Stelle dem Geist unsres Schriftstellers vollkommen ange- messen ist. Nicht zufrieden mit der Darstellung seines Ge- währsmanns, dass Jesus mit besondrer Rücksicht auf die Jünger diessmal einen so ausserordentlichen Weg gemacht habe, giebt er durch jenen Zusaz der Sache die Wendung, als wäre Jesu ein solches Gehen auf dem Wasser so na- türlich und gewöhnlich gewesen, dass er auch ohne Rück- sicht auf die Jünger, wo ihm ein Wasser im Wege lag, seine Strasse über dasselbe so unbedenklich, wie über fe- stes Land, nahm. Dass nun ein solches Gehen bei Jesu ha- bituell gewesen, diess würde am entschiedensten eine Ols- hausen'sche Leibesverklärung, mithin das Undenkbare, vor- aussetzen, wodurch sich dieser Zug als einer der stärk- sten von jenen zu erkennen giebt, durch welche das zweite Evangelium sich hin und wieder der apokryphischen Über- treibung nähert 14).
Auf andre Weise findet sich bei Matthäus das Wun- derbare des Vorgangs, nicht sowohl gesteigert, als verviel- fältigt, indem er ausser Jesu auch den Petrus einen, wie- wohl nicht ganz gut abgelaufenen, Versuch im Gehen auf dem Meere machen lässt. Diesen Zug macht ausser dem Stillschweigen der beiden Correferenten auch seine eigne Natur verdächtig. Auf das Wort Jesu hin und durch sei- nen anfänglichen Glauben vermag Petrus wirklich eine Zeit lang auf dem Wasser zu gehen, und erst als Furcht und Kleingläubigkeit ihn ergreift, fängt er unterzusinken an. Was sollen wir nun hievon denken? Vermochte Je- sus mittelst eines verklärten Leibes auf dem Wasser zu ge- hen: wie konnte er dem Petrus, der eines solchen Kör-
14) Des Markus Neigung zum Übertreiben zeigt sich auch in der Schlussformel, V. 51 (vgl. 7, 37): kai lian ek perissou en eautois exisanto kai ethaumazon, worin man doch nicht mit Paulus (2, S. 266) eine Missbilligung des unverhältnissmäs- sigen Erstaunens wird finden wollen.
Neuntes Kapitel. §. 97.
Stelle dem Geist unsres Schriftstellers vollkommen ange- messen ist. Nicht zufrieden mit der Darstellung seines Ge- währsmanns, daſs Jesus mit besondrer Rücksicht auf die Jünger dieſsmal einen so ausserordentlichen Weg gemacht habe, giebt er durch jenen Zusaz der Sache die Wendung, als wäre Jesu ein solches Gehen auf dem Wasser so na- türlich und gewöhnlich gewesen, daſs er auch ohne Rück- sicht auf die Jünger, wo ihm ein Wasser im Wege lag, seine Straſse über dasselbe so unbedenklich, wie über fe- stes Land, nahm. Daſs nun ein solches Gehen bei Jesu ha- bituell gewesen, dieſs würde am entschiedensten eine Ols- hausen'sche Leibesverklärung, mithin das Undenkbare, vor- aussetzen, wodurch sich dieser Zug als einer der stärk- sten von jenen zu erkennen giebt, durch welche das zweite Evangelium sich hin und wieder der apokryphischen Über- treibung nähert 14).
Auf andre Weise findet sich bei Matthäus das Wun- derbare des Vorgangs, nicht sowohl gesteigert, als verviel- fältigt, indem er ausser Jesu auch den Petrus einen, wie- wohl nicht ganz gut abgelaufenen, Versuch im Gehen auf dem Meere machen läſst. Diesen Zug macht ausser dem Stillschweigen der beiden Correferenten auch seine eigne Natur verdächtig. Auf das Wort Jesu hin und durch sei- nen anfänglichen Glauben vermag Petrus wirklich eine Zeit lang auf dem Wasser zu gehen, und erst als Furcht und Kleingläubigkeit ihn ergreift, fängt er unterzusinken an. Was sollen wir nun hievon denken? Vermochte Je- sus mittelst eines verklärten Leibes auf dem Wasser zu ge- hen: wie konnte er dem Petrus, der eines solchen Kör-
14) Des Markus Neigung zum Übertreiben zeigt sich auch in der Schlussformel, V. 51 (vgl. 7, 37): καὶ λίαν ἐκ περισσοῦ ἐν ἑαυτοῖς ἐξίςαντο καὶ ἐϑαύμαζον, worin man doch nicht mit Paulus (2, S. 266) eine Missbilligung des unverhältnissmäs- sigen Erstaunens wird finden wollen.
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Neuntes Kapitel. §. 97.
Stelle dem Geist unsres Schriftstellers vollkommen ange-
messen ist. Nicht zufrieden mit der Darstellung seines Ge-
währsmanns, daſs Jesus mit besondrer Rücksicht auf die
Jünger dieſsmal einen so ausserordentlichen Weg gemacht
habe, giebt er durch jenen Zusaz der Sache die Wendung,
als wäre Jesu ein solches Gehen auf dem Wasser so na-
türlich und gewöhnlich gewesen, daſs er auch ohne Rück-
sicht auf die Jünger, wo ihm ein Wasser im Wege lag,
seine Straſse über dasselbe so unbedenklich, wie über fe-
stes Land, nahm. Daſs nun ein solches Gehen bei Jesu ha-
bituell gewesen, dieſs würde am entschiedensten eine Ols-
hausen'sche Leibesverklärung, mithin das Undenkbare, vor-
aussetzen, wodurch sich dieser Zug als einer der stärk-
sten von jenen zu erkennen giebt, durch welche das zweite
Evangelium sich hin und wieder der apokryphischen Über-
treibung nähert 14).
Auf andre Weise findet sich bei Matthäus das Wun-
derbare des Vorgangs, nicht sowohl gesteigert, als verviel-
fältigt, indem er ausser Jesu auch den Petrus einen, wie-
wohl nicht ganz gut abgelaufenen, Versuch im Gehen auf
dem Meere machen läſst. Diesen Zug macht ausser dem
Stillschweigen der beiden Correferenten auch seine eigne
Natur verdächtig. Auf das Wort Jesu hin und durch sei-
nen anfänglichen Glauben vermag Petrus wirklich eine
Zeit lang auf dem Wasser zu gehen, und erst als Furcht
und Kleingläubigkeit ihn ergreift, fängt er unterzusinken
an. Was sollen wir nun hievon denken? Vermochte Je-
sus mittelst eines verklärten Leibes auf dem Wasser zu ge-
hen: wie konnte er dem Petrus, der eines solchen Kör-
14) Des Markus Neigung zum Übertreiben zeigt sich auch in der
Schlussformel, V. 51 (vgl. 7, 37): καὶ λίαν ἐκ περισσοῦ ἐν
ἑαυτοῖς ἐξίςαντο καὶ ἐϑαύμαζον, worin man doch nicht mit
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/204>, abgerufen am 22.11.2024.
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