Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. Volks wie früher durch eine bildliche Rede, so damals durcheine symbolische Handlung habe darstellen wollen; was, wie wir gesehen haben, undenkbar ist. Dennoch werden wir uns der Vermuthung nicht erwehren können, dass wir hier ein und dasselbe Thema in drei verschiedenen Gestalten vor uns haben, zuerst in concentrirtester Form als Gnome, dann zur Parabel erweitert, und endlich zur Geschichte realisirt; wobei wir nur nicht annehmen, dass Jesus, was er zweimal durch Worte, zulezt auch noch durch eine Handlung dargestellt, sondern, dass die Tradi- tion, was sie als Gnome und parabolische Geschichte vor- fand, auch vollends zur wirklichen Begebenheit gemacht habe. Dass in dieser wirklichen Geschichte das Ende des Baums ein etwas andres ist, als was ihm in der Gnome und Gleichnissrede angedroht wird, nämlich Verdorren statt des Umgehauenwerdens, darf nicht zum Anstoss ge reichen. Denn war die Parabel einmal zur wirklichen Geschichte, mit dem Subjekt Jesus, geworden, war also ihr ganzer didaktischer und symbolischer Gehalt in der äus- seren Handlung aufgegangen: so musste diese, sollte sie noch Gewicht und Interesse haben, als Wunderhandlung sich bestimmen, also die durch Axt und Hauen natürlich vermittelte Vertilgung des Baums in ein unmittelbares Ver- dorren auf das Wort Jesu sich verwandeln. Zwar scheint gegen diese Ansicht von der Erzählung, nach welcher ihr innerster Kern doch kein andrer als ein symbolischer blie- be, sich ebendasselbe, was gegen die oben erwogene, ein- wenden zu lassen, dass nämlich die daran sich knüpfen- de Rede Jesu einer solchen Auffassung widerstrebe. Al- lein bei unsrer Ansicht von den Berichten sind wir befugt, zu sagen, dass mit der Umwandlung der Parabel zur Ge- schichte in der Tradition auch der ursprüngliche Sinn von jener verloren gieng, und, indem das Wunderbare als der Nerv der Sache betrachtet zu werden anfieng, irrigerweise jene, die Wundermacht und Glaubenskraft betreffende Re- Zweiter Abschnitt. Volks wie früher durch eine bildliche Rede, so damals durcheine symbolische Handlung habe darstellen wollen; was, wie wir gesehen haben, undenkbar ist. Dennoch werden wir uns der Vermuthung nicht erwehren können, daſs wir hier ein und dasselbe Thema in drei verschiedenen Gestalten vor uns haben, zuerst in concentrirtester Form als Gnome, dann zur Parabel erweitert, und endlich zur Geschichte realisirt; wobei wir nur nicht annehmen, daſs Jesus, was er zweimal durch Worte, zulezt auch noch durch eine Handlung dargestellt, sondern, daſs die Tradi- tion, was sie als Gnome und parabolische Geschichte vor- fand, auch vollends zur wirklichen Begebenheit gemacht habe. Daſs in dieser wirklichen Geschichte das Ende des Baums ein etwas andres ist, als was ihm in der Gnome und Gleichniſsrede angedroht wird, nämlich Verdorren statt des Umgehauenwerdens, darf nicht zum Anstoſs ge reichen. Denn war die Parabel einmal zur wirklichen Geschichte, mit dem Subjekt Jesus, geworden, war also ihr ganzer didaktischer und symbolischer Gehalt in der äus- seren Handlung aufgegangen: so muſste diese, sollte sie noch Gewicht und Interesse haben, als Wunderhandlung sich bestimmen, also die durch Axt und Hauen natürlich vermittelte Vertilgung des Baums in ein unmittelbares Ver- dorren auf das Wort Jesu sich verwandeln. Zwar scheint gegen diese Ansicht von der Erzählung, nach welcher ihr innerster Kern doch kein andrer als ein symbolischer blie- be, sich ebendasselbe, was gegen die oben erwogene, ein- wenden zu lassen, daſs nämlich die daran sich knüpfen- de Rede Jesu einer solchen Auffassung widerstrebe. Al- lein bei unsrer Ansicht von den Berichten sind wir befugt, zu sagen, daſs mit der Umwandlung der Parabel zur Ge- schichte in der Tradition auch der ursprüngliche Sinn von jener verloren gieng, und, indem das Wunderbare als der Nerv der Sache betrachtet zu werden anfieng, irrigerweise jene, die Wundermacht und Glaubenskraft betreffende Re- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0269" n="250"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> Volks wie früher durch eine bildliche Rede, so damals durch<lb/> eine symbolische Handlung habe darstellen wollen; was,<lb/> wie wir gesehen haben, undenkbar ist. 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Zweiter Abschnitt.
Volks wie früher durch eine bildliche Rede, so damals durch
eine symbolische Handlung habe darstellen wollen; was,
wie wir gesehen haben, undenkbar ist. Dennoch werden
wir uns der Vermuthung nicht erwehren können, daſs
wir hier ein und dasselbe Thema in drei verschiedenen
Gestalten vor uns haben, zuerst in concentrirtester Form
als Gnome, dann zur Parabel erweitert, und endlich zur
Geschichte realisirt; wobei wir nur nicht annehmen, daſs
Jesus, was er zweimal durch Worte, zulezt auch noch
durch eine Handlung dargestellt, sondern, daſs die Tradi-
tion, was sie als Gnome und parabolische Geschichte vor-
fand, auch vollends zur wirklichen Begebenheit gemacht
habe. Daſs in dieser wirklichen Geschichte das Ende des
Baums ein etwas andres ist, als was ihm in der Gnome
und Gleichniſsrede angedroht wird, nämlich Verdorren
statt des Umgehauenwerdens, darf nicht zum Anstoſs ge
reichen. Denn war die Parabel einmal zur wirklichen
Geschichte, mit dem Subjekt Jesus, geworden, war also
ihr ganzer didaktischer und symbolischer Gehalt in der äus-
seren Handlung aufgegangen: so muſste diese, sollte sie
noch Gewicht und Interesse haben, als Wunderhandlung
sich bestimmen, also die durch Axt und Hauen natürlich
vermittelte Vertilgung des Baums in ein unmittelbares Ver-
dorren auf das Wort Jesu sich verwandeln. Zwar scheint
gegen diese Ansicht von der Erzählung, nach welcher ihr
innerster Kern doch kein andrer als ein symbolischer blie-
be, sich ebendasselbe, was gegen die oben erwogene, ein-
wenden zu lassen, daſs nämlich die daran sich knüpfen-
de Rede Jesu einer solchen Auffassung widerstrebe. Al-
lein bei unsrer Ansicht von den Berichten sind wir befugt,
zu sagen, daſs mit der Umwandlung der Parabel zur Ge-
schichte in der Tradition auch der ursprüngliche Sinn von
jener verloren gieng, und, indem das Wunderbare als der
Nerv der Sache betrachtet zu werden anfieng, irrigerweise
jene, die Wundermacht und Glaubenskraft betreffende Re-
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