Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. bei'm ersten, trüben Erwachen noch einen Augenblick vor-schwebte. -- Wie die vorige Erklärung auf das orama des Matthäus, so stüzt sich diese darauf, dass Lukas die Jün- ger als bebaremenoi upnps, und erst gegen das Ende der Scene wieder als diagregoresantes bezeichnet (V. 32.). Auf die Handhabe, welche der dritte Evangelist hiemit der natürlichen Erklärung bietet, wird nun ein bedeutender Vor- zug seiner Erzählung vor der der beiden ersten begründet, indem die neueren Kritiker erklären, dass durch diese und andre Züge, welche die Begebenheit dem Natürlichen nä- her bringen, die Darstellung bei Lukas sich als die ur- sprüngliche, die des Matthäus dagegen durch Weglassung derselben sich als die abgeleitete erweise, da bei der wunder- süchtigen Richtung jener Zeit wohl Niemand solche, das Wunder mindernde Züge, wie das Schlafen der Jünger, hinzugedichtet haben würde 5). Diese Schlussweise wür- den wir zu der unsrigen machen müssen, wenn wirklich der bezeichnete Zug nur im Sinne der natürlichen Erklä- rung aufgefasst werden könnte. Hier dürfen wir uns aber nur erinnern, wie bei einer andern Scene, in welcher das nach Lukas bei der Verklärung Jesu angekündigte Leiden in Erfüllung zu gehen anfieng, und bei welcher nach dem- selben Evangelisten gleichfalls eine himmlische Erscheinung Jesu zu Theil wurde, in Gethsemane nämlich, die Jünger ebenso, und zwar nach sämmtlichen Synoptikern, als kath- eudontes erscheinen (Matth. 26, 40 parall.). Konnte hier schon die bloss äussere, formelle Ähnlichkeit beider Sce- nen einen Referenten zur Übertragung des Zugs vom Schlaf in die Verklärungsgeschichte veranlassen: so konnte ihm noch mehr der Sinn und Inhalt dieses Zugs auch hier an seinem Orte scheinen. Durch das Schlafen der Jünger nämlich, eben während mit ihrem Meister das Wichtigste 5) Schulz, über das Abendmahl, S. 319; Schleiermacher, über
den Lukas, S. 148 f.; vgl. auch Köster, Immanuel, S. 60 f. Zweiter Abschnitt. bei'm ersten, trüben Erwachen noch einen Augenblick vor-schwebte. — Wie die vorige Erklärung auf das ὅραμα des Matthäus, so stüzt sich diese darauf, daſs Lukas die Jün- ger als βεβαρημένοι ὕπνψ, und erst gegen das Ende der Scene wieder als διαγρηγορήσαντες bezeichnet (V. 32.). Auf die Handhabe, welche der dritte Evangelist hiemit der natürlichen Erklärung bietet, wird nun ein bedeutender Vor- zug seiner Erzählung vor der der beiden ersten begründet, indem die neueren Kritiker erklären, daſs durch diese und andre Züge, welche die Begebenheit dem Natürlichen nä- her bringen, die Darstellung bei Lukas sich als die ur- sprüngliche, die des Matthäus dagegen durch Weglassung derselben sich als die abgeleitete erweise, da bei der wunder- süchtigen Richtung jener Zeit wohl Niemand solche, das Wunder mindernde Züge, wie das Schlafen der Jünger, hinzugedichtet haben würde 5). Diese Schluſsweise wür- den wir zu der unsrigen machen müssen, wenn wirklich der bezeichnete Zug nur im Sinne der natürlichen Erklä- rung aufgefaſst werden könnte. Hier dürfen wir uns aber nur erinnern, wie bei einer andern Scene, in welcher das nach Lukas bei der Verklärung Jesu angekündigte Leiden in Erfüllung zu gehen anfieng, und bei welcher nach dem- selben Evangelisten gleichfalls eine himmlische Erscheinung Jesu zu Theil wurde, in Gethsemane nämlich, die Jünger ebenso, und zwar nach sämmtlichen Synoptikern, als καϑ- εύδοντες erscheinen (Matth. 26, 40 parall.). Konnte hier schon die bloſs äussere, formelle Ähnlichkeit beider Sce- nen einen Referenten zur Übertragung des Zugs vom Schlaf in die Verklärungsgeschichte veranlassen: so konnte ihm noch mehr der Sinn und Inhalt dieses Zugs auch hier an seinem Orte scheinen. Durch das Schlafen der Jünger nämlich, eben während mit ihrem Meister das Wichtigste 5) Schulz, über das Abendmahl, S. 319; Schleiermacher, über
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Zweiter Abschnitt.
bei'm ersten, trüben Erwachen noch einen Augenblick vor-
schwebte. — Wie die vorige Erklärung auf das ὅραμα des
Matthäus, so stüzt sich diese darauf, daſs Lukas die Jün-
ger als βεβαρημένοι ὕπνψ, und erst gegen das Ende der
Scene wieder als διαγρηγορήσαντες bezeichnet (V. 32.).
Auf die Handhabe, welche der dritte Evangelist hiemit der
natürlichen Erklärung bietet, wird nun ein bedeutender Vor-
zug seiner Erzählung vor der der beiden ersten begründet,
indem die neueren Kritiker erklären, daſs durch diese und
andre Züge, welche die Begebenheit dem Natürlichen nä-
her bringen, die Darstellung bei Lukas sich als die ur-
sprüngliche, die des Matthäus dagegen durch Weglassung
derselben sich als die abgeleitete erweise, da bei der wunder-
süchtigen Richtung jener Zeit wohl Niemand solche, das
Wunder mindernde Züge, wie das Schlafen der Jünger,
hinzugedichtet haben würde 5). Diese Schluſsweise wür-
den wir zu der unsrigen machen müssen, wenn wirklich
der bezeichnete Zug nur im Sinne der natürlichen Erklä-
rung aufgefaſst werden könnte. Hier dürfen wir uns aber
nur erinnern, wie bei einer andern Scene, in welcher das
nach Lukas bei der Verklärung Jesu angekündigte Leiden
in Erfüllung zu gehen anfieng, und bei welcher nach dem-
selben Evangelisten gleichfalls eine himmlische Erscheinung
Jesu zu Theil wurde, in Gethsemane nämlich, die Jünger
ebenso, und zwar nach sämmtlichen Synoptikern, als καϑ-
εύδοντες erscheinen (Matth. 26, 40 parall.). Konnte hier
schon die bloſs äussere, formelle Ähnlichkeit beider Sce-
nen einen Referenten zur Übertragung des Zugs vom Schlaf
in die Verklärungsgeschichte veranlassen: so konnte ihm
noch mehr der Sinn und Inhalt dieses Zugs auch hier an
seinem Orte scheinen. Durch das Schlafen der Jünger
nämlich, eben während mit ihrem Meister das Wichtigste
5) Schulz, über das Abendmahl, S. 319; Schleiermacher, über
den Lukas, S. 148 f.; vgl. auch Köster, Immanuel, S. 60 f.
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