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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 68.
wie konnten die Pharisäer diesen noch während des Es-
sens solche Vorwürfe machen, ohne durch eiselthein para
amartolo sich ebenso zu verunreinigen, wie sie es Jesu
Luc. 19, 7.) vorwarfen? und draussen gewartet, bis das
Mahl zu Ende wäre, werden die Pharisäer doch auch nicht
haben. Dass aber die evangelische Erzählung nur einen
causalen, keinen Zeitzusammenhang zwischen dem Zöllner-
mahl und dem pharisäischen Tadel statuire, kann schwer-
lich auch nur von der Darstellung bei Lukas mit Schleier-
macher
12) behauptet werden. Kann nun diese unmittel-
bare Verknüpfung nicht historisch sein, so ist sie doch ganz
trefflich sagenhaft, und man wüsste kaum, wie das abstrak-
te Datum, dass an dem freundlichen Verkehr Jesu mit den
Zöllnern die Pharisäer Anstoss genommen, und diess bei
verschiedenen Gelegenheiten ausgesprochen haben, sich in
der Alles in's Concrete umbildenden Sage anders hätte dar-
stellen können, als so: Jesus speiste einmal in eines Zöll-
ners Hause mit vielen Zöllnern; das sahen die Pharisäer,
traten zu den Jüngern und machten ihnen Vorwürfe, wel-
che auch Jesus hörte und alsbald lakonisch genug beant-
wortete.

Ganz dasselbe Verhältniss behandelt auch eine andre
Erzählung, welche dem Lukas eigenthümlich ist (19, 1--10. .
Wie Jesus auf seiner lezten Festreise durch Jericho kommt,
war ein arkhitelones Zacchäus, um ihn in dem Volksge-
dränge bei seiner kleinen Statur doch sehen zu können,
auf einen Baum gestiegen, wo ihn Jesus bemerkte, und
ihn sogleich würdig fand, das Nachtquartier bei ihm zu neh-
men. Auch hier erregt diess Anschliessen an einen Zöllner
die Unzufriedenheit der strengerdenkenden Zuschauer, wor-
auf, nachdem noch Zacchäus wohlthätige Gelübde für die
Zukunft gethan, Jesus durch eine ähnliche Gnome wie oben
antwortet. Bei dieser Erzählung kann zwar die verführe-

12) Über den Lukas, S. 77.
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Fünftes Kapitel. §. 68.
wie konnten die Pharisäer diesen noch während des Es-
sens solche Vorwürfe machen, ohne durch εἰσελϑεῖν παρὰ
άμαρτωλῷ sich ebenso zu verunreinigen, wie sie es Jesu
Luc. 19, 7.) vorwarfen? und draussen gewartet, bis das
Mahl zu Ende wäre, werden die Pharisäer doch auch nicht
haben. Daſs aber die evangelische Erzählung nur einen
causalen, keinen Zeitzusammenhang zwischen dem Zöllner-
mahl und dem pharisäischen Tadel statuire, kann schwer-
lich auch nur von der Darstellung bei Lukas mit Schleier-
macher
12) behauptet werden. Kann nun diese unmittel-
bare Verknüpfung nicht historisch sein, so ist sie doch ganz
trefflich sagenhaft, und man wüſste kaum, wie das abstrak-
te Datum, daſs an dem freundlichen Verkehr Jesu mit den
Zöllnern die Pharisäer Anstoſs genommen, und dieſs bei
verschiedenen Gelegenheiten ausgesprochen haben, sich in
der Alles in's Concrete umbildenden Sage anders hätte dar-
stellen können, als so: Jesus speiste einmal in eines Zöll-
ners Hause mit vielen Zöllnern; das sahen die Pharisäer,
traten zu den Jüngern und machten ihnen Vorwürfe, wel-
che auch Jesus hörte und alsbald lakonisch genug beant-
wortete.

Ganz dasselbe Verhältniſs behandelt auch eine andre
Erzählung, welche dem Lukas eigenthümlich ist (19, 1—10. .
Wie Jesus auf seiner lezten Festreise durch Jericho kommt,
war ein αρχιτελώνης Zacchäus, um ihn in dem Volksge-
dränge bei seiner kleinen Statur doch sehen zu können,
auf einen Baum gestiegen, wo ihn Jesus bemerkte, und
ihn sogleich würdig fand, das Nachtquartier bei ihm zu neh-
men. Auch hier erregt dieſs Anschlieſsen an einen Zöllner
die Unzufriedenheit der strengerdenkenden Zuschauer, wor-
auf, nachdem noch Zacchäus wohlthätige Gelübde für die
Zukunft gethan, Jesus durch eine ähnliche Gnome wie oben
antwortet. Bei dieser Erzählung kann zwar die verführe-

12) Über den Lukas, S. 77.
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[547/0571] Fünftes Kapitel. §. 68. wie konnten die Pharisäer diesen noch während des Es- sens solche Vorwürfe machen, ohne durch εἰσελϑεῖν παρὰ άμαρτωλῷ sich ebenso zu verunreinigen, wie sie es Jesu Luc. 19, 7.) vorwarfen? und draussen gewartet, bis das Mahl zu Ende wäre, werden die Pharisäer doch auch nicht haben. Daſs aber die evangelische Erzählung nur einen causalen, keinen Zeitzusammenhang zwischen dem Zöllner- mahl und dem pharisäischen Tadel statuire, kann schwer- lich auch nur von der Darstellung bei Lukas mit Schleier- macher 12) behauptet werden. Kann nun diese unmittel- bare Verknüpfung nicht historisch sein, so ist sie doch ganz trefflich sagenhaft, und man wüſste kaum, wie das abstrak- te Datum, daſs an dem freundlichen Verkehr Jesu mit den Zöllnern die Pharisäer Anstoſs genommen, und dieſs bei verschiedenen Gelegenheiten ausgesprochen haben, sich in der Alles in's Concrete umbildenden Sage anders hätte dar- stellen können, als so: Jesus speiste einmal in eines Zöll- ners Hause mit vielen Zöllnern; das sahen die Pharisäer, traten zu den Jüngern und machten ihnen Vorwürfe, wel- che auch Jesus hörte und alsbald lakonisch genug beant- wortete. Ganz dasselbe Verhältniſs behandelt auch eine andre Erzählung, welche dem Lukas eigenthümlich ist (19, 1—10. . Wie Jesus auf seiner lezten Festreise durch Jericho kommt, war ein αρχιτελώνης Zacchäus, um ihn in dem Volksge- dränge bei seiner kleinen Statur doch sehen zu können, auf einen Baum gestiegen, wo ihn Jesus bemerkte, und ihn sogleich würdig fand, das Nachtquartier bei ihm zu neh- men. Auch hier erregt dieſs Anschlieſsen an einen Zöllner die Unzufriedenheit der strengerdenkenden Zuschauer, wor- auf, nachdem noch Zacchäus wohlthätige Gelübde für die Zukunft gethan, Jesus durch eine ähnliche Gnome wie oben antwortet. Bei dieser Erzählung kann zwar die verführe- 12) Über den Lukas, S. 77. 35*

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/571>, abgerufen am 18.05.2024.