ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof- manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen dieses lezteren habe übertreffen wollen, und dass endlich Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne geheilt habe. Allein der Vorfall, dass ein vornehmer Be- amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange- hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen einwirkte, dass um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig in seiner Art, dass eine dreimalige Wiederholung dessel- ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon eine bloss zweimalige Schwierigkeiten hat; wesswegen der Versuch gemacht werden muss, ob nicht die drei Berichte auf Eine Grundlage zurückgeführt werden können.
Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel- heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti- schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, dass er den Kranken als pais bezeichnet, Matthäus mindestens ebensowohl mit dem johanneischen uios übereinstimmend gefunden werden kann, als mit dem doulos des Lukas, tref- fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen, dass nach beiden der kapernaitische Beamte sich unmittel- bar an Jesum selber wendet, und nicht, wie bei Lukas, durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be- richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be- schreibung des Zustandes überein, in welchem der Lei- dende sich befunden haben soll: beide wissen nichts von der paralusis, von welcher Matthäus spricht, sondern be- zeichnen den Kranken als dem Tode nahe, Lukas durch
Neuntes Kapitel. §. 94.
ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof- manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen dieses lezteren habe übertreffen wollen, und daſs endlich Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne geheilt habe. Allein der Vorfall, daſs ein vornehmer Be- amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange- hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen einwirkte, daſs um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig in seiner Art, daſs eine dreimalige Wiederholung dessel- ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon eine bloſs zweimalige Schwierigkeiten hat; weſswegen der Versuch gemacht werden muſs, ob nicht die drei Berichte auf Eine Grundlage zurückgeführt werden können.
Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel- heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti- schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, daſs er den Kranken als παῖς bezeichnet, Matthäus mindestens ebensowohl mit dem johanneischen υἱὸς übereinstimmend gefunden werden kann, als mit dem δοῦλος des Lukas, tref- fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen, daſs nach beiden der kapernaitische Beamte sich unmittel- bar an Jesum selber wendet, und nicht, wie bei Lukas, durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be- richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be- schreibung des Zustandes überein, in welchem der Lei- dende sich befunden haben soll: beide wissen nichts von der παράλυσις, von welcher Matthäus spricht, sondern be- zeichnen den Kranken als dem Tode nahe, Lukas durch
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Neuntes Kapitel. §. 94.
ähnliche Art an Jesum gewendet, und sein Beispiel ebenso
durch Demuth zu übertreffen gesucht habe, wie der erste
Hauptmann (Matth.), dem die frühere Geschichte des Hof-
manns (Joh.) bekannt gewesen sei, das schwache Vertrauen
dieses lezteren habe übertreffen wollen, und daſs endlich
Jesus alle drei Patienten auf dieselbe Weise aus der Ferne
geheilt habe. Allein der Vorfall, daſs ein vornehmer Be-
amter von Kapernaum Jesum um die Heilung eines Ange-
hörigen bat, und Jesus aus der Entfernung so auf diesen
einwirkte, daſs um dieselbe Zeit, da Jesus das heilende
Wort sprach, der Kranke zu Hause genas, ist so einzig
in seiner Art, daſs eine dreimalige Wiederholung dessel-
ben unmöglich angenommen werden kann, und auch schon
eine bloſs zweimalige Schwierigkeiten hat; weſswegen der
Versuch gemacht werden muſs, ob nicht die drei Berichte
auf Eine Grundlage zurückgeführt werden können.
Hier ist nun die am allgemeinsten für verschiedenartig
gehaltene Erzählung des vierten Evangelisten nicht allein
in den schon angegebenen Grundzügen der synoptischen
verwandt, sondern in manchen bemerkenswerthen Einzel-
heiten stimmt einer oder der andere der beiden synopti-
schen Referenten genauer mit Johannes zusammen als mit
dem andern Synoptiker. So, während in dem Zuge, daſs
er den Kranken als παῖς bezeichnet, Matthäus mindestens
ebensowohl mit dem johanneischen υἱὸς übereinstimmend
gefunden werden kann, als mit dem δοῦλος des Lukas, tref-
fen Matthäus und Johannes darin entschieden zusammen,
daſs nach beiden der kapernaitische Beamte sich unmittel-
bar an Jesum selber wendet, und nicht, wie bei Lukas,
durch Vermittler. Dagegen stimmt der johanneische Be-
richt mit dem des Lukas gegen den Matthäus in der Be-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/126>, abgerufen am 22.11.2024.
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