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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zehntes Kapitel. §. 105.
Freilich ist in seiner Verlegung der Ankunft Jesu in Je-
rusalem auf den späten Abend Markus von den beiden an-
dern Synoptikern nicht unterstüzt, indem diese Jesum noch
am Tage seiner Ankunft die Tempelreinigung vornehmen,
und Matthäus ihn selbst noch Heilungen verrichten und
sich gegen die Hohenpriester und Schriftgelehrten verant-
worten lässt (Matth. 21, 12 ff.): allein auch ohne jene Zeit-
angabe entscheidet die Continuität der Momente des Hin-
kommens gegen jene Flecken, der Sendung der Jünger,
der Ankunft des Esels, und des Einreitens, gegen die Mög-
lichkeit, in die Erzählung der Synoptiker ein Bethanisches
Nachtquartier einzuschieben.

Bleibt es auf diese Weise dabei, dass die drei ersten
Evangelisten Jesum geradezu von Jericho aus, ohne Auf-
enthalt in Bethanien, der vierte aber ihn nur von Betha-
nien her nach Jerusalem ziehen lässt: so müssen sie, wenn
sie beiderseits recht haben sollen, von zwei verschiedenen
Einzügen reden, wie diess neuerlich von mehreren Kritikern
vermuthet worden ist 2). Ihnen zufolge zog Jesus zuerst
(was die Synoptiker erzählen), mit der Festkarawane ge-
radezu nach Jerusalem, und es erfolgte hiebei, wie er sich
durch die Besteigung des Thiers bemerklich machte, von
Seiten der Mitreisenden unvorbereitet eine laute Huldigung,
welche den Einzug in einen Triumphzug verwandelte. Nach-
dem er sich am Abend nach Bethanien zurückgezogen,
gieng ihm dann am folgenden Morgen (was Johannes er-
zählt), eine grosse Volksmenge entgegen, um ihn einzu-
holen, und als er auf dem Weg von Bethanien her mit
derselben zusammentraf, wiederholte sich, diessmal vorbe-
reitet von Seiten seiner Anhänger, die Scene des gestrigen
Tags in noch grösserem Massstabe. Dieser Unterscheidung
eines früheren Einzugs Jesu in Jerusalem, ehe man hier

2) Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 92 ff. 98 ff. Schlkiermacher, über
den Lukas, S. 244 f.

Zehntes Kapitel. §. 105.
Freilich ist in seiner Verlegung der Ankunft Jesu in Je-
rusalem auf den späten Abend Markus von den beiden an-
dern Synoptikern nicht unterstüzt, indem diese Jesum noch
am Tage seiner Ankunft die Tempelreinigung vornehmen,
und Matthäus ihn selbst noch Heilungen verrichten und
sich gegen die Hohenpriester und Schriftgelehrten verant-
worten läſst (Matth. 21, 12 ff.): allein auch ohne jene Zeit-
angabe entscheidet die Continuität der Momente des Hin-
kommens gegen jene Flecken, der Sendung der Jünger,
der Ankunft des Esels, und des Einreitens, gegen die Mög-
lichkeit, in die Erzählung der Synoptiker ein Bethanisches
Nachtquartier einzuschieben.

Bleibt es auf diese Weise dabei, daſs die drei ersten
Evangelisten Jesum geradezu von Jericho aus, ohne Auf-
enthalt in Bethanien, der vierte aber ihn nur von Betha-
nien her nach Jerusalem ziehen läſst: so müssen sie, wenn
sie beiderseits recht haben sollen, von zwei verschiedenen
Einzügen reden, wie dieſs neuerlich von mehreren Kritikern
vermuthet worden ist 2). Ihnen zufolge zog Jesus zuerst
(was die Synoptiker erzählen), mit der Festkarawane ge-
radezu nach Jerusalem, und es erfolgte hiebei, wie er sich
durch die Besteigung des Thiers bemerklich machte, von
Seiten der Mitreisenden unvorbereitet eine laute Huldigung,
welche den Einzug in einen Triumphzug verwandelte. Nach-
dem er sich am Abend nach Bethanien zurückgezogen,
gieng ihm dann am folgenden Morgen (was Johannes er-
zählt), eine groſse Volksmenge entgegen, um ihn einzu-
holen, und als er auf dem Weg von Bethanien her mit
derselben zusammentraf, wiederholte sich, dieſsmal vorbe-
reitet von Seiten seiner Anhänger, die Scene des gestrigen
Tags in noch gröſserem Maſsstabe. Dieser Unterscheidung
eines früheren Einzugs Jesu in Jerusalem, ehe man hier

2) Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 92 ff. 98 ff. Schlkiermacher, über
den Lukas, S. 244 f.
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[283/0302] Zehntes Kapitel. §. 105. Freilich ist in seiner Verlegung der Ankunft Jesu in Je- rusalem auf den späten Abend Markus von den beiden an- dern Synoptikern nicht unterstüzt, indem diese Jesum noch am Tage seiner Ankunft die Tempelreinigung vornehmen, und Matthäus ihn selbst noch Heilungen verrichten und sich gegen die Hohenpriester und Schriftgelehrten verant- worten läſst (Matth. 21, 12 ff.): allein auch ohne jene Zeit- angabe entscheidet die Continuität der Momente des Hin- kommens gegen jene Flecken, der Sendung der Jünger, der Ankunft des Esels, und des Einreitens, gegen die Mög- lichkeit, in die Erzählung der Synoptiker ein Bethanisches Nachtquartier einzuschieben. Bleibt es auf diese Weise dabei, daſs die drei ersten Evangelisten Jesum geradezu von Jericho aus, ohne Auf- enthalt in Bethanien, der vierte aber ihn nur von Betha- nien her nach Jerusalem ziehen läſst: so müssen sie, wenn sie beiderseits recht haben sollen, von zwei verschiedenen Einzügen reden, wie dieſs neuerlich von mehreren Kritikern vermuthet worden ist 2). Ihnen zufolge zog Jesus zuerst (was die Synoptiker erzählen), mit der Festkarawane ge- radezu nach Jerusalem, und es erfolgte hiebei, wie er sich durch die Besteigung des Thiers bemerklich machte, von Seiten der Mitreisenden unvorbereitet eine laute Huldigung, welche den Einzug in einen Triumphzug verwandelte. Nach- dem er sich am Abend nach Bethanien zurückgezogen, gieng ihm dann am folgenden Morgen (was Johannes er- zählt), eine groſse Volksmenge entgegen, um ihn einzu- holen, und als er auf dem Weg von Bethanien her mit derselben zusammentraf, wiederholte sich, dieſsmal vorbe- reitet von Seiten seiner Anhänger, die Scene des gestrigen Tags in noch gröſserem Maſsstabe. Dieser Unterscheidung eines früheren Einzugs Jesu in Jerusalem, ehe man hier 2) Paulus, ex. Handb. 3, a, S. 92 ff. 98 ff. Schlkiermacher, über den Lukas, S. 244 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/302>, abgerufen am 22.11.2024.