Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Neuntes Kapitel. §. 96. cher aber eben durch die Anschauung eines solchen Wun-ders hätte aufgeholfen werden sollen. Vielmehr scheint es nach Allem, als hätten die zwei späteren Synoptiker, welche auch im Gegensaz gegen die Schlussformel des Mat- thäus, dass das Gerücht von diesem Ereigniss sich im ganzen Lande verbreitet habe, den Zeugen desselben von Jesu das strengste Stillschweigen auflegen lassen, den Vorgang als ein Mysterium betrachtet, zu welchem ausser den nächsten Angehörigen nur der engste Ausschuss der Jünger gezogen worden sei. Vollends auf das von Schulz herausgehobene, dass, während Matthäus Jesum das Mäd- chen nur einfach bei der Hand nehmen lässt, Markus und Lukas uns die Worte, welche er dazu gesprochen, der er- stere sogar in der Ursprache, zu überliefern wissen, kann entweder kein Gewicht gelegt werden, oder nur in entge- gengeseztem Sinne. Denn dass Jesus, wenn er bei Aufer- weckung eines Mädchens etwas sprach, sich ungefähr der Worte: e pais egeiroubedient haben werde, diess konnte wohl auch der vom Faktum entfernteste Erzähler auf ei- gene Hand sich vorstellen, und bei Markus gar das talitha koumi als Zeichen einer besonders ursprünglichen Quelle, aus welcher der Evangelist geschöpft habe, anse- hen, heisst das Näherliegende vergessen, dass er es ebenso leicht aus dem Griechischen seines Gewährsmanns über- tragen haben kann, um, wie bei jenem ephphatha, das geheim- nissvolle Lebenswort in seiner ursprünglichen fremden Spra- che, also nur um so mysteriöser klingend, wiederzugeben. Gerne werden wir uns demnach dessen bescheiden, mit Schleiermacher'schem Scharfsinn auszumachen, ob der ur- sprüngliche Gewährsmann der Erzählung des Lukas einer von den drei zugelassenen Jüngern gewesen, und ob der- selbe, der sie ursprünglich berichtete, sie auch niederge- schrieben habe 9)? 9) a. a. O. S. 129 f.
Neuntes Kapitel. §. 96. cher aber eben durch die Anschauung eines solchen Wun-ders hätte aufgeholfen werden sollen. Vielmehr scheint es nach Allem, als hätten die zwei späteren Synoptiker, welche auch im Gegensaz gegen die Schluſsformel des Mat- thäus, daſs das Gerücht von diesem Ereigniſs sich im ganzen Lande verbreitet habe, den Zeugen desselben von Jesu das strengste Stillschweigen auflegen lassen, den Vorgang als ein Mysterium betrachtet, zu welchem ausser den nächsten Angehörigen nur der engste Ausschuſs der Jünger gezogen worden sei. Vollends auf das von Schulz herausgehobene, daſs, während Matthäus Jesum das Mäd- chen nur einfach bei der Hand nehmen läſst, Markus und Lukas uns die Worte, welche er dazu gesprochen, der er- stere sogar in der Ursprache, zu überliefern wissen, kann entweder kein Gewicht gelegt werden, oder nur in entge- gengeseztem Sinne. Denn daſs Jesus, wenn er bei Aufer- weckung eines Mädchens etwas sprach, sich ungefähr der Worte: ἡ παῖς ἐγείρουbedient haben werde, dieſs konnte wohl auch der vom Faktum entfernteste Erzähler auf ei- gene Hand sich vorstellen, und bei Markus gar das ταλιϑὰ κοῦμι als Zeichen einer besonders ursprünglichen Quelle, aus welcher der Evangelist geschöpft habe, anse- hen, heiſst das Näherliegende vergessen, daſs er es ebenso leicht aus dem Griechischen seines Gewährsmanns über- tragen haben kann, um, wie bei jenem ἐφφαϑὰ, das geheim- niſsvolle Lebenswort in seiner ursprünglichen fremden Spra- che, also nur um so mysteriöser klingend, wiederzugeben. Gerne werden wir uns demnach dessen bescheiden, mit Schleiermacher'schem Scharfsinn auszumachen, ob der ur- sprüngliche Gewährsmann der Erzählung des Lukas einer von den drei zugelassenen Jüngern gewesen, und ob der- selbe, der sie ursprünglich berichtete, sie auch niederge- schrieben habe 9)? 9) a. a. O. S. 129 f.
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Neuntes Kapitel. §. 96.
cher aber eben durch die Anschauung eines solchen Wun-
ders hätte aufgeholfen werden sollen. Vielmehr scheint
es nach Allem, als hätten die zwei späteren Synoptiker,
welche auch im Gegensaz gegen die Schluſsformel des Mat-
thäus, daſs das Gerücht von diesem Ereigniſs sich im
ganzen Lande verbreitet habe, den Zeugen desselben von
Jesu das strengste Stillschweigen auflegen lassen, den
Vorgang als ein Mysterium betrachtet, zu welchem ausser
den nächsten Angehörigen nur der engste Ausschuſs der
Jünger gezogen worden sei. Vollends auf das von Schulz
herausgehobene, daſs, während Matthäus Jesum das Mäd-
chen nur einfach bei der Hand nehmen läſst, Markus und
Lukas uns die Worte, welche er dazu gesprochen, der er-
stere sogar in der Ursprache, zu überliefern wissen, kann
entweder kein Gewicht gelegt werden, oder nur in entge-
gengeseztem Sinne. Denn daſs Jesus, wenn er bei Aufer-
weckung eines Mädchens etwas sprach, sich ungefähr der
Worte: ἡ παῖς ἐγείρουbedient haben werde, dieſs konnte
wohl auch der vom Faktum entfernteste Erzähler auf ei-
gene Hand sich vorstellen, und bei Markus gar das
ταλιϑὰ κοῦμι als Zeichen einer besonders ursprünglichen
Quelle, aus welcher der Evangelist geschöpft habe, anse-
hen, heiſst das Näherliegende vergessen, daſs er es ebenso
leicht aus dem Griechischen seines Gewährsmanns über-
tragen haben kann, um, wie bei jenem ἐφφαϑὰ, das geheim-
niſsvolle Lebenswort in seiner ursprünglichen fremden Spra-
che, also nur um so mysteriöser klingend, wiederzugeben.
Gerne werden wir uns demnach dessen bescheiden, mit
Schleiermacher'schem Scharfsinn auszumachen, ob der ur-
sprüngliche Gewährsmann der Erzählung des Lukas einer
von den drei zugelassenen Jüngern gewesen, und ob der-
selbe, der sie ursprünglich berichtete, sie auch niederge-
schrieben habe 9)?
9) a. a. O. S. 129 f.
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