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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
Urtheil von allen äusseren Gründen verlassen ist, so müsste
man, wenn jene Worte doch nicht von Jesu sein können,
annehmen, wozu Lücke früher nicht ganz ungeneigt war 39),
der Evangelist habe Jesu jene Worte nur geliehen, um die
in V. 41. vorangegangenen zu erläutern. Ganz gewiss ha-
ben wir hier Worte, die Jesu vom Evangelisten nur gelie-
hen sind: aber, wenn einmal diese, wer steht uns dann
auch hier dafür, dass es nur mit diesen sich so verhält?
In einem Evangelium, in welchem wir schon so viele Re-
den als bloss geliehene erkannt haben, im Zusammenhang
einer Erzählung, welche an allen Enden historische Un-
denkbarkeiten hat, ist die Schwierigkeit eines einzelnen
Verses nicht ein Zeichen, dass er nicht zum Übrigen, son-
dern in Verbindung mit dem Übrigen davon, dass das Ganze
nicht in die Klasse historischer Compositionen gehört 40).

Was für's Andere die Abstufung zwischen den drei
Erzählungen in Rücksicht auf die äussere Beglaubigung be-
trifft, so hat schon Woolston richtig beobachtet, wie auf-
fallend es sei, dass nur die Erweckung der Jairustochter,
in welcher das Wunderbare am wenigsten hervortrete, bei
drei Evangelisten vorkomme, die beiden andern aber je
nur bei Einem 41), und zwar, indem es bei der Erweckung
des Lazarus noch weit weniger begreiflich ist, wie sie bei
den übrigen fehlen kann, als bei der Erweckung des naini-
tischen Jünglings, so ist auch hier ein vollständiger Kli-
max vorhanden.

Dass die zulezt genannte Begebenheit nur allein vom
Verfasser des Lukasevangeliums erzählt ist, dass insbeson-
dere Matthäus und Markus sie nicht neben oder statt der
Erzählung von dem erweckten Mädchen haben, macht in
mehr als Einer Hinsicht Schwierigkeit 42). Schon über-

39) Comm. z. Joh. 1te Aufl. 2, S. 310.
40) So auch der Verf. der Probabilien S. 61.
41) Disc. 5.
42) Vgl. Schleiermacher, über den Lukas, S. 103 ff.

Zweiter Abschnitt.
Urtheil von allen äusseren Gründen verlassen ist, so müſste
man, wenn jene Worte doch nicht von Jesu sein können,
annehmen, wozu Lücke früher nicht ganz ungeneigt war 39),
der Evangelist habe Jesu jene Worte nur geliehen, um die
in V. 41. vorangegangenen zu erläutern. Ganz gewiſs ha-
ben wir hier Worte, die Jesu vom Evangelisten nur gelie-
hen sind: aber, wenn einmal diese, wer steht uns dann
auch hier dafür, daſs es nur mit diesen sich so verhält?
In einem Evangelium, in welchem wir schon so viele Re-
den als bloſs geliehene erkannt haben, im Zusammenhang
einer Erzählung, welche an allen Enden historische Un-
denkbarkeiten hat, ist die Schwierigkeit eines einzelnen
Verses nicht ein Zeichen, daſs er nicht zum Übrigen, son-
dern in Verbindung mit dem Übrigen davon, daſs das Ganze
nicht in die Klasse historischer Compositionen gehört 40).

Was für's Andere die Abstufung zwischen den drei
Erzählungen in Rücksicht auf die äussere Beglaubigung be-
trifft, so hat schon Woolston richtig beobachtet, wie auf-
fallend es sei, daſs nur die Erweckung der Jairustochter,
in welcher das Wunderbare am wenigsten hervortrete, bei
drei Evangelisten vorkomme, die beiden andern aber je
nur bei Einem 41), und zwar, indem es bei der Erweckung
des Lazarus noch weit weniger begreiflich ist, wie sie bei
den übrigen fehlen kann, als bei der Erweckung des naini-
tischen Jünglings, so ist auch hier ein vollständiger Kli-
max vorhanden.

Daſs die zulezt genannte Begebenheit nur allein vom
Verfasser des Lukasevangeliums erzählt ist, daſs insbeson-
dere Matthäus und Markus sie nicht neben oder statt der
Erzählung von dem erweckten Mädchen haben, macht in
mehr als Einer Hinsicht Schwierigkeit 42). Schon über-

39) Comm. z. Joh. 1te Aufl. 2, S. 310.
40) So auch der Verf. der Probabilien S. 61.
41) Disc. 5.
42) Vgl. Schleiermacher, über den Lukas, S. 103 ff.
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[162/0181] Zweiter Abschnitt. Urtheil von allen äusseren Gründen verlassen ist, so müſste man, wenn jene Worte doch nicht von Jesu sein können, annehmen, wozu Lücke früher nicht ganz ungeneigt war 39), der Evangelist habe Jesu jene Worte nur geliehen, um die in V. 41. vorangegangenen zu erläutern. Ganz gewiſs ha- ben wir hier Worte, die Jesu vom Evangelisten nur gelie- hen sind: aber, wenn einmal diese, wer steht uns dann auch hier dafür, daſs es nur mit diesen sich so verhält? In einem Evangelium, in welchem wir schon so viele Re- den als bloſs geliehene erkannt haben, im Zusammenhang einer Erzählung, welche an allen Enden historische Un- denkbarkeiten hat, ist die Schwierigkeit eines einzelnen Verses nicht ein Zeichen, daſs er nicht zum Übrigen, son- dern in Verbindung mit dem Übrigen davon, daſs das Ganze nicht in die Klasse historischer Compositionen gehört 40). Was für's Andere die Abstufung zwischen den drei Erzählungen in Rücksicht auf die äussere Beglaubigung be- trifft, so hat schon Woolston richtig beobachtet, wie auf- fallend es sei, daſs nur die Erweckung der Jairustochter, in welcher das Wunderbare am wenigsten hervortrete, bei drei Evangelisten vorkomme, die beiden andern aber je nur bei Einem 41), und zwar, indem es bei der Erweckung des Lazarus noch weit weniger begreiflich ist, wie sie bei den übrigen fehlen kann, als bei der Erweckung des naini- tischen Jünglings, so ist auch hier ein vollständiger Kli- max vorhanden. Daſs die zulezt genannte Begebenheit nur allein vom Verfasser des Lukasevangeliums erzählt ist, daſs insbeson- dere Matthäus und Markus sie nicht neben oder statt der Erzählung von dem erweckten Mädchen haben, macht in mehr als Einer Hinsicht Schwierigkeit 42). Schon über- 39) Comm. z. Joh. 1te Aufl. 2, S. 310. 40) So auch der Verf. der Probabilien S. 61. 41) Disc. 5. 42) Vgl. Schleiermacher, über den Lukas, S. 103 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/181>, abgerufen am 27.04.2024.