den Grundstock der vorliegenden Anekdotengruppe anzu- sehen. Da nämlich von unserer Annahme der Identität aller vier Erzählungen aus sich auch das erklären lassen muss, wie die Darstellung der Sache bei Lukas habe ent- stehen können: so ist, die johanneische Erzählung als die der Wahrheit nächste vorausgesezt, nicht wenig befrem- dend, wie in der Sage die salbende Frau in doppelter Absteigung von der hochgefeierten Maria Lazari zur na- menlosen Unbekannten, und von dieser gar zur berüchtig- ten Sünderin herabgesezt werden konnte, und weit natür- licher scheint es hier, die indifferente Darstellung der beiden ersten Synoptiker in die Mitte zu stellen, aus de- ren zweideutiger Ungenannten gleicherweise in aufsteigen- der Linie eine Maria, wie in absteigender eine Sünderin gemacht werden konnte.
Da die Möglichkeit der ersteren Umwandlung im All- gemeinen schon anerkannt ist, so fragt sich zunächst, worin eine Veranlassung liegen konnte, die salbende Frau ohne historischen Grund nach und nach als Sünderin zu fassen? Hier lässt sich in der Erzählung selbst nur der Zug auffinden, welchen die zwei ersten Synoptiker nicht, wohl aber Johannes mit Lukas gemein hat, dass die Frau die Füsse Jesu gesalbt habe. Dieser Zug, wie er dem vierten Evangelisten zu dem empfindsamen, hingebenden Wesen der Maria, die er auch sonst (11, 32.) Jesu zu Füssen fallen lässt, zu gehören schien: so mochte er von einem andern, wie von Lukas geschieht, als Gebärde des Büssens genommen werden, was die Auffassung der Frau als Sünderin begünstigen konnte. Doch auch nur begün- stigen, nicht veranlassen: nach einer Veranlassung müs- sen wir uns noch anderswo umsehen.
§. 86. Die Erzählungen von der Ehebrecherin und von Maria und Martha.
Das johanneische Evangelium erzählt uns 8, 1--11.
46*
Achtes Kapitel. §. 86.
den Grundstock der vorliegenden Anekdotengruppe anzu- sehen. Da nämlich von unserer Annahme der Identität aller vier Erzählungen aus sich auch das erklären lassen muſs, wie die Darstellung der Sache bei Lukas habe ent- stehen können: so ist, die johanneische Erzählung als die der Wahrheit nächste vorausgesezt, nicht wenig befrem- dend, wie in der Sage die salbende Frau in doppelter Absteigung von der hochgefeierten Maria Lazari zur na- menlosen Unbekannten, und von dieser gar zur berüchtig- ten Sünderin herabgesezt werden konnte, und weit natür- licher scheint es hier, die indifferente Darstellung der beiden ersten Synoptiker in die Mitte zu stellen, aus de- ren zweideutiger Ungenannten gleicherweise in aufsteigen- der Linie eine Maria, wie in absteigender eine Sünderin gemacht werden konnte.
Da die Möglichkeit der ersteren Umwandlung im All- gemeinen schon anerkannt ist, so fragt sich zunächst, worin eine Veranlassung liegen konnte, die salbende Frau ohne historischen Grund nach und nach als Sünderin zu fassen? Hier läſst sich in der Erzählung selbst nur der Zug auffinden, welchen die zwei ersten Synoptiker nicht, wohl aber Johannes mit Lukas gemein hat, daſs die Frau die Füſse Jesu gesalbt habe. Dieser Zug, wie er dem vierten Evangelisten zu dem empfindsamen, hingebenden Wesen der Maria, die er auch sonst (11, 32.) Jesu zu Füſsen fallen läſst, zu gehören schien: so mochte er von einem andern, wie von Lukas geschieht, als Gebärde des Büſsens genommen werden, was die Auffassung der Frau als Sünderin begünstigen konnte. Doch auch nur begün- stigen, nicht veranlassen: nach einer Veranlassung müs- sen wir uns noch anderswo umsehen.
§. 86. Die Erzählungen von der Ehebrecherin und von Maria und Martha.
Das johanneische Evangelium erzählt uns 8, 1—11.
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Achtes Kapitel. §. 86.
den Grundstock der vorliegenden Anekdotengruppe anzu-
sehen. Da nämlich von unserer Annahme der Identität
aller vier Erzählungen aus sich auch das erklären lassen
muſs, wie die Darstellung der Sache bei Lukas habe ent-
stehen können: so ist, die johanneische Erzählung als die
der Wahrheit nächste vorausgesezt, nicht wenig befrem-
dend, wie in der Sage die salbende Frau in doppelter
Absteigung von der hochgefeierten Maria Lazari zur na-
menlosen Unbekannten, und von dieser gar zur berüchtig-
ten Sünderin herabgesezt werden konnte, und weit natür-
licher scheint es hier, die indifferente Darstellung der
beiden ersten Synoptiker in die Mitte zu stellen, aus de-
ren zweideutiger Ungenannten gleicherweise in aufsteigen-
der Linie eine Maria, wie in absteigender eine Sünderin
gemacht werden konnte.
Da die Möglichkeit der ersteren Umwandlung im All-
gemeinen schon anerkannt ist, so fragt sich zunächst,
worin eine Veranlassung liegen konnte, die salbende Frau
ohne historischen Grund nach und nach als Sünderin zu
fassen? Hier läſst sich in der Erzählung selbst nur der
Zug auffinden, welchen die zwei ersten Synoptiker nicht,
wohl aber Johannes mit Lukas gemein hat, daſs die Frau
die Füſse Jesu gesalbt habe. Dieser Zug, wie er dem
vierten Evangelisten zu dem empfindsamen, hingebenden
Wesen der Maria, die er auch sonst (11, 32.) Jesu zu
Füſsen fallen läſst, zu gehören schien: so mochte er von
einem andern, wie von Lukas geschieht, als Gebärde des
Büſsens genommen werden, was die Auffassung der Frau
als Sünderin begünstigen konnte. Doch auch nur begün-
stigen, nicht veranlassen: nach einer Veranlassung müs-
sen wir uns noch anderswo umsehen.
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und Martha.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/747>, abgerufen am 24.11.2024.
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