Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Sechstes Kapitel. §. 74. haben sollte, bleibt immer noch unwahrscheinlich genug.Übrigens dürfen wir die Erzählung des Matthäus nur ge- nauer ansehen, um zu bemerken, wie er zu der Unterbre- chung V. 34 ff. nur unwillkührlich gekommen ist. Hatte er im Sinn, eine Masse von Parabeln, und für die zwei wichtigsten und daher voranzustellenden zwei privatim den Jüngern gegebene Erklärungen mitzutheilen: so konnte er hiebei auf dreifache Weise zu Werke gehen. Entwe- der liess er unmittelbar nachdem eine Parabel vorgetragen war, noch im Angesicht des Volkes Jesum den Jüngern die Erklärung geben, wie er nach der ersten Gleichnissre- de (V. 10--23.) wirklich thut. Allein diese Darstellung hat das Unbequeme, dass man nicht begreift, wie Jesus dem in gespannter Erwartung um ihn versammelten Volke gegenüber zu einer Privatunterhaltung der Art Musse be- kommen konnte 6). Diesen Übelstand hat Markus gefühlt, und desshalb die zweite mögliche Auskunft ergriffen, dass er nämlich nach der ersten Parabel Jesum mit den Jün- gern nach Hause gehen, und ihnen hier die Lösung der- selben geben lässt. Indess, diese Wendung war für denje- nigen gar zu hinderlich, der mehrere Gleichnissreden nach einander zu geben gedachte; denn war schon nach der er- sten Jesus zu Hause gebracht: so war der Schauplaz ver- lassen, auf welchem mit Fug die weiteren vorgetragen wer- den konnten. Desswegen mag der Referent im ersten Evan- gelium nach der zweiten Parabel in Bezug auf die Erklä- rung weder seine erste Auskunft wiederholen, noch die andere in Anwendung bringen, sondern, indem er ohne Unterbrechung zu zwei weiteren Gleichnissen fortgeht, scheint er sich eine dritte Massregel vorzubehalten, näm- lich, die ihm im Sinne liegenden Parabeln vorher alle dem Volke vortragen, und dann erst, wenn er nach Abschluss der- selben Jesum nach Hause gebracht hätte, ihn die rückstän- 6) Schleiermacher, S. 120. 38*
Sechstes Kapitel. §. 74. haben sollte, bleibt immer noch unwahrscheinlich genug.Übrigens dürfen wir die Erzählung des Matthäus nur ge- nauer ansehen, um zu bemerken, wie er zu der Unterbre- chung V. 34 ff. nur unwillkührlich gekommen ist. Hatte er im Sinn, eine Masse von Parabeln, und für die zwei wichtigsten und daher voranzustellenden zwei privatim den Jüngern gegebene Erklärungen mitzutheilen: so konnte er hiebei auf dreifache Weise zu Werke gehen. Entwe- der lieſs er unmittelbar nachdem eine Parabel vorgetragen war, noch im Angesicht des Volkes Jesum den Jüngern die Erklärung geben, wie er nach der ersten Gleichniſsre- de (V. 10—23.) wirklich thut. Allein diese Darstellung hat das Unbequeme, daſs man nicht begreift, wie Jesus dem in gespannter Erwartung um ihn versammelten Volke gegenüber zu einer Privatunterhaltung der Art Muſse be- kommen konnte 6). Diesen Übelstand hat Markus gefühlt, und deſshalb die zweite mögliche Auskunft ergriffen, daſs er nämlich nach der ersten Parabel Jesum mit den Jün- gern nach Hause gehen, und ihnen hier die Lösung der- selben geben läſst. Indeſs, diese Wendung war für denje- nigen gar zu hinderlich, der mehrere Gleichniſsreden nach einander zu geben gedachte; denn war schon nach der er- sten Jesus zu Hause gebracht: so war der Schauplaz ver- lassen, auf welchem mit Fug die weiteren vorgetragen wer- den konnten. Deſswegen mag der Referent im ersten Evan- gelium nach der zweiten Parabel in Bezug auf die Erklä- rung weder seine erste Auskunft wiederholen, noch die andere in Anwendung bringen, sondern, indem er ohne Unterbrechung zu zwei weiteren Gleichnissen fortgeht, scheint er sich eine dritte Maſsregel vorzubehalten, näm- lich, die ihm im Sinne liegenden Parabeln vorher alle dem Volke vortragen, und dann erst, wenn er nach Abschluſs der- selben Jesum nach Hause gebracht hätte, ihn die rückstän- 6) Schleiermacher, S. 120. 38*
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Sechstes Kapitel. §. 74.
haben sollte, bleibt immer noch unwahrscheinlich genug.
Übrigens dürfen wir die Erzählung des Matthäus nur ge-
nauer ansehen, um zu bemerken, wie er zu der Unterbre-
chung V. 34 ff. nur unwillkührlich gekommen ist. Hatte
er im Sinn, eine Masse von Parabeln, und für die zwei
wichtigsten und daher voranzustellenden zwei privatim den
Jüngern gegebene Erklärungen mitzutheilen: so konnte
er hiebei auf dreifache Weise zu Werke gehen. Entwe-
der lieſs er unmittelbar nachdem eine Parabel vorgetragen
war, noch im Angesicht des Volkes Jesum den Jüngern
die Erklärung geben, wie er nach der ersten Gleichniſsre-
de (V. 10—23.) wirklich thut. Allein diese Darstellung
hat das Unbequeme, daſs man nicht begreift, wie Jesus
dem in gespannter Erwartung um ihn versammelten Volke
gegenüber zu einer Privatunterhaltung der Art Muſse be-
kommen konnte 6). Diesen Übelstand hat Markus gefühlt,
und deſshalb die zweite mögliche Auskunft ergriffen, daſs
er nämlich nach der ersten Parabel Jesum mit den Jün-
gern nach Hause gehen, und ihnen hier die Lösung der-
selben geben läſst. Indeſs, diese Wendung war für denje-
nigen gar zu hinderlich, der mehrere Gleichniſsreden nach
einander zu geben gedachte; denn war schon nach der er-
sten Jesus zu Hause gebracht: so war der Schauplaz ver-
lassen, auf welchem mit Fug die weiteren vorgetragen wer-
den konnten. Deſswegen mag der Referent im ersten Evan-
gelium nach der zweiten Parabel in Bezug auf die Erklä-
rung weder seine erste Auskunft wiederholen, noch die
andere in Anwendung bringen, sondern, indem er ohne
Unterbrechung zu zwei weiteren Gleichnissen fortgeht,
scheint er sich eine dritte Maſsregel vorzubehalten, näm-
lich, die ihm im Sinne liegenden Parabeln vorher alle dem
Volke vortragen, und dann erst, wenn er nach Abschluſs der-
selben Jesum nach Hause gebracht hätte, ihn die rückstän-
6) Schleiermacher, S. 120.
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