Matthäus zu einem fragenden und die Thäterin aus der Menge heraussuchenden Sichumwenden, welches das Ge- ständniss der Frau zur Folge hatte, umgebildet. Endlich, weil als das Eigenthümliche dieser Heilungsgeschichte, auch nach ihrer Gestalt im ersten Evangelium, das Ausgehen ei- ner Heilkraft aus Jesu noch ehe er die hülfesuchende Per- son gesehen hatte, sich bemerklich macht: so bestrebte man sich bei'm Weitererzählen der Geschichte immer mehr, unmittelbar nach der Berührung den Erfolg eintreten, und Jesum auch nach demselben noch längere Zeit über die Thäterin in Ungewissheit sein zu lassen (Lezteres im Wi- derspruch mit der sonstigen Voraussetzung eines höheren Wissens Jesu); so dass sich von allen Seiten die Erzäh- lung des ersten Evangeliums als die frühere und einfachere, die der beiden andern als spätere und ausgeschmücktere Formation der Sage zu erkennen giebt.
Was nun den gemeinschaftlichen Inhalt der Erzählungen betrifft, so ist in neuerer Zeit beiden, orthodoxen wie ra- tionalistischen Theologen das Unwillkührliche des heilenden Einwirkens Jesu ein Anstoss gewesen. Gar zu sehr -- hierin stimmen Paulus und Olshausen zusammen 3) -- werde hiedurch die Wirksamkeit Jesu in das Gebiet des Physi- schen herabgezogen; Jesus erscheine da wie ein Magne- tiseur, welcher bei der heilenden Berührung nervenschwa- cher Personen einen Abgang an Kraft verspürt; wie eine geladene elektrische Batterie, die bei'm Betasten sich ent- ladet. Eine solche Vorstellung von Christo, meint Ols- hausen, verbiete das christliche Bewusstsein, welches sich vielmehr genöthigt finde, die in Jesu wohnende Kraftfülle als durchaus beherrscht durch seinen Willen, und diesen geleitet durch das Bewusstsein von dem sittlichen Zustande der zu heilenden Personen, sich zu denken. Desswegen
3) ex. Handb. 1, b, S. 524 f.; bibl. Comm. 1, S. 324 f.; vgl. Köster, Immanuel, S. 201 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 7
Neuntes Kapitel. §. 93.
Matthäus zu einem fragenden und die Thäterin aus der Menge heraussuchenden Sichumwenden, welches das Ge- ständniſs der Frau zur Folge hatte, umgebildet. Endlich, weil als das Eigenthümliche dieser Heilungsgeschichte, auch nach ihrer Gestalt im ersten Evangelium, das Ausgehen ei- ner Heilkraft aus Jesu noch ehe er die hülfesuchende Per- son gesehen hatte, sich bemerklich macht: so bestrebte man sich bei'm Weitererzählen der Geschichte immer mehr, unmittelbar nach der Berührung den Erfolg eintreten, und Jesum auch nach demselben noch längere Zeit über die Thäterin in Ungewiſsheit sein zu lassen (Lezteres im Wi- derspruch mit der sonstigen Voraussetzung eines höheren Wissens Jesu); so daſs sich von allen Seiten die Erzäh- lung des ersten Evangeliums als die frühere und einfachere, die der beiden andern als spätere und ausgeschmücktere Formation der Sage zu erkennen giebt.
Was nun den gemeinschaftlichen Inhalt der Erzählungen betrifft, so ist in neuerer Zeit beiden, orthodoxen wie ra- tionalistischen Theologen das Unwillkührliche des heilenden Einwirkens Jesu ein Anstoſs gewesen. Gar zu sehr — hierin stimmen Paulus und Olshausen zusammen 3) — werde hiedurch die Wirksamkeit Jesu in das Gebiet des Physi- schen herabgezogen; Jesus erscheine da wie ein Magne- tiseur, welcher bei der heilenden Berührung nervenschwa- cher Personen einen Abgang an Kraft verspürt; wie eine geladene elektrische Batterie, die bei'm Betasten sich ent- ladet. Eine solche Vorstellung von Christo, meint Ols- hausen, verbiete das christliche Bewuſstsein, welches sich vielmehr genöthigt finde, die in Jesu wohnende Kraftfülle als durchaus beherrscht durch seinen Willen, und diesen geleitet durch das Bewuſstsein von dem sittlichen Zustande der zu heilenden Personen, sich zu denken. Deſswegen
3) ex. Handb. 1, b, S. 524 f.; bibl. Comm. 1, S. 324 f.; vgl. Köster, Immanuel, S. 201 ff.
Das Leben Jesu II. Band. 7
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Neuntes Kapitel. §. 93.
Matthäus zu einem fragenden und die Thäterin aus der
Menge heraussuchenden Sichumwenden, welches das Ge-
ständniſs der Frau zur Folge hatte, umgebildet. Endlich,
weil als das Eigenthümliche dieser Heilungsgeschichte, auch
nach ihrer Gestalt im ersten Evangelium, das Ausgehen ei-
ner Heilkraft aus Jesu noch ehe er die hülfesuchende Per-
son gesehen hatte, sich bemerklich macht: so bestrebte man
sich bei'm Weitererzählen der Geschichte immer mehr,
unmittelbar nach der Berührung den Erfolg eintreten, und
Jesum auch nach demselben noch längere Zeit über die
Thäterin in Ungewiſsheit sein zu lassen (Lezteres im Wi-
derspruch mit der sonstigen Voraussetzung eines höheren
Wissens Jesu); so daſs sich von allen Seiten die Erzäh-
lung des ersten Evangeliums als die frühere und einfachere,
die der beiden andern als spätere und ausgeschmücktere
Formation der Sage zu erkennen giebt.
Was nun den gemeinschaftlichen Inhalt der Erzählungen
betrifft, so ist in neuerer Zeit beiden, orthodoxen wie ra-
tionalistischen Theologen das Unwillkührliche des heilenden
Einwirkens Jesu ein Anstoſs gewesen. Gar zu sehr — hierin
stimmen Paulus und Olshausen zusammen 3) — werde
hiedurch die Wirksamkeit Jesu in das Gebiet des Physi-
schen herabgezogen; Jesus erscheine da wie ein Magne-
tiseur, welcher bei der heilenden Berührung nervenschwa-
cher Personen einen Abgang an Kraft verspürt; wie eine
geladene elektrische Batterie, die bei'm Betasten sich ent-
ladet. Eine solche Vorstellung von Christo, meint Ols-
hausen, verbiete das christliche Bewuſstsein, welches sich
vielmehr genöthigt finde, die in Jesu wohnende Kraftfülle
als durchaus beherrscht durch seinen Willen, und diesen
geleitet durch das Bewuſstsein von dem sittlichen Zustande
der zu heilenden Personen, sich zu denken. Deſswegen
3) ex. Handb. 1, b, S. 524 f.; bibl. Comm. 1, S. 324 f.; vgl.
Köster, Immanuel, S. 201 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/116>, abgerufen am 22.11.2024.
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