beiden ausdrücklich zerschnitten hat 1). Die weitere Un- tersuchung, wessen Erzählung hier die ursprünglichere sei, können wir durch die Bemerkung erledigen, dass, wenn die von Matthäus den Pharisäern in den Mund gelegte Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, als ein Stück von gemachtem Dialogisiren bezeichnet wird 2), dessen ebensogut dieselbe Frage beschuldigt werden kann, welche die zwei mittleren Evangelisten Jesu leihen, und noch dazu ihre belobte 3) Schilderung, wie Jesus den Kranken in die Mitte treten heisst, und später strafende Blicke ringsumher wirft, einer gemachten Anschaulichkeit.
Das Übel des Kranken war nach den übereinstimmen- den Nachrichten eine kheir xera oder exerammene. So un- bestimmt diese Bezeichnung ist, so macht es sich doch die natürliche Erklärung allzuleicht, wenn sie mit Paulus nur eine durch Hitze angegriffene 4), oder gar nach Venturini's Ausdruck eine verstauchte Hand 5) darunter versteht. Son- dern wenn wir, um die Bedeutung der N. T.lichen Be- zeichnungsweise zu bestimmen, billig auf das A. T. zu- rückgehen, so finden wir 1. Kön. 13, 4. eine Hand, wel- che im Ausstrecken exeranthe (vahybash), als unfähig geschil- dert, an den Leib zurückgezogen zu werden, so dass also an Lähmung und Starrheit der Hand, und, bei Verglei- chung des von einem Epileptischen gebrauchten xerainesthai Marc. 9, 18., zugleich an ein Saftloswerden und Schwin- den zu denken ist 6). Dafür nun aber, dass Jesus dieses und andre Übel mit natürlichen Mitteln behandelt habe, wird aus der vorliegenden Erzählung ein sehr scheinbares
1)Schleiermacher, über den Lukas, S. 80 f.
2)Schneckenburger, über den Ursprung u. s. f. S. 50.
3)Schleiermacher, a. a. O.
4) ex. Handb. 2, S. 48 ff.
5) Natürliche Geschichte, 2, S. 421.
6)Winer, b. Realw. 1, S. 796.
Neuntes Kapitel. §. 95.
beiden ausdrücklich zerschnitten hat 1). Die weitere Un- tersuchung, wessen Erzählung hier die ursprünglichere sei, können wir durch die Bemerkung erledigen, daſs, wenn die von Matthäus den Pharisäern in den Mund gelegte Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, als ein Stück von gemachtem Dialogisiren bezeichnet wird 2), dessen ebensogut dieselbe Frage beschuldigt werden kann, welche die zwei mittleren Evangelisten Jesu leihen, und noch dazu ihre belobte 3) Schilderung, wie Jesus den Kranken in die Mitte treten heiſst, und später strafende Blicke ringsumher wirft, einer gemachten Anschaulichkeit.
Das Übel des Kranken war nach den übereinstimmen- den Nachrichten eine χεὶρ ξηρὰ oder ἐξηραμμένη. So un- bestimmt diese Bezeichnung ist, so macht es sich doch die natürliche Erklärung allzuleicht, wenn sie mit Paulus nur eine durch Hitze angegriffene 4), oder gar nach Venturini's Ausdruck eine verstauchte Hand 5) darunter versteht. Son- dern wenn wir, um die Bedeutung der N. T.lichen Be- zeichnungsweise zu bestimmen, billig auf das A. T. zu- rückgehen, so finden wir 1. Kön. 13, 4. eine Hand, wel- che im Ausstrecken ἐξηράνϑη (וַהּׅיבַשׁ), als unfähig geschil- dert, an den Leib zurückgezogen zu werden, so daſs also an Lähmung und Starrheit der Hand, und, bei Verglei- chung des von einem Epileptischen gebrauchten ξηραίνεσϑαι Marc. 9, 18., zugleich an ein Saftloswerden und Schwin- den zu denken ist 6). Dafür nun aber, daſs Jesus dieses und andre Übel mit natürlichen Mitteln behandelt habe, wird aus der vorliegenden Erzählung ein sehr scheinbares
1)Schleiermacher, über den Lukas, S. 80 f.
2)Schneckenburger, über den Ursprung u. s. f. S. 50.
3)Schleiermacher, a. a. O.
4) ex. Handb. 2, S. 48 ff.
5) Natürliche Geschichte, 2, S. 421.
6)Winer, b. Realw. 1, S. 796.
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Neuntes Kapitel. §. 95.
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können wir durch die Bemerkung erledigen, daſs, wenn
die von Matthäus den Pharisäern in den Mund gelegte
Frage, ob es erlaubt sei, am Sabbat zu heilen, als ein
Stück von gemachtem Dialogisiren bezeichnet wird 2),
dessen ebensogut dieselbe Frage beschuldigt werden kann,
welche die zwei mittleren Evangelisten Jesu leihen, und
noch dazu ihre belobte 3) Schilderung, wie Jesus den
Kranken in die Mitte treten heiſst, und später strafende
Blicke ringsumher wirft, einer gemachten Anschaulichkeit.
Das Übel des Kranken war nach den übereinstimmen-
den Nachrichten eine χεὶρ ξηρὰ oder ἐξηραμμένη. So un-
bestimmt diese Bezeichnung ist, so macht es sich doch die
natürliche Erklärung allzuleicht, wenn sie mit Paulus nur
eine durch Hitze angegriffene 4), oder gar nach Venturini's
Ausdruck eine verstauchte Hand 5) darunter versteht. Son-
dern wenn wir, um die Bedeutung der N. T.lichen Be-
zeichnungsweise zu bestimmen, billig auf das A. T. zu-
rückgehen, so finden wir 1. Kön. 13, 4. eine Hand, wel-
che im Ausstrecken ἐξηράνϑη (וַהּׅיבַשׁ), als unfähig geschil-
dert, an den Leib zurückgezogen zu werden, so daſs also
an Lähmung und Starrheit der Hand, und, bei Verglei-
chung des von einem Epileptischen gebrauchten ξηραίνεσϑαι
Marc. 9, 18., zugleich an ein Saftloswerden und Schwin-
den zu denken ist 6). Dafür nun aber, daſs Jesus dieses
und andre Übel mit natürlichen Mitteln behandelt habe,
wird aus der vorliegenden Erzählung ein sehr scheinbares
1) Schleiermacher, über den Lukas, S. 80 f.
2) Schneckenburger, über den Ursprung u. s. f. S. 50.
3) Schleiermacher, a. a. O.
4) ex. Handb. 2, S. 48 ff.
5) Natürliche Geschichte, 2, S. 421.
6) Winer, b. Realw. 1, S. 796.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/142>, abgerufen am 25.11.2024.
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