men wäre, und man diess am folgenden Tag hätte nach- holen wollen: wogegen, wenn schon der erste Einzug so glänzend war, der Pomp des zweiten eine müssige Wie- derholung gewesen wäre. Und zwar müssten sich bei'm zweiten alle Züge des ersten wiederholt haben, was, mag man es mehr als absichtliche Veranstaltung Jesu, oder als zufällige Fügung der Umstände betrachten, immer höchst unwahrscheinlich bleibt. Von Jesu ist es nicht wohl zu begreifen, wie er ein Schauspiel wiederholen mochte, das, Einmal bedeutsam, in seiner Wiederholung matt und zweck- los war 5); die Umstände aber müssten auf unerhörte Wei- se zusammengetroffen haben, wenn beidemale dieselben Eh- renbezeugungen von Seiten des Volks, dieselben Äusserun- gen des Neides von Seiten seiner Gegner eingetreten sein, auch beidemale ein an die Weissagung des Zacharias erin- nerndes Reitthier zu Gebote gestanden haben sollte. Man könnte daher die Sieffert'sche Assimilationshypothese zu Hülfe nehmen, und voraussetzen, die beiden Einzüge, ur- sprünglich mehr verschieden, seien durch traditionelle Ver- mischung sich so ähnlich geworden: wenn nicht überhaupt die Annahme, dass den evangelischen Erzählungen hier zwei verschiedene Fakta zum Grunde liegen, eines andern Umstands wegen unmöglich würde.
Auf den ersten Anblick zwar scheint es die Annah- me von zwei verschiedenen Einzügen zu unterstützen, wenn man bemerkt, dass Johannes seinen Einzug den Tag nach jenem Bethanischen Mahle, bei welchem Jesus unter merk- würdigen Umständen gesalbt wurde, vor sich gehen lässt, die beiden ersten Synoptiker dagegen (denn Lukas weiss von einer zu Bethanien und in dieser Periode des Lebens Jesu gehaltenen Mahlzeit bekanntlich nichts) ihren Ein- zug diesem Mahle vorangehen lassen; wodurch also, ganz der obigen Voraussetzung gemäss, der synoptische Einzug
5)Hase, L. J. §. 124.
Zweiter Abschnitt.
men wäre, und man dieſs am folgenden Tag hätte nach- holen wollen: wogegen, wenn schon der erste Einzug so glänzend war, der Pomp des zweiten eine müssige Wie- derholung gewesen wäre. Und zwar müſsten sich bei'm zweiten alle Züge des ersten wiederholt haben, was, mag man es mehr als absichtliche Veranstaltung Jesu, oder als zufällige Fügung der Umstände betrachten, immer höchst unwahrscheinlich bleibt. Von Jesu ist es nicht wohl zu begreifen, wie er ein Schauspiel wiederholen mochte, das, Einmal bedeutsam, in seiner Wiederholung matt und zweck- los war 5); die Umstände aber müſsten auf unerhörte Wei- se zusammengetroffen haben, wenn beidemale dieselben Eh- renbezeugungen von Seiten des Volks, dieselben Äusserun- gen des Neides von Seiten seiner Gegner eingetreten sein, auch beidemale ein an die Weissagung des Zacharias erin- nerndes Reitthier zu Gebote gestanden haben sollte. Man könnte daher die Sieffert'sche Assimilationshypothese zu Hülfe nehmen, und voraussetzen, die beiden Einzüge, ur- sprünglich mehr verschieden, seien durch traditionelle Ver- mischung sich so ähnlich geworden: wenn nicht überhaupt die Annahme, daſs den evangelischen Erzählungen hier zwei verschiedene Fakta zum Grunde liegen, eines andern Umstands wegen unmöglich würde.
