Indessen fragt es sich sehr, ob ein so durchgängiges Vor- anstellen nicht auch auf einen Vorzug des Jakobus deute, oder ob, wenn bei den Synoptikern Johannes ebenso wie im vierten Evangelium als der Lieblingsjünger vorgestellt wäre, er nicht, wenn gleich der jüngere, seinem Bruder Jakobus vorgesezt sein würde? Diess führt uns auf eine Differenz zwischen den drei ersten Evangelien und dem vierten, welche noch näher erwogen werden muss.
Bei den Synoptikern bildet, wie gesagt, Petrus mit Jakobus und Johannes den engeren Ausschuss aus den Zwölfen, welchen Jesus zu einigen Scenen beizieht, deren richtiger Auffassung die übrigen nicht gewachsen schienen, wie die Verklärung auf dem Berge, der Kampf in Gethse- mane, und nach Markus (5, 37.) die Auferweckung der Tochter des Jairus 7). Auch nach Jesu Tod erscheinen ein Jakobus, Petrus und Johannes als suloi der Gemeinde (Gal. 2, 9.); aber dieser Jakobus ist nicht der schon frühe (A. G. 12, 2.) hingerichtete Zebedaide, sondern der auch bei'm ersten Apostelconcil mit vorwiegender Auktorität auf- getretene Bruder des Herrn (Gal. 1, 19.), welchen Manche für den zweiten Jakobus der Apostelverzeichnisse halten 8), und auch schon im Anfang der Apostelgeschichte tritt der Zebedaide hinter Petrus und Johannes zurück. Da sich auf diese Weise der ältere Jakobus in der ersten Gemeinde nicht auszeichnete, und auch nicht bekannt ist, dass er wegen seines frühen Märtyrertods besonders hoch geprie- sen worden wäre, also die Sage keine Veranlassung hatte,
7) Diess beruht indessen ohne Zweifel wieder auf einem blossen Schlusse des Markus. Weil Jesus die unberufene Menge weg- trieb und die Mittheilung des Vorfalls verbot, so sah der Evangelist hier einen jener geheimen Vorgänge, zu welchen Jesus sonst nur jene Drei mitzunehmen pflegte.
8) Diesen Dreien, glaubte man in der ältesten Kirche, habe Je- sus die gnosis zu geheimer Überlieferung mitgetheilt. S. bei Gieseler, K. G. 1, S. 234.
Fünftes Kapitel. §. 70.
Indessen fragt es sich sehr, ob ein so durchgängiges Vor- anstellen nicht auch auf einen Vorzug des Jakobus deute, oder ob, wenn bei den Synoptikern Johannes ebenso wie im vierten Evangelium als der Lieblingsjünger vorgestellt wäre, er nicht, wenn gleich der jüngere, seinem Bruder Jakobus vorgesezt sein würde? Dieſs führt uns auf eine Differenz zwischen den drei ersten Evangelien und dem vierten, welche noch näher erwogen werden muſs.
Bei den Synoptikern bildet, wie gesagt, Petrus mit Jakobus und Johannes den engeren Ausschuſs aus den Zwölfen, welchen Jesus zu einigen Scenen beizieht, deren richtiger Auffassung die übrigen nicht gewachsen schienen, wie die Verklärung auf dem Berge, der Kampf in Gethse- mane, und nach Markus (5, 37.) die Auferweckung der Tochter des Jairus 7). Auch nach Jesu Tod erscheinen ein Jakobus, Petrus und Johannes als ςύλοι der Gemeinde (Gal. 2, 9.); aber dieser Jakobus ist nicht der schon frühe (A. G. 12, 2.) hingerichtete Zebedaide, sondern der auch bei'm ersten Apostelconcil mit vorwiegender Auktorität auf- getretene Bruder des Herrn (Gal. 1, 19.), welchen Manche für den zweiten Jakobus der Apostelverzeichnisse halten 8), und auch schon im Anfang der Apostelgeschichte tritt der Zebedaide hinter Petrus und Johannes zurück. Da sich auf diese Weise der ältere Jakobus in der ersten Gemeinde nicht auszeichnete, und auch nicht bekannt ist, daſs er wegen seines frühen Märtyrertods besonders hoch geprie- sen worden wäre, also die Sage keine Veranlassung hatte,
7) Diess beruht indessen ohne Zweifel wieder auf einem blossen Schlusse des Markus. Weil Jesus die unberufene Menge weg- trieb und die Mittheilung des Vorfalls verbot, so sah der Evangelist hier einen jener geheimen Vorgänge, zu welchen Jesus sonst nur jene Drei mitzunehmen pflegte.
