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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
an den Apostel Petrus gewiesen. Weil es aber Gott nicht
verborgen war, müssen wir im Geist der Erzählung er-
gänzen, wie schwer der Apostel dazu zu bewegen sein
würde, einen Heiden ohne Weiteres in das Messiasreich
aufzunehmen, fand er es für nöthig, denselben in einem
symbolischen Gesichte zu einem solchen Schritte vorzube-
reiten. Auf diese Weisung geht Petrus zwar zu Corne-
lius; ihn aber mit seiner Familie zu taufen, dazu wird er
erst durch ein weiteres Zeichen bewogen, indem er näm-
lich das pneuma agion über sie kommen sieht. Wie ihn
nachher die Judenchristen in Jerusalem über die Aufnahme
von Heiden zur Rede stellen, beruft sich Petrus zu sei-
ner Rechtfertigung nur auf die gehabte Vision und das
bei der Familie des Hauptmanns bemerkte pneuma agion.
Man mag von dieser Geschichte denken, wie man will: in
jedem Fall ist sie ein Denkmal der vielen Überlegungen
und Kämpfe, welche es nach Jesu Abgang die Apostel
kostete, sich von der Aufnahmsfähigkeit der Heiden als
solcher in das Reich ihres Christus zu überzeugen, und
der Gründe, durch welche sie zur Aufnahme derselben
endlich bewogen worden sind. War ihnen nun aber
hiezu in dem sogenannten Taufbefehl eine so klare An-
weisung Jesu gegeben: wozu bedurfte es noch einer
Vision, um den Petrus zur Befolgung derselben zu er-
muntern? oder, wenn man die Vision als sagenhafte Ein-
kleidung natürlicher Überlegungen der Jünger fasst, was
brauchte es den Umweg der Reflexion, dass alle Menschen
getauft werden dürfen, weil vor Gott alle Menschen wie
alle Thiere als seine Geschöpfe rein seien, wenn man doch
auf einen ausdrücklichen Befehl Jesu sich berufen konn-
te? Es stellt sich somit die Alternative: hat Jesus selbst
schon jenen Befehl gegeben, so können die Jünger nicht
erst so, wie A. G. 10. 11. erzählt ist, auf die Zulässig-
keit der Heiden gekommen sein; ist aber diese Geschichte
richtig, so kann jener angebliche Befehl Jesu nicht histo-

Zweiter Abschnitt.
an den Apostel Petrus gewiesen. Weil es aber Gott nicht
verborgen war, müssen wir im Geist der Erzählung er-
gänzen, wie schwer der Apostel dazu zu bewegen sein
würde, einen Heiden ohne Weiteres in das Messiasreich
aufzunehmen, fand er es für nöthig, denselben in einem
symbolischen Gesichte zu einem solchen Schritte vorzube-
reiten. Auf diese Weisung geht Petrus zwar zu Corne-
lius; ihn aber mit seiner Familie zu taufen, dazu wird er
erst durch ein weiteres Zeichen bewogen, indem er näm-
lich das πνεῦμα ἅγιον über sie kommen sieht. Wie ihn
nachher die Judenchristen in Jerusalem über die Aufnahme
von Heiden zur Rede stellen, beruft sich Petrus zu sei-
ner Rechtfertigung nur auf die gehabte Vision und das
bei der Familie des Hauptmanns bemