Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweiter Abschnitt.
des Fischmauls ausdrücklich bemerkt, wenn nicht eben in
demselben das Begehrte gefunden werden sollte? Paulus
findet darin nur die Anweisung, den Fisch ungesäumt vom
Angel zu lösen, um ihn lebendig zu erhalten und desto
eher verkäuflich zu machen. Zu dem Befehl, das Maul
des Fisches zu öffnen, könnte allerdings, wenn sonst nichts
dabei stände, die Herausnahme des Angels als Zweck und
Erfolg hinzugedacht werden: da aber eureseis natera da-
beisteht, so ist unverkennbar dieses als nächster Zweck
des Maulöffnens bezeichnet. Das Gefühl, dass, so lange
von einem Aufthun des Maules am Fisch in der Stelle die
Rede sei, auch der Stater als in demselben zu findender
vorausgesezt werde, bewog die rationalistischen Erklärer,
das soma wo möglich auf ein anderes Subjekt als den Fisch
zu beziehen, und da war nur der Fischer, Petrus, übrig.
Da nun aber das soma durch das dabeistehende autouan
den Fisch gebunden scheint, so hat Dr. Paulus, den Vor-
schlag eines Freundes, statt autoueureseis geradezu anth-
eureseis zu lesen, mildernd oder überbietend, das stehen
gelassene autou von soma getrennt, adverbialisch genommen,
und übersezt: du darfst dann nur deinen Mund aufthun,
um den Fisch feilzubieten, so wirst du auf der Stelle (autou)
einen Stater für denselben ausbezahlt bekommen. Wie konnte
aber, musste man noch fragen, in dem fischreichen Kaper-
naum ein einziger Fisch so theuer bezahlt werden? daher
nahm dann Paulus das ton anabanta proton ikhthun aron
collectiv: nimm allemal den Fisch, der dir zuerst aufstösst,
und mache so fort, bis du eines Staters werth eran-
gelt hast.

Werden wir durch die Reihe von Gewaltthätigkeiten,
welche zur natürlichen Erklärung dieser Erzählung nö-
thig sind, wieder zu derjenigen zurückgewiesen, welche
hier ein Wunder findet, und erscheint uns doch nach dem
früher Bemerkten dieses Wunder als abenteuerlich und
unnöthig, mithin als unglaublich: so bleibt nichts übrig,

Zweiter Abschnitt.
des Fischmauls ausdrücklich bemerkt, wenn nicht eben in
demselben das Begehrte gefunden werden sollte? Paulus
findet darin nur die Anweisung, den Fisch ungesäumt vom
Angel zu lösen, um ihn lebendig zu erhalten und desto
eher verkäuflich zu machen. Zu dem Befehl, das Maul
des Fisches zu öffnen, könnte allerdings, wenn sonst nichts
dabei stände, die Herausnahme des Angels als Zweck und
Erfolg hinzugedacht werden: da aber εὑρήσεις νατῆρα da-
beisteht, so ist unverkennbar dieses als nächster Zweck
des Maulöffnens bezeichnet. Das Gefühl, daſs, so lange
von einem Aufthun des Maules am Fisch in der Stelle die
Rede sei, auch der Stater als in demselben zu findender
vorausgesezt werde, bewog die rationalistischen Erklärer,
das ςόμα wo möglich auf ein anderes Subjekt als den Fisch
zu beziehen, und da war nur der Fischer, Petrus, übrig.
Da nun aber das ςόμα durch das dabeistehende αὐτοῦan
den Fisch gebunden scheint, so hat Dr. Paulus, den Vor-
schlag eines Freundes, statt αὐτοῦεὑρήσεις geradezu ἀνϑ-
ευρήσεις zu lesen, mildernd oder überbietend, das stehen
gelassene αὐτοῦ von ςόμα getrennt, adverbialisch genommen,
und übersezt: du darfst dann nur deinen Mund aufthun,
um den Fisch feilzubieten, so wirst du auf der Stelle (αὐτοῦ)
einen Stater für denselben ausbezahlt bekommen. Wie konnte
aber, muſste man noch fragen, in dem fischreichen Kaper-
naum ein einziger Fisch so theuer bezahlt werden? daher
nahm dann Paulus das τὸν ἀναβάντα πρῶτον ἰχϑὺν ᾆρον
collectiv: nimm allemal den Fisch, der dir zuerst aufstöſst,
und mache so fort, bis du eines Staters werth eran-
gelt hast.

