nicht zum Volk, sondern zu solchen spreche, welche selbst von dergleichen Krankheiten nach seiner Anleitung befrei- ten, so sei es nicht als blosse Anbequemung erklärbar, wenn er ihr ta daimonia upotassetai emin bestätigend wieder aufnehme, und ihre Befähigung zur Heilung der Dämonischen als eine Gewalt über die dunamis tou ekhthrou beschreibe 9). Ebenso treffend hat derselbe Theologe an andern Orten dem Anstoss, welchen solche, deren Bildung mit dem Glauben an Dämonenbesitzungen sich nicht ver- trägt, an dem Ergebniss nehmen könnten, dass Jesus jenen Glauben gehabt habe, durch die Bemerkung vorgebeugt, dass selbst der ausgezeichnetste Geist eine unrichtige Zeit- vorstellung beibehalten könne, sofern sie nicht gerade im Bereich seines besondern Nachdenkens liege[10)].
Erläuternd für die neutestamentlichen Vorstellungen von den Dämonischen sind die Ansichten, welche wir bei andern mehr oder minder gleichzeitigen Schriftstellern über diese Materie finden. Die allgemeinen Begriffe von Einflüssen böser Geister auf den Menschen, welche Melan- cholie, Wahnsinn, Epilepsie zur Folge haben, waren zwar schon frühe bei Griechen 11) wie bei Hebräern 12) verbrei- tet: aber die bestimmtere Vorstellung, dass die bösen Gei- ster in den Leib des Menschen fahren und von demselben Besiz nehmen, hat sich nachweislich doch erst ziemlich spät, in Folge allgemeiner Verbreitung der orientalischen,
9) exeg. Handb. 2, S. 566.
10) a. a. O. 1, b, S. 483. 2, S. 96.
11) Daher wurde daimonan, kakodaimonan = melagkholan, mainesthai, gebraucht, und Hippokrates musste die Ableitung der Epi- lepsie von dämonischem Einfluss bestreiten. s. bei Wetstein, S. 282 ff.
12) Man vergleiche die rv'kha ra`ah teet y@hvaoh, welche den Saul melancholisch machte, 1. Sam. 16, 14. Ihr Einfluss auf Saul wird durch b'i`at'at'v', sie überfiel ihn, ausgedrückt.
Zweiter Abschnitt.
nicht zum Volk, sondern zu solchen spreche, welche selbst von dergleichen Krankheiten nach seiner Anleitung befrei- ten, so sei es nicht als bloſse Anbequemung erklärbar, wenn er ihr τὰ δαιμόνια ὑποτάσσεται ἡμῖν bestätigend wieder aufnehme, und ihre Befähigung zur Heilung der Dämonischen als eine Gewalt über die δύναμις τοῦ ἐχϑροῦ beschreibe 9). Ebenso treffend hat derselbe Theologe an andern Orten dem Anstoſs, welchen solche, deren Bildung mit dem Glauben an Dämonenbesitzungen sich nicht ver- trägt, an dem Ergebniſs nehmen könnten, daſs Jesus jenen Glauben gehabt habe, durch die Bemerkung vorgebeugt, daſs selbst der ausgezeichnetste Geist eine unrichtige Zeit- vorstellung beibehalten könne, sofern sie nicht gerade im Bereich seines besondern Nachdenkens liege[10)].
Erläuternd für die neutestamentlichen Vorstellungen von den Dämonischen sind die Ansichten, welche wir bei andern mehr oder minder gleichzeitigen Schriftstellern über diese Materie finden. Die allgemeinen Begriffe von Einflüssen böser Geister auf den Menschen, welche Melan- cholie, Wahnsinn, Epilepsie zur Folge haben, waren zwar schon frühe bei Griechen 11) wie bei Hebräern 12) verbrei- tet: aber die bestimmtere Vorstellung, daſs die bösen Gei- ster in den Leib des Menschen fahren und von demselben Besiz nehmen, hat sich nachweislich doch erst ziemlich spät, in Folge allgemeiner Verbreitung der orientalischen,
9) exeg. Handb. 2, S. 566.
10) a. a. O. 1, b, S. 483. 2, S. 96.
11) Daher wurde δαιμονᾷν, κακοδαιμονᾷν = μελαγχολᾷν, μαινεσϑαι, gebraucht, und Hippokrates musste die Ableitung der Epi- lepsie von dämonischem Einfluss bestreiten. s. bei Wetstein, S. 282 ff.