8) Diesen Dreien, glaubte man in der ältesten Kirche, habe Je- sus die γνῶσις zu geheimer Überlieferung mitgetheilt. S. bei Gieseler, K. G. 1, S. 234.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0581"n="557"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Fünftes Kapitel</hi>. §. 70.</fw><lb/>
Indessen fragt es sich sehr, ob ein so durchgängiges Vor-<lb/>
anstellen nicht auch auf einen Vorzug des Jakobus deute,<lb/>
oder ob, wenn bei den Synoptikern Johannes ebenso wie<lb/>
im vierten Evangelium als der Lieblingsjünger vorgestellt<lb/>
wäre, er nicht, wenn gleich der jüngere, seinem Bruder<lb/>
Jakobus vorgesezt sein würde? Dieſs führt uns auf eine<lb/>
Differenz zwischen den drei ersten Evangelien und dem<lb/>
vierten, welche noch näher erwogen werden muſs.</p><lb/><p>Bei den Synoptikern bildet, wie gesagt, Petrus mit<lb/>
Jakobus und Johannes den engeren Ausschuſs aus den<lb/>
Zwölfen, welchen Jesus zu einigen Scenen beizieht, deren<lb/>
richtiger Auffassung die übrigen nicht gewachsen schienen,<lb/>
wie die Verklärung auf dem Berge, der Kampf in Gethse-<lb/>
mane, und nach Markus (5, 37.) die Auferweckung der<lb/>
Tochter des Jairus <noteplace="foot"n="7)">Diess beruht indessen ohne Zweifel wieder auf einem blossen<lb/>
Schlusse des Markus. Weil Jesus die unberufene Menge weg-<lb/>
trieb und die Mittheilung des Vorfalls verbot, so sah der<lb/>
Evangelist hier einen jener geheimen Vorgänge, zu welchen<lb/>
Jesus sonst nur jene Drei mitzunehmen pflegte.</note>. Auch nach Jesu Tod erscheinen<lb/>
ein Jakobus, Petrus und Johannes als ςύλοι der Gemeinde<lb/>
(Gal. 2, 9.); aber dieser Jakobus ist nicht der schon frühe<lb/>
(A. G. 12, 2.) hingerichtete Zebedaide, sondern der auch<lb/>
bei'm ersten Apostelconcil mit vorwiegender Auktorität auf-<lb/>
getretene Bruder des Herrn (Gal. 1, 19.), welchen Manche<lb/>
für den zweiten Jakobus der Apostelverzeichnisse halten <noteplace="foot"n="8)">Diesen Dreien, glaubte man in der ältesten Kirche, habe Je-<lb/>
sus die γνῶσις zu geheimer Überlieferung mitgetheilt. S. bei<lb/><hirendition="#k">Gieseler</hi>, K. G. 1, S. 234.</note>,<lb/>
und auch schon im Anfang der Apostelgeschichte tritt der<lb/>
Zebedaide hinter Petrus und Johannes zurück. Da sich auf<lb/>
diese Weise der ältere Jakobus in der ersten Gemeinde<lb/>
nicht auszeichnete, und auch nicht bekannt ist, daſs er<lb/>
wegen seines frühen Märtyrertods besonders hoch geprie-<lb/>
sen worden wäre, also die Sage keine Veranlassung hatte,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[557/0581]
Fünftes Kapitel. §. 70.
Indessen fragt es sich sehr, ob ein so durchgängiges Vor-
anstellen nicht auch auf einen Vorzug des Jakobus deute,
oder ob, wenn bei den Synoptikern Johannes ebenso wie
im vierten Evangelium als der Lieblingsjünger vorgestellt
wäre, er nicht, wenn gleich der jüngere, seinem Bruder
Jakobus vorgesezt sein würde? Dieſs führt uns auf eine
Differenz zwischen den drei ersten Evangelien und dem
vierten, welche noch näher erwogen werden muſs.
Bei den Synoptikern bildet, wie gesagt, Petrus mit
Jakobus und Johannes den engeren Ausschuſs aus den
Zwölfen, welchen Jesus zu einigen Scenen beizieht, deren
richtiger Auffassung die übrigen nicht gewachsen schienen,
wie die Verklärung auf dem Berge, der Kampf in Gethse-
mane, und nach Markus (5, 37.) die Auferweckung der
Tochter des Jairus 7). Auch nach Jesu Tod erscheinen
ein Jakobus, Petrus und Johannes als ςύλοι der Gemeinde
(Gal. 2, 9.); aber dieser Jakobus ist nicht der schon frühe
(A. G. 12, 2.) hingerichtete Zebedaide, sondern der auch
bei'm ersten Apostelconcil mit vorwiegender Auktorität auf-
getretene Bruder des Herrn (Gal. 1, 19.), welchen Manche
für den zweiten Jakobus der Apostelverzeichnisse halten 8),
und auch schon im Anfang der Apostelgeschichte tritt der
Zebedaide hinter Petrus und Johannes zurück. Da sich auf
diese Weise der ältere Jakobus in der ersten Gemeinde
nicht auszeichnete, und auch nicht bekannt ist, daſs er
wegen seines frühen Märtyrertods besonders hoch geprie-
sen worden wäre, also die Sage keine Veranlassung hatte,
7) Diess beruht indessen ohne Zweifel wieder auf einem blossen
Schlusse des Markus. Weil Jesus die unberufene Menge weg-
trieb und die Mittheilung des Vorfalls verbot, so sah der
Evangelist hier einen jener geheimen Vorgänge, zu welchen
Jesus sonst nur jene Drei mitzunehmen pflegte.
8) Diesen Dreien, glaubte man in der ältesten Kirche, habe Je-
sus die γνῶσις zu geheimer Überlieferung mitgetheilt. S. bei
Gieseler, K. G. 1, S. 234.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/581>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.