streifte, und die Wiederkunft Christi zu dem zwischen ei- nem realen und idealen, gegenwärtigen und künftigen Vor- gang schwebenden Mittelding wurde, wie sie im vierten Evangelium erscheint.
Können nach dem Obigen die ausführlichen Reden, welche die drei ersten Evangelisten Jesu über seine Par- usie in den Mund legen, nicht von ihm selber herrühren: so fragt sich, ob er nicht doch im Allgemeinen gehofft und verheissen hat, einst als Messias herrlich zu erscheinen? Hielt er sich in irgend einem Abschnitt seines Lebens für den Messias, woran nicht zu zweifeln ist, und bezeichnete er sich als den uios tou anthropou, so musste er, scheint es, auch das Kommen in den Wolken erwarten, welches die- sem bei Daniel zugeschrieben ist: nur fragt es sich, ob er diess als eine Verherrlichung gedacht habe, welche noch während seines Lebens eintreten würde, oder als etwas, das ihm erst nach seinem Tode bevorstände? Nach Aus- sprüchen wie Matth. 10, 23. 16, 28. könnte man das Er- stere vermuthen; dabei bleibt jedoch immer möglich, dass, wenn ihm später sein Tod gewiss wurde, seine Vorstel- lung die leztere Form annahm, aus welcher heraus dann Matth. 26, 64. gesprochen wäre.
Erstes Kapitel. §. 112.
streifte, und die Wiederkunft Christi zu dem zwischen ei- nem realen und idealen, gegenwärtigen und künftigen Vor- gang schwebenden Mittelding wurde, wie sie im vierten Evangelium erscheint.
Können nach dem Obigen die ausführlichen Reden, welche die drei ersten Evangelisten Jesu über seine Par- usie in den Mund legen, nicht von ihm selber herrühren: so fragt sich, ob er nicht doch im Allgemeinen gehofft und verheiſsen hat, einst als Messias herrlich zu erscheinen? Hielt er sich in irgend einem Abschnitt seines Lebens für den Messias, woran nicht zu zweifeln ist, und bezeichnete er sich als den υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου, so muſste er, scheint es, auch das Kommen in den Wolken erwarten, welches die- sem bei Daniel zugeschrieben ist: nur fragt es sich, ob er dieſs als eine Verherrlichung gedacht habe, welche noch während seines Lebens eintreten würde, oder als etwas, das ihm erst nach seinem Tode bevorstände? Nach Aus- sprüchen wie Matth. 10, 23. 16, 28. könnte man das Er- stere vermuthen; dabei bleibt jedoch immer möglich, daſs, wenn ihm später sein Tod gewiſs wurde, seine Vorstel- lung die leztere Form annahm, aus welcher heraus dann Matth. 26, 64. gesprochen wäre.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0392"n="373"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erstes Kapitel</hi>. §. 112.</fw><lb/>
streifte, und die Wiederkunft Christi zu dem zwischen ei-<lb/>
nem realen und idealen, gegenwärtigen und künftigen Vor-<lb/>
gang schwebenden Mittelding wurde, wie sie im vierten<lb/>
Evangelium erscheint.</p><lb/><p>Können nach dem Obigen die ausführlichen Reden,<lb/>
welche die drei ersten Evangelisten Jesu über seine Par-<lb/>
usie in den Mund legen, nicht von ihm selber herrühren:<lb/>
so fragt sich, ob er nicht doch im Allgemeinen gehofft und<lb/>
verheiſsen hat, einst als Messias herrlich zu erscheinen?<lb/>
Hielt er sich in irgend einem Abschnitt seines Lebens für<lb/>
den Messias, woran nicht zu zweifeln ist, und bezeichnete<lb/>
er sich als den <foreignxml:lang="ell">υἱὸςτοῦἀνϑρώπου</foreign>, so muſste er, scheint es,<lb/>
auch das Kommen in den Wolken erwarten, welches die-<lb/>
sem bei Daniel zugeschrieben ist: nur fragt es sich, ob<lb/>
er dieſs als eine Verherrlichung gedacht habe, welche noch<lb/>
während seines Lebens eintreten würde, oder als etwas,<lb/>
das ihm erst nach seinem Tode bevorstände? Nach Aus-<lb/>
sprüchen wie Matth. 10, 23. 16, 28. könnte man das Er-<lb/>
stere vermuthen; dabei bleibt jedoch immer möglich, daſs,<lb/>
wenn ihm später sein Tod gewiſs wurde, seine Vorstel-<lb/>
lung die leztere Form annahm, aus welcher heraus dann<lb/>
Matth. 26, 64. gesprochen wäre.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></body></text></TEI>
[373/0392]
Erstes Kapitel. §. 112.
streifte, und die Wiederkunft Christi zu dem zwischen ei-
nem realen und idealen, gegenwärtigen und künftigen Vor-
gang schwebenden Mittelding wurde, wie sie im vierten
Evangelium erscheint.
Können nach dem Obigen die ausführlichen Reden,
welche die drei ersten Evangelisten Jesu über seine Par-
usie in den Mund legen, nicht von ihm selber herrühren:
so fragt sich, ob er nicht doch im Allgemeinen gehofft und
verheiſsen hat, einst als Messias herrlich zu erscheinen?
Hielt er sich in irgend einem Abschnitt seines Lebens für
den Messias, woran nicht zu zweifeln ist, und bezeichnete
er sich als den υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου, so muſste er, scheint es,
auch das Kommen in den Wolken erwarten, welches die-
sem bei Daniel zugeschrieben ist: nur fragt es sich, ob
er dieſs als eine Verherrlichung gedacht habe, welche noch
während seines Lebens eintreten würde, oder als etwas,
das ihm erst nach seinem Tode bevorstände? Nach Aus-
sprüchen wie Matth. 10, 23. 16, 28. könnte man das Er-
stere vermuthen; dabei bleibt jedoch immer möglich, daſs,
wenn ihm später sein Tod gewiſs wurde, seine Vorstel-
lung die leztere Form annahm, aus welcher heraus dann
Matth. 26, 64. gesprochen wäre.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/392>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.