machten sie ja noch am lezten Tage ihres Zusammenseins mit ihm nach der Auferstehung eine, und zwar im Sinn des vierten Evangeliums recht unverständige, Frage an ihn (A. G. 1, 6.); endlich, wenn er verspricht, dass zu demjenigen, der ihn liebe, er und der Vater kommen und Wohnung bei ihm machen werden: so wird vollends klar, dass Jesus hier nicht von einem leiblichen, sondern von seinem geistigen Wiederkommen durch den parakle- tos redet12). Hat jedoch auch diese Erklärung ihre Schwie- rigkeiten, indem hinwiederum das opsesthe me und opsomai umas auf jene bloss geistige Wiederkunft nicht ganz passen will: so müssen wir die Lösung dieses scheinbaren Wi- derspruchs auf die genauere Beleuchtung dieser Aussprü- che an einer späteren Stelle versparen, und erinnern einst- weilen nur, dass aus den johanneischen Abschiedsreden, deren Untermischung mit eignen Gedanken des Evangeli- sten jezt selbst von Freunden des vierten Evangeliums zu- gestanden ist, am wenigsten ein Beweis in dieser Sache genommen werden kann.
Nach allem diesem könnte der Ausweg noch übrig zu sein scheinen, dass Jesus zwar allerdings über die ihm bevorstehende Auferstehung sich nicht geäussert, nichts desto weniger aber sie für sich vorhergewusst habe. Wuss- te er seine Auferstehung vorher, so wusste er sie entwe- der auf übernatürliche Weise, vermöge des ihm inwohnen- den prophetischen Geistes, höheren Princips, -- wenn man will, seiner göttlichen Natur: oder er wusste sie auf na- türliche Weise, durch verständige menschliche Überle- gung. Allein ein übernatürliches Vorherwissen jenes Er- eignisses ist auch hier, wie in Beziehung auf den Tod, we- gen der Beziehung undenkbar, in welche Jesus dasselbe zum A. T. sezt. Nicht bloss in Stellen nämlich, wie Luc. 18, 31, welche, als Vorhersagungen, nach dem Ergebniss
12) s. Lücke z. d. St.
Dritter Abschnitt.
machten sie ja noch am lezten Tage ihres Zusammenseins mit ihm nach der Auferstehung eine, und zwar im Sinn des vierten Evangeliums recht unverständige, Frage an ihn (A. G. 1, 6.); endlich, wenn er verspricht, daſs zu demjenigen, der ihn liebe, er und der Vater kommen und Wohnung bei ihm machen werden: so wird vollends klar, daſs Jesus hier nicht von einem leiblichen, sondern von seinem geistigen Wiederkommen durch den παράκλη- τος redet12). Hat jedoch auch diese Erklärung ihre Schwie- rigkeiten, indem hinwiederum das ὄψεσϑέ με und ὄψομαι ὑμᾶς auf jene bloſs geistige Wiederkunft nicht ganz passen will: so müssen wir die Lösung dieses scheinbaren Wi- derspruchs auf die genauere Beleuchtung dieser Aussprü- che an einer späteren Stelle versparen, und erinnern einst- weilen nur, daſs aus den johanneischen Abschiedsreden, deren Untermischung mit eignen Gedanken des Evangeli- sten jezt selbst von Freunden des vierten Evangeliums zu- gestanden ist, am wenigsten ein Beweis in dieser Sache genommen werden kann.
Nach allem diesem könnte der Ausweg noch übrig zu sein scheinen, daſs Jesus zwar allerdings über die ihm bevorstehende Auferstehung sich nicht geäussert, nichts desto weniger aber sie für sich vorhergewuſst habe. Wuſs- te er seine Auferstehung vorher, so wuſste er sie entwe- der auf übernatürliche Weise, vermöge des ihm inwohnen- den prophetischen Geistes, höheren Princips, — wenn man will, seiner göttlichen Natur: oder er wuſste sie auf na- türliche Weise, durch verständige menschliche Überle- gung. Allein ein übernatürliches Vorherwissen jenes Er- eignisses ist auch hier, wie in Beziehung auf den Tod, we- gen der Beziehung undenkbar, in welche Jesus dasselbe zum A. T. sezt. Nicht bloſs in Stellen nämlich, wie Luc. 18, 31, welche, als Vorhersagungen, nach dem Ergebniſs
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Dritter Abschnitt.
machten sie ja noch am lezten Tage ihres Zusammenseins
mit ihm nach der Auferstehung eine, und zwar im Sinn
des vierten Evangeliums recht unverständige, Frage an
ihn (A. G. 1, 6.); endlich, wenn er verspricht, daſs zu
demjenigen, der ihn liebe, er und der Vater kommen
und Wohnung bei ihm machen werden: so wird vollends
klar, daſs Jesus hier nicht von einem leiblichen, sondern
von seinem geistigen Wiederkommen durch den παράκλη-
τος redet 12). Hat jedoch auch diese Erklärung ihre Schwie-
rigkeiten, indem hinwiederum das ὄψεσϑέ με und ὄψομαι
ὑμᾶς auf jene bloſs geistige Wiederkunft nicht ganz passen
will: so müssen wir die Lösung dieses scheinbaren Wi-
derspruchs auf die genauere Beleuchtung dieser Aussprü-
che an einer späteren Stelle versparen, und erinnern einst-
weilen nur, daſs aus den johanneischen Abschiedsreden,
deren Untermischung mit eignen Gedanken des Evangeli-
sten jezt selbst von Freunden des vierten Evangeliums zu-
gestanden ist, am wenigsten ein Beweis in dieser Sache
genommen werden kann.
Nach allem diesem könnte der Ausweg noch übrig
zu sein scheinen, daſs Jesus zwar allerdings über die ihm
bevorstehende Auferstehung sich nicht geäussert, nichts
desto weniger aber sie für sich vorhergewuſst habe. Wuſs-
te er seine Auferstehung vorher, so wuſste er sie entwe-
der auf übernatürliche Weise, vermöge des ihm inwohnen-
den prophetischen Geistes, höheren Princips, — wenn man
will, seiner göttlichen Natur: oder er wuſste sie auf na-
türliche Weise, durch verständige menschliche Überle-
gung. Allein ein übernatürliches Vorherwissen jenes Er-
eignisses ist auch hier, wie in Beziehung auf den Tod, we-
gen der Beziehung undenkbar, in welche Jesus dasselbe
zum A. T. sezt. Nicht bloſs in Stellen nämlich, wie Luc.
18, 31, welche, als Vorhersagungen, nach dem Ergebniſs
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/357>, abgerufen am 22.11.2024.
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