lassen (7, 32. 44. vgl. 4, 1 ff.), und sein feierlicher Einzug
in Jerusalem erbittert sie auch hier (12, 19.); bisweilen wird
ihrer Mordanschläge ohne Angabe einer Veranlassung ge-
dacht (7, 1. 19. 25. 8, 40.): aber den Hauptanstoſs geben
in diesem Evangelium die Aussagen Jesu über seine höhere
Würde. Schon bei jener Sabbatheilung reizte das haupt-
sächlich die Juden auf, daſs Jesus dieselbe durch Beru-
fung auf die ununterbrochene Thätigkeit Gottes, als seines
Vaters, rechtfertigte, worin nach ihrer Meinung ein blas-
phemisches ἴσον ἑαυτὸν ποιεῖν τῷ ϑεῷ lag (5, 18.); wenn
er von seiner göttlichen Sendung sprach, suchten sie ihn
zu greifen (7, 30. vgl. 8, 20.); auf die Behauptung, vor
Abraham sei er, hoben sie Steine gegen ihn auf (8, 59.);
dasselbe thaten sie, als er äusserte, er und der Vater seien
Eins (10, 31.), und wie er behauptete, der Vater sei in
ihm, und er im Vater, suchten sie sich abermals seiner
zu bemächtigen (10, 39.). Was aber den Ausschlag giebt
nach der Darstellung des vierten Evangeliums, und die
feindliche Partei zu förmlicher Beschluſsnahme gegen Je-
sum veranlaſst, ist die Auferweckung des Lazarus. Als
diese That den Pharisäern gemeldet wurde, veranstalteten
sie und die Hohenpriester eine Synedriumssitzung, in wel-
cher sie in Erwägung zogen, wenn Jesus fortfahre, so
viele σημεῖα zu thun, werde ihm zulezt Alles anhängen,

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[376/0395] Dritter Abschnitt. das Gleichniſs von den Weingärtnern sich seiner Person nicht bemächtigte (Matth. 21, 45 f. parall.). Nach diesen Vorgängen bedurfte es kaum mehr der antipharisäischen Rede Matth. 23, um kurz vor dem Pascha die Hohenprie- ster, Schriftgelehrten und Ältesten, d. h. das Synedrium, in den Palast des Hohenpriesters zu einer Berathung zu- sammenzuführen, ἵνα τὸν Ἰ. δόλῳ κρατήσωσι καὶ ἀποκτεί- νωσιν (Matth. 26, 3 ff. parall.). Auch im vierten Evangelium zwar wird der groſse An- hang Jesu unter dem Volk einigemale als der Grund be- zeichnet, warum ihn seine Feinde haben wollen festnehmen lassen (7, 32. 44. vgl. 4, 1 ff.), und sein feierlicher Einzug in Jerusalem erbittert sie auch hier (12, 19.); bisweilen wird ihrer Mordanschläge ohne Angabe einer Veranlassung ge- dacht (7, 1. 19. 25. 8, 40.): aber den Hauptanstoſs geben in diesem Evangelium die Aussagen Jesu über seine höhere Würde. Schon bei jener Sabbatheilung reizte das haupt- sächlich die Juden auf, daſs Jesus dieselbe durch Beru- fung auf die ununterbrochene Thätigkeit Gottes, als seines Vaters, rechtfertigte, worin nach ihrer Meinung ein blas- phemisches ἴσον ἑαυτὸν ποιεῖν τῷ ϑεῷ lag (5, 18.); wenn er von seiner göttlichen Sendung sprach, suchten sie ihn zu greifen (7, 30. vgl. 8, 20.); auf die Behauptung, vor Abraham sei er, hoben sie Steine gegen ihn auf (8, 59.); dasselbe thaten sie, als er äusserte, er und der Vater seien Eins (10, 31.), und wie er behauptete, der Vater sei in ihm, und er im Vater, suchten sie sich abermals seiner zu bemächtigen (10, 39.). Was aber den Ausschlag giebt nach der Darstellung des vierten Evangeliums, und die feindliche Partei zu förmlicher Beschluſsnahme gegen Je- sum veranlaſst, ist die Auferweckung des Lazarus. Als diese That den Pharisäern gemeldet wurde, veranstalteten sie und die Hohenpriester eine Synedriumssitzung, in wel- cher sie in Erwägung zogen, wenn Jesus fortfahre, so viele σημεῖα zu thun, werde ihm zulezt Alles anhängen,

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/395>, abgerufen am 22.07.2024.