Auf den ersten Anblick zwar scheint es die Annah- me von zwei verschiedenen Einzügen zu unterstützen, wenn man bemerkt, daſs Johannes seinen Einzug den Tag nach jenem Bethanischen Mahle, bei welchem Jesus unter merk- würdigen Umständen gesalbt wurde, vor sich gehen läſst, die beiden ersten Synoptiker dagegen (denn Lukas weiſs von einer zu Bethanien und in dieser Periode des Lebens Jesu gehaltenen Mahlzeit bekanntlich nichts) ihren Ein- zug diesem Mahle vorangehen lassen; wodurch also, ganz der obigen Voraussetzung gemäſs, der synoptische Einzug
5)Hase, L. J. §. 124.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0305"n="286"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
men wäre, und man dieſs am folgenden Tag hätte nach-<lb/>
holen wollen: wogegen, wenn schon der erste Einzug so<lb/>
glänzend war, der Pomp des zweiten eine müssige Wie-<lb/>
derholung gewesen wäre. Und zwar müſsten sich bei'm<lb/>
zweiten alle Züge des ersten wiederholt haben, was, mag<lb/>
man es mehr als absichtliche Veranstaltung Jesu, oder als<lb/>
zufällige Fügung der Umstände betrachten, immer höchst<lb/>
unwahrscheinlich bleibt. Von Jesu ist es nicht wohl zu<lb/>
begreifen, wie er ein Schauspiel wiederholen mochte, das,<lb/>
Einmal bedeutsam, in seiner Wiederholung matt und zweck-<lb/>
los war <noteplace="foot"n="5)"><hirendition="#k">Hase</hi>, L. J. §. 124.</note>; die Umstände aber müſsten auf unerhörte Wei-<lb/>
se zusammengetroffen haben, wenn beidemale dieselben Eh-<lb/>
renbezeugungen von Seiten des Volks, dieselben Äusserun-<lb/>
gen des Neides von Seiten seiner Gegner eingetreten sein,<lb/>
auch beidemale ein an die Weissagung des Zacharias erin-<lb/>
nerndes Reitthier zu Gebote gestanden haben sollte. Man<lb/>
könnte daher die <hirendition="#k">Sieffert</hi>'sche Assimilationshypothese zu<lb/>
Hülfe nehmen, und voraussetzen, die beiden Einzüge, ur-<lb/>
sprünglich mehr verschieden, seien durch traditionelle Ver-<lb/>
mischung sich so ähnlich geworden: wenn nicht überhaupt<lb/>
die Annahme, daſs den evangelischen Erzählungen hier<lb/>
zwei verschiedene Fakta zum Grunde liegen, eines andern<lb/>
Umstands wegen unmöglich würde.</p><lb/><p>Auf den ersten Anblick zwar scheint es die Annah-<lb/>
me von zwei verschiedenen Einzügen zu unterstützen, wenn<lb/>
man bemerkt, daſs Johannes seinen Einzug den Tag nach<lb/>
jenem Bethanischen Mahle, bei welchem Jesus unter merk-<lb/>
würdigen Umständen gesalbt wurde, vor sich gehen läſst,<lb/>
die beiden ersten Synoptiker dagegen (denn Lukas weiſs<lb/>
von einer zu Bethanien und in dieser Periode des Lebens<lb/>
Jesu gehaltenen Mahlzeit bekanntlich nichts) ihren Ein-<lb/>
zug diesem Mahle vorangehen lassen; wodurch also, ganz<lb/>
der obigen Voraussetzung gemäſs, der synoptische Einzug<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[286/0305]
Zweiter Abschnitt.
men wäre, und man dieſs am folgenden Tag hätte nach-
holen wollen: wogegen, wenn schon der erste Einzug so
glänzend war, der Pomp des zweiten eine müssige Wie-
derholung gewesen wäre. Und zwar müſsten sich bei'm
zweiten alle Züge des ersten wiederholt haben, was, mag
man es mehr als absichtliche Veranstaltung Jesu, oder als
zufällige Fügung der Umstände betrachten, immer höchst
unwahrscheinlich bleibt. Von Jesu ist es nicht wohl zu
begreifen, wie er ein Schauspiel wiederholen mochte, das,
Einmal bedeutsam, in seiner Wiederholung matt und zweck-
los war 5); die Umstände aber müſsten auf unerhörte Wei-
se zusammengetroffen haben, wenn beidemale dieselben Eh-
renbezeugungen von Seiten des Volks, dieselben Äusserun-
gen des Neides von Seiten seiner Gegner eingetreten sein,
auch beidemale ein an die Weissagung des Zacharias erin-
nerndes Reitthier zu Gebote gestanden haben sollte. Man
könnte daher die Sieffert'sche Assimilationshypothese zu
Hülfe nehmen, und voraussetzen, die beiden Einzüge, ur-
sprünglich mehr verschieden, seien durch traditionelle Ver-
mischung sich so ähnlich geworden: wenn nicht überhaupt
die Annahme, daſs den evangelischen Erzählungen hier
zwei verschiedene Fakta zum Grunde liegen, eines andern
Umstands wegen unmöglich würde.
Auf den ersten Anblick zwar scheint es die Annah-
me von zwei verschiedenen Einzügen zu unterstützen, wenn
man bemerkt, daſs Johannes seinen Einzug den Tag nach
jenem Bethanischen Mahle, bei welchem Jesus unter merk-
würdigen Umständen gesalbt wurde, vor sich gehen läſst,
die beiden ersten Synoptiker dagegen (denn Lukas weiſs
von einer zu Bethanien und in dieser Periode des Lebens
Jesu gehaltenen Mahlzeit bekanntlich nichts) ihren Ein-
zug diesem Mahle vorangehen lassen; wodurch also, ganz
der obigen Voraussetzung gemäſs, der synoptische Einzug
5) Hase, L. J. §. 124.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/305>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.