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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
rung 21). Eben jene so allgemein lautende Äusserung Je-
su aber, so wie die noch unbestimmteren, V. 25 f: ego
eimi e anasasis k. t. l., glaubt man nun rationalistischer-
seits dahin deuten zu können, Jesus selbst sei von der Er-
wartung eines ausserordentlichen Erfolgs noch entfernt ge-
wesen, desswegen tröste er die Martha bloss mit der allge-
meinen Hoffnung, dass er, der Messias, den an ihn Glau-
bigen die einstige Auferstehung und ein seliges Leben ver-
schaffen werde. Da jedoch Jesus oben (V. 11.) zu seinen
Jüngern zuversichtlich von einem Aufwecken des Lazarus
gesprochen hatte, so müsste er indessen umgestimmt wor-
den sein, wozu kein Anlass zu finden ist. Auch beruft
sich Jesus V. 40, wo er, im Begriff, zur Erweckung des
Lazarus zu schreiten, zu Martha sagt: ouk eipon soi, oti,
ean piseuses, opsei ten doxan tou theou offenbar auf V. 23,
in welchem er also schon die vorzunehmende Wiederbele-
bung vorhergesagt haben will. Dass er diese nicht be-
stimmter bezeichnet, und das kaum gegebene Versprechen
in Bezug auf den adelphos V. 25 f. wieder in allgemeine
Verheissungen für den piseuon überhaupt verhüllt, ge-
schieht, um den Glauben der Martha zu prüfen und zu
stärken 22).

Wie nun Maria mit Begleitung herauskommt, und
durch ihr Weinen auch Jesus bis zu Thränen erschüttert
wird, das ist ein Punkt, auf welchen sich die natürliche
Erklärung mit besonderer Zuversicht beruft und fragt, ob
Jesus, wenn ihm die Wiederbelebung des Freundes jezt
schon gewiss gewesen wäre, nicht vielmehr mit der innig-
sten Freude sich seiner Gruft genähert haben würde, aus
der er ihn im nächsten Augenblick lebend wieder hervor-
rufen zu können sich bewusst war? Hiebei wird dann das
enebrimesato (V. 33.) und embrimomenos (V. 38.) von ge-

21) Flatt, a. a. O. S. 102 f.
22) Flatt, a. a. O., Lücke und Tholuck z. d. St.

Zweiter Abschnitt.
rung 21). Eben jene so allgemein lautende Äusserung Je-
su aber, so wie die noch unbestimmteren, V. 25 f: ἐγώ
εἰμι ἡ ἀνάςασις κ. τ. λ., glaubt man nun rationalistischer-
seits dahin deuten zu können, Jesus selbst sei von der Er-
wartung eines ausserordentlichen Erfolgs noch entfernt ge-
wesen, deſswegen tröste er die Martha bloſs mit der allge-
meinen Hoffnung, daſs er, der Messias, den an ihn Glau-
bigen die einstige Auferstehung und ein seliges Leben ver-
schaffen werde. Da jedoch Jesus oben (V. 11.) zu seinen
Jüngern zuversichtlich von einem Aufwecken des Lazarus
gesprochen hatte, so müſste er indessen umgestimmt wor-
den sein, wozu kein Anlaſs zu finden ist. Auch beruft
sich Jesus V. 40, wo er, im Begriff, zur Erweckung des
Lazarus zu schreiten, zu Martha sagt: ουκ εἶπόν σοι, ὅτι,
ἐὰν πιςεύσῃς, ὄψει τὴν δόξαν τοῦ ϑεοῦ offenbar auf V. 23,
in welchem er also schon die vorzunehmende Wiederbele-
bung vorhergesagt haben will. Daſs er diese nicht be-
stimmter bezeichnet, und das kaum gegebene Versprechen
in Bezug auf den ἀδελφὸς V. 25 f. wieder in allgemeine
Verheiſsungen für den πιςεύων überhaupt verhüllt, ge-
schieht, um den Glauben der Martha zu prüfen und zu
stärken 22).

Wie nun Maria mit Begleitung herauskommt, und
durch ihr Weinen auch Jesus bis zu Thränen erschüttert
wird, das ist ein Punkt, auf welchen sich die natürliche
Erklärung mit besonderer Zuversicht beruft und fragt, ob
Jesus, wenn ihm die Wiederbelebung des Freundes jezt
schon gewiſs gewesen wäre, nicht vielmehr mit der innig-
sten Freude sich seiner Gruft genähert haben würde, aus
der er ihn im nächsten Augenblick lebend wieder hervor-
rufen zu können sich bewuſst war? Hiebei wird dann das
ἐνεβριμήσατο (V. 33.) und ἐμβριμώμενος (V. 38.) von ge-

21) Flatt, a. a. O. S. 102 f.
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[146/0165] Zweiter Abschnitt. rung 21). Eben jene so allgemein lautende Äusserung Je- su aber, so wie die noch unbestimmteren, V. 25 f: ἐγώ εἰμι ἡ ἀνάςασις κ. τ. λ., glaubt man nun rationalistischer- seits dahin deuten zu können, Jesus selbst sei von der Er- wartung eines ausserordentlichen Erfolgs noch entfernt ge- wesen, deſswegen tröste er die Martha bloſs mit der allge- meinen Hoffnung, daſs er, der Messias, den an ihn Glau- bigen die einstige Auferstehung und ein seliges Leben ver- schaffen werde. Da jedoch Jesus oben (V. 11.) zu seinen Jüngern zuversichtlich von einem Aufwecken des Lazarus gesprochen hatte, so müſste er indessen umgestimmt wor- den sein, wozu kein Anlaſs zu finden ist. Auch beruft sich Jesus V. 40, wo er, im Begriff, zur Erweckung des Lazarus zu schreiten, zu Martha sagt: ουκ εἶπόν σοι, ὅτι, ἐὰν πιςεύσῃς, ὄψει τὴν δόξαν τοῦ ϑεοῦ offenbar auf V. 23, in welchem er also schon die vorzunehmende Wiederbele- bung vorhergesagt haben will. Daſs er diese nicht be- stimmter bezeichnet, und das kaum gegebene Versprechen in Bezug auf den ἀδελφὸς V. 25 f. wieder in allgemeine Verheiſsungen für den πιςεύων überhaupt verhüllt, ge- schieht, um den Glauben der Martha zu prüfen und zu stärken 22). Wie nun Maria mit Begleitung herauskommt, und durch ihr Weinen auch Jesus bis zu Thränen erschüttert wird, das ist ein Punkt, auf welchen sich die natürliche Erklärung mit besonderer Zuversicht beruft und fragt, ob Jesus, wenn ihm die Wiederbelebung des Freundes jezt schon gewiſs gewesen wäre, nicht vielmehr mit der innig- sten Freude sich seiner Gruft genähert haben würde, aus der er ihn im nächsten Augenblick lebend wieder hervor- rufen zu können sich bewuſst war? Hiebei wird dann das ἐνεβριμήσατο (V. 33.) und ἐμβριμώμενος (V. 38.) von ge- 21) Flatt, a. a. O. S. 102 f. 22) Flatt, a. a. O., Lücke und Tholuck z. d. St.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/165>, abgerufen am 27.04.2024.