Werden wir durch die Reihe von Gewaltthätigkeiten,
welche zur natürlichen Erklärung dieser Erzählung nö-
thig sind, wieder zu derjenigen zurückgewiesen, welche
hier ein Wunder findet, und erscheint uns doch nach dem
früher Bemerkten dieses Wunder als abenteuerlich und
unnöthig, mithin als unglaublich: so bleibt nichts übrig,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0215" n="196"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
des Fischmauls ausdrücklich bemerkt, wenn nicht eben in<lb/>
demselben das Begehrte gefunden werden sollte? <hi rendition="#k">Paulus</hi><lb/>
findet darin nur die Anweisung, den Fisch ungesäumt vom<lb/>
Angel zu lösen, um ihn lebendig zu erhalten und desto<lb/>
eher verkäuflich zu machen. Zu dem Befehl, das Maul<lb/>
des Fisches zu öffnen, könnte allerdings, wenn sonst nichts<lb/>
dabei stände, die Herausnahme des Angels als Zweck und<lb/>
Erfolg hinzugedacht werden: da aber <foreign xml:lang="ell">&#x03B5;&#x1F51;&#x03C1;&#x03AE;&#x03C3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C2; &#x03BD;&#x03B1;&#x03C4;&#x1FC6;&#x03C1;&#x03B1;</foreign> da-<lb/>
beisteht, so ist unverkennbar dieses als nächster Zweck<lb/>
des Maulöffnens bezeichnet. Das Gefühl, da&#x017F;s, so lange<lb/>
von einem Aufthun des Maules am Fisch in der Stelle die<lb/>
Rede sei, auch der Stater als in demselben zu findender<lb/>
vorausgesezt werde, bewog die rationalistischen Erklärer,<lb/>
das <foreign xml:lang="ell">&#x03C2;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B1;</foreign> wo möglich auf ein anderes Subjekt als den Fisch<lb/>
zu beziehen, und da war nur der Fischer, Petrus, übrig.<lb/>
Da nun aber das &#x03C2;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B1; durch das dabeistehende &#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;&#x0342;an<lb/>
den Fisch gebunden scheint, so hat Dr. <hi rendition="#k">Paulus</hi>, den Vor-<lb/>
schlag eines Freundes, statt <foreign xml:lang="ell">&#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;&#x0342;&#x03B5;&#x1F51;&#x03C1;&#x03AE;&#x03C3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C2;</foreign> geradezu <foreign xml:lang="ell">&#x1F00;&#x03BD;&#x03D1;-<lb/>
&#x03B5;&#x03C5;&#x03C1;&#x03AE;&#x03C3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C2;</foreign> zu lesen, mildernd oder überbietend, das stehen<lb/>
gelassene <foreign xml:lang="ell">&#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;&#x0342;</foreign> von <foreign xml:lang="ell">&#x03C2;&#x03CC;&#x03BC;&#x03B1;</foreign> getrennt, adverbialisch genommen,<lb/>
und übersezt: du darfst dann nur deinen Mund aufthun,<lb/>
um den Fisch feilzubieten, so wirst du auf der Stelle (<foreign xml:lang="ell">&#x03B1;&#x1F50;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C5;&#x0342;</foreign>)<lb/>
einen Stater für denselben ausbezahlt bekommen. Wie konnte<lb/>
aber, mu&#x017F;ste man noch fragen, in dem fischreichen Kaper-<lb/>
naum ein einziger Fisch so theuer bezahlt werden? daher<lb/>
nahm dann <hi rendition="#k">Paulus</hi> das <foreign xml:lang="ell">&#x03C4;&#x1F78;&#x03BD; &#x1F00;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B2;&#x03AC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B1; &#x03C0;&#x03C1;&#x1FF6;&#x03C4;&#x03BF;&#x03BD; &#x1F30;&#x03C7;&#x03D1;&#x1F7A;&#x03BD; &#x1F86;&#x03C1;&#x03BF;&#x03BD;</foreign><lb/>
collectiv: nimm allemal den Fisch, der dir zuerst aufstö&#x017F;st,<lb/>
und mache so fort, bis du eines Staters werth eran-<lb/>
gelt hast.</p><lb/>
          <p>Werden wir durch die Reihe von Gewaltthätigkeiten,<lb/>
welche zur natürlichen Erklärung dieser Erzählung nö-<lb/>
thig sind, wieder zu derjenigen zurückgewiesen, welche<lb/>
hier ein Wunder findet, und erscheint uns doch nach dem<lb/>
früher Bemerkten dieses Wunder als abenteuerlich und<lb/>
unnöthig, mithin als unglaublich: so bleibt nichts übrig,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0215] Zweiter Abschnitt. des Fischmauls ausdrücklich bemerkt, wenn nicht eben in demselben das Begehrte gefunden werden sollte? Paulus findet darin nur die Anweisung, den Fisch ungesäumt vom Angel zu lösen, um ihn lebendig zu erhalten und desto eher verkäuflich zu machen. Zu dem Befehl, das Maul des Fisches zu öffnen, könnte allerdings, wenn sonst nichts dabei stände, die Herausnahme des Angels als Zweck und Erfolg hinzugedacht werden: da aber εὑρήσεις νατῆρα da- beisteht, so ist unverkennbar dieses als nächster Zweck des Maulöffnens bezeichnet. Das Gefühl, daſs, so lange von einem Aufthun des Maules am Fisch in der Stelle die Rede sei, auch der Stater als in demselben zu findender vorausgesezt werde, bewog die rationalistischen Erklärer, das ςόμα wo möglich auf ein anderes Subjekt als den Fisch zu beziehen, und da war nur der Fischer, Petrus, übrig. Da nun aber das ςόμα durch das dabeistehende αὐτοῦan den Fisch gebunden scheint, so hat Dr. Paulus, den Vor- schlag eines Freundes, statt αὐτοῦεὑρήσεις geradezu ἀνϑ- ευρήσεις zu lesen, mildernd oder überbietend, das stehen gelassene αὐτοῦ von ςόμα getrennt, adverbialisch genommen, und übersezt: du darfst dann nur deinen Mund aufthun, um den Fisch feilzubieten, so wirst du auf der Stelle (αὐτοῦ) einen Stater für denselben ausbezahlt bekommen. Wie konnte aber, muſste man noch fragen, in dem fischreichen Kaper- naum ein einziger Fisch so theuer bezahlt werden? daher nahm dann Paulus das τὸν ἀναβάντα πρῶτον ἰχϑὺν ᾆρον collectiv: nimm allemal den Fisch, der dir zuerst aufstöſst, und mache so fort, bis du eines Staters werth eran- gelt hast. Werden wir durch die Reihe von Gewaltthätigkeiten, welche zur natürlichen Erklärung dieser Erzählung nö- thig sind, wieder zu derjenigen zurückgewiesen, welche hier ein Wunder findet, und erscheint uns doch nach dem früher Bemerkten dieses Wunder als abenteuerlich und unnöthig, mithin als unglaublich: so bleibt nichts übrig,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/215
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/215>, abgerufen am 25.11.2024.