statt das Ganze solcher Erzählungen als religiös-morali- schen Mythus, in welchem irgend eine Idee sich darstelle, zu erkennen 14).
Besonders entschieden hat ein Ungenannter in Ber- tholdt's kritischem Journal sich gegen die natürliche Er- klärungsweise der heiligen Geschichte und für die mythi- sche ausgesprochen. Wesentliche Gebrechen der natürlichen Auslegung, wie sie im Paulus'schen Commentar culmnire, sind nach diesem Verfasser vor Allem das durchaus unhi- storische Vnrfahren, welches sie sich erlaubt, Urkunden durch Vermuthungen zu ergänzen, eigne Speculationen für gegebnen Buchstaben zu halten; das höchst gezwungene und immer undankbare Bemühen, natürlich darzustellen, was doch die Urkunde als etwas Wunderbares geben will; endlich die Entleerung der biblischen Geschichte von allem Heiligen und Göttlichen, die Herabwürdigung derselben zur eiteln Unterhaltungslectüre, die selbst den Namen der Ge- schichte nicht verdient. Diese Mängel der natürlichen Er- klärungsweise, wenn man sich doch bei der supranatura- listischen auch nicht beruhigen kann, führen nach dem Verfasser zu dem mythischen Gesichtspunkte, welcher das Material der Erzählung unangefochten lässt, und es nicht wagt, daran im Einzelnen zu deuteln, dafür aber das Gan- ze nicht für wahre Geschichte, sondern für heilige Sage nimmt. Für diese Auffassung spricht die Analogie mit dem ganzen politischen und religiösen Alterthum, da so man- che Erzählungen des A. und N. T.s den Mythen des profanen Alterthums aufs Genaueste ähnlich sehen; hauptsächlich aber diess, dass die zahllosen, sonst nie zu lösenden Schwierigkeiten der heiligen Geschichte in Bezug auf die Harmonie der Evangelien und die Chronologie bei der my- thischen Ansicht wie mit Einem Schlage verschwinden 15).
14) Über die beiden ersten Kapitcl des Lukas, in Henke's Mu- seum 1, 4, S. 693 ff.
15) Die verschiedenen Rücksichten, in welchen und für welche
Einleitung. §. 8.
statt das Ganze solcher Erzählungen als religiös-morali- schen Mythus, in welchem irgend eine Idee sich darstelle, zu erkennen 14).
Besonders entschieden hat ein Ungenannter in Ber- tholdt's kritischem Journal sich gegen die natürliche Er- klärungsweise der heiligen Geschichte und für die mythi- sche ausgesprochen. Wesentliche Gebrechen der natürlichen Auslegung, wie sie im Paulus'schen Commentar culmnire, sind nach diesem Verfasser vor Allem das durchaus unhi- storische Vnrfahren, welches sie sich erlaubt, Urkunden durch Vermuthungen zu ergänzen, eigne Speculationen für gegebnen Buchstaben zu halten; das höchst gezwungene und immer undankbare Bemühen, natürlich darzustellen, was doch die Urkunde als etwas Wunderbares geben will; endlich die Entleerung der biblischen Geschichte von allem Heiligen und Göttlichen, die Herabwürdigung derselben zur eiteln Unterhaltungslectüre, die selbst den Namen der Ge- schichte nicht verdient. Diese Mängel der natürlichen Er- klärungsweise, wenn man sich doch bei der supranatura- listischen auch nicht beruhigen kann, führen nach dem Verfasser zu dem mythischen Gesichtspunkte, welcher das Material der Erzählung unangefochten läſst, und es nicht wagt, daran im Einzelnen zu deuteln, dafür aber das Gan- ze nicht für wahre Geschichte, sondern für heilige Sage nimmt. Für diese Auffassung spricht die Analogie mit dem ganzen politischen und religiösen Alterthum, da so man- che Erzählungen des A. und N. T.s den Mythen des profanen Alterthums aufs Genaueste ähnlich sehen; hauptsächlich aber dieſs, daſs die zahllosen, sonst nie zu lösenden Schwierigkeiten der heiligen Geschichte in Bezug auf die Harmonie der Evangelien und die Chronologie bei der my- thischen Ansicht wie mit Einem Schlage verschwinden 15).
14) Über die beiden ersten Kapitcl des Lukas, in Henke's Mu- seum 1, 4, S. 693 ff.
15) Die verschiedenen Rücksichten, in welchen und für welche
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Einleitung. §. 8.
statt das Ganze solcher Erzählungen als religiös-morali-
schen Mythus, in welchem irgend eine Idee sich darstelle,
zu erkennen 14).
Besonders entschieden hat ein Ungenannter in Ber-
tholdt's kritischem Journal sich gegen die natürliche Er-
klärungsweise der heiligen Geschichte und für die mythi-
sche ausgesprochen. Wesentliche Gebrechen der natürlichen
Auslegung, wie sie im Paulus'schen Commentar culmnire,
sind nach diesem Verfasser vor Allem das durchaus unhi-
storische Vnrfahren, welches sie sich erlaubt, Urkunden
durch Vermuthungen zu ergänzen, eigne Speculationen für
gegebnen Buchstaben zu halten; das höchst gezwungene
und immer undankbare Bemühen, natürlich darzustellen,
was doch die Urkunde als etwas Wunderbares geben will;
endlich die Entleerung der biblischen Geschichte von allem
Heiligen und Göttlichen, die Herabwürdigung derselben zur
eiteln Unterhaltungslectüre, die selbst den Namen der Ge-
schichte nicht verdient. Diese Mängel der natürlichen Er-
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listischen auch nicht beruhigen kann, führen nach dem
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Material der Erzählung unangefochten läſst, und es nicht
wagt, daran im Einzelnen zu deuteln, dafür aber das Gan-
ze nicht für wahre Geschichte, sondern für heilige Sage
nimmt. Für diese Auffassung spricht die Analogie mit dem
ganzen politischen und religiösen Alterthum, da so man-
che Erzählungen des A. und N. T.s den Mythen des profanen
Alterthums aufs Genaueste ähnlich sehen; hauptsächlich
aber dieſs, daſs die zahllosen, sonst nie zu lösenden
Schwierigkeiten der heiligen Geschichte in Bezug auf die
Harmonie der Evangelien und die Chronologie bei der my-
thischen Ansicht wie mit Einem Schlage verschwinden 15).
14) Über die beiden ersten Kapitcl des Lukas, in Henke's Mu-
seum 1, 4, S. 693 ff.
15) Die verschiedenen Rücksichten, in welchen und für welche
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/61>, abgerufen am 24.11.2024.
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