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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 96.
enthalt in einer Felsengruft wieder zum Leben habe kom-
men können -- eine Möglichkeit, die wir als solche auch
hier nicht bestreiten --, beginnt die natürliche Erklärung 17)
mit der Voraussetzung, die wir vielleicht schon nicht mehr
ebenso passiren lassen sollten, dass bei dem Boten, den
ihm die Schwestern mit der Krankheitsnachricht sandten,
Jesus sich genau nach den Umständen der Krankheit er-
kundigt haben werde, und nun soll die Antwort, welche
er dem Boten gab (V. 4.): aute e astheneia ouk esi pros
thanaton k. t. l. eben nur als Schluss aus den von dem Bo-
ten eingezogenen Nachrichten seine Überzeugung ausdrü-
cken, dass die Krankheit nicht tödtlich sei. Mit einer sol-
chen Ansicht von dem Zustande des Freundes würde aller-
dings das auf's Beste zusammenstimmen, dass Jesus nach
erhaltener Botschaft noch zwei Tage in Peräa blieb (V. 6.),
indem er nach jener Voraussetzung seine Anwesenheit in
Bethanien für nicht so dringend nothwendig erachten konnte.
Nun aber, wie kommt es, dass er nach Abfluss dieser zwei Ta-
ge nicht nur entschlossen ist, dahin zu reisen (V. 8.), sondern
auch von dem Zustand des Lazarus eine ganz andre Ansicht, ja
die bestimmte Kunde von seinem Tode hat, welchen er den Jün-
gern zuerst verblümt (V. 11.), dann offen (V. 14.) ankündigt?
Hier erhält die bezeichnete Erklärungsart einen bedeuten-
den Riss, den sie durch die Fiktion eines zweiten Boten 18),
welcher nach Verfluss der zwei Tage Jesu die Nachricht
von des Lazarus indess erfolgtem Ableben gebracht habe,
nur um so auffallender macht. Denn von einem zweiten
Boten kann wenigstens der Verfasser des Evangeliums
nichts gewusst haben, sonst müsste er seiner Erwähnung
thun, da die Verschweigung desselben der ganzen Erzäh-

17) Paulus, Comm. 4, S. 535 ff. L. J. 1, b, S. 55 ff.
18) Im L. J. 2, b (Textübersetzung) S. 46. scheinen gar nach
der im Evangelium erwähnten Sendung noch drei weitere
vorausgesezt zu werden.

Neuntes Kapitel. §. 96.
enthalt in einer Felsengruft wieder zum Leben habe kom-
men können — eine Möglichkeit, die wir als solche auch
hier nicht bestreiten —, beginnt die natürliche Erklärung 17)
mit der Voraussetzung, die wir vielleicht schon nicht mehr
ebenso passiren lassen sollten, daſs bei dem Boten, den
ihm die Schwestern mit der Krankheitsnachricht sandten,
Jesus sich genau nach den Umständen der Krankheit er-
kundigt haben werde, und nun soll die Antwort, welche
er dem Boten gab (V. 4.): αὕτη ἡ ἀσϑένεια ουκ ἔςι πρὸς
ϑάνατον κ. τ. λ. eben nur als Schluſs aus den von dem Bo-
ten eingezogenen Nachrichten seine Überzeugung ausdrü-
cken, daſs die Krankheit nicht tödtlich sei. Mit einer sol-
chen Ansicht von dem Zustande des Freundes würde aller-
dings das auf's Beste zusammenstimmen, daſs Jesus nach
erhaltener Botschaft noch zwei Tage in Peräa blieb (V. 6.),
indem er nach jener Voraussetzung seine Anwesenheit in
Bethanien für nicht so dringend nothwendig erachten konnte.
Nun aber, wie kommt es, daſs er nach Abfluſs dieser zwei Ta-
ge nicht nur entschlossen ist, dahin zu reisen (V. 8.), sondern
auch von dem Zustand des Lazarus eine ganz andre Ansicht, ja
die bestimmte Kunde von seinem Tode hat, welchen er den Jün-
gern zuerst verblümt (V. 11.), dann offen (V. 14.) ankündigt?
Hier erhält die bezeichnete Erklärungsart einen bedeuten-
den Riſs, den sie durch die Fiktion eines zweiten Boten 18),
welcher nach Verfluſs der zwei Tage Jesu die Nachricht
von des Lazarus indeſs erfolgtem Ableben gebracht habe,
nur um so auffallender macht. Denn von einem zweiten
Boten kann wenigstens der Verfasser des Evangeliums
nichts gewuſst haben, sonst müſste er seiner Erwähnung
thun, da die Verschweigung desselben der ganzen Erzäh-

17) Paulus, Comm. 4, S. 535 ff. L. J. 1, b, S. 55 ff.
18) Im L. J. 2, b (Textübersetzung) S. 46. scheinen gar nach
der im Evangelium erwähnten Sendung noch drei weitere
vorausgesezt zu werden.
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[143/0162] Neuntes Kapitel. §. 96. enthalt in einer Felsengruft wieder zum Leben habe kom- men können — eine Möglichkeit, die wir als solche auch hier nicht bestreiten —, beginnt die natürliche Erklärung 17) mit der Voraussetzung, die wir vielleicht schon nicht mehr ebenso passiren lassen sollten, daſs bei dem Boten, den ihm die Schwestern mit der Krankheitsnachricht sandten, Jesus sich genau nach den Umständen der Krankheit er- kundigt haben werde, und nun soll die Antwort, welche er dem Boten gab (V. 4.): αὕτη ἡ ἀσϑένεια ουκ ἔςι πρὸς ϑάνατον κ. τ. λ. eben nur als Schluſs aus den von dem Bo- ten eingezogenen Nachrichten seine Überzeugung ausdrü- cken, daſs die Krankheit nicht tödtlich sei. Mit einer sol- chen Ansicht von dem Zustande des Freundes würde aller- dings das auf's Beste zusammenstimmen, daſs Jesus nach erhaltener Botschaft noch zwei Tage in Peräa blieb (V. 6.), indem er nach jener Voraussetzung seine Anwesenheit in Bethanien für nicht so dringend nothwendig erachten konnte. Nun aber, wie kommt es, daſs er nach Abfluſs dieser zwei Ta- ge nicht nur entschlossen ist, dahin zu reisen (V. 8.), sondern auch von dem Zustand des Lazarus eine ganz andre Ansicht, ja die bestimmte Kunde von seinem Tode hat, welchen er den Jün- gern zuerst verblümt (V. 11.), dann offen (V. 14.) ankündigt? Hier erhält die bezeichnete Erklärungsart einen bedeuten- den Riſs, den sie durch die Fiktion eines zweiten Boten 18), welcher nach Verfluſs der zwei Tage Jesu die Nachricht von des Lazarus indeſs erfolgtem Ableben gebracht habe, nur um so auffallender macht. Denn von einem zweiten Boten kann wenigstens der Verfasser des Evangeliums nichts gewuſst haben, sonst müſste er seiner Erwähnung thun, da die Verschweigung desselben der ganzen Erzäh- 17) Paulus, Comm. 4, S. 535 ff. L. J. 1, b, S. 55 ff. 18) Im L. J. 2, b (Textübersetzung) S. 46. scheinen gar nach der im Evangelium erwähnten Sendung noch drei weitere vorausgesezt zu werden.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/162>, abgerufen am 27.04.2024.