12) Man vergleiche die רוּחַ רָעָה טֵאֵת יְהוָֹה, welche den Saul melancholisch machte, 1. Sam. 16, 14. Ihr Einfluss auf Saul wird durch בִּעֲתַּתּוּ, sie überfiel ihn, ausgedrückt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0029"n="10"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
nicht zum Volk, sondern zu solchen spreche, welche selbst<lb/>
von dergleichen Krankheiten nach seiner Anleitung befrei-<lb/>
ten, so sei es nicht als bloſse Anbequemung erklärbar,<lb/>
wenn er ihr <foreignxml:lang="ell">τὰδαιμόνιαὑποτάσσεταιἡμῖν</foreign> bestätigend<lb/>
wieder aufnehme, und ihre Befähigung zur Heilung der<lb/>
Dämonischen als eine Gewalt über die δύναμιςτοῦἐχϑροῦ<lb/>
beschreibe <noteplace="foot"n="9)">exeg. Handb. 2, S. 566.</note>. Ebenso treffend hat derselbe Theologe an<lb/>
andern Orten dem Anstoſs, welchen solche, deren Bildung<lb/>
mit dem Glauben an Dämonenbesitzungen sich nicht ver-<lb/>
trägt, an dem Ergebniſs nehmen könnten, daſs Jesus jenen<lb/>
Glauben gehabt habe, durch die Bemerkung vorgebeugt,<lb/>
daſs selbst der ausgezeichnetste Geist eine unrichtige Zeit-<lb/>
vorstellung beibehalten könne, sofern sie nicht gerade im<lb/>
Bereich seines besondern Nachdenkens liege<supplied><noteplace="foot"n="10)">a. a. O. 1, b, S. 483. 2, S. 96.</note></supplied>.</p><lb/><p>Erläuternd für die neutestamentlichen Vorstellungen<lb/>
von den Dämonischen sind die Ansichten, welche wir bei<lb/>
andern mehr oder minder gleichzeitigen Schriftstellern<lb/>
über diese Materie finden. Die allgemeinen Begriffe von<lb/>
Einflüssen böser Geister auf den Menschen, welche Melan-<lb/>
cholie, Wahnsinn, Epilepsie zur Folge haben, waren zwar<lb/>
schon frühe bei Griechen <noteplace="foot"n="11)">Daher wurde <foreignxml:lang="ell">δαιμονᾷν, κακοδαιμονᾷν = μελαγχολᾷν, μαινεσϑαι</foreign>,<lb/>
gebraucht, und Hippokrates musste die Ableitung der Epi-<lb/>
lepsie von dämonischem Einfluss bestreiten. s. bei <hirendition="#k">Wetstein</hi>,<lb/>
S. 282 ff.</note> wie bei Hebräern <noteplace="foot"n="12)">Man vergleiche die <foreignxml:lang="heb">רוּחַרָעָהטֵאֵתיְהוָֹה</foreign>, welche den Saul<lb/>
melancholisch machte, 1. Sam. 16, 14. Ihr Einfluss auf Saul<lb/>
wird durch <foreignxml:lang="heb">בִּעֲתַּתּוּ</foreign>, sie überfiel ihn, ausgedrückt.</note> verbrei-<lb/>
tet: aber die bestimmtere Vorstellung, daſs die bösen Gei-<lb/>
ster in den Leib des Menschen fahren und von demselben<lb/>
Besiz nehmen, hat sich nachweislich doch erst ziemlich<lb/>
spät, in Folge allgemeiner Verbreitung der orientalischen,<lb/><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[10/0029]
Zweiter Abschnitt.
nicht zum Volk, sondern zu solchen spreche, welche selbst
von dergleichen Krankheiten nach seiner Anleitung befrei-
ten, so sei es nicht als bloſse Anbequemung erklärbar,
wenn er ihr τὰ δαιμόνια ὑποτάσσεται ἡμῖν bestätigend
wieder aufnehme, und ihre Befähigung zur Heilung der
Dämonischen als eine Gewalt über die δύναμις τοῦ ἐχϑροῦ
beschreibe 9). Ebenso treffend hat derselbe Theologe an
andern Orten dem Anstoſs, welchen solche, deren Bildung
mit dem Glauben an Dämonenbesitzungen sich nicht ver-
trägt, an dem Ergebniſs nehmen könnten, daſs Jesus jenen
Glauben gehabt habe, durch die Bemerkung vorgebeugt,
daſs selbst der ausgezeichnetste Geist eine unrichtige Zeit-
vorstellung beibehalten könne, sofern sie nicht gerade im
Bereich seines besondern Nachdenkens liege 10).
Erläuternd für die neutestamentlichen Vorstellungen
von den Dämonischen sind die Ansichten, welche wir bei
andern mehr oder minder gleichzeitigen Schriftstellern
über diese Materie finden. Die allgemeinen Begriffe von
Einflüssen böser Geister auf den Menschen, welche Melan-
cholie, Wahnsinn, Epilepsie zur Folge haben, waren zwar
schon frühe bei Griechen 11) wie bei Hebräern 12) verbrei-
tet: aber die bestimmtere Vorstellung, daſs die bösen Gei-
ster in den Leib des Menschen fahren und von demselben
Besiz nehmen, hat sich nachweislich doch erst ziemlich
spät, in Folge allgemeiner Verbreitung der orientalischen,
9) exeg. Handb. 2, S. 566.
10) a. a. O. 1, b, S. 483. 2, S. 96.
11) Daher wurde δαιμονᾷν, κακοδαιμονᾷν = μελαγχολᾷν, μαινεσϑαι,
gebraucht, und Hippokrates musste die Ableitung der Epi-
lepsie von dämonischem Einfluss bestreiten. s. bei Wetstein,
S. 282 ff.
12) Man vergleiche die רוּחַ רָעָה טֵאֵת יְהוָֹה, welche den Saul
melancholisch machte, 1. Sam. 16, 14. Ihr Einfluss auf Saul
wird durch בִּעֲתַּתּוּ, sie überfiel ihn, ausgedrückt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/29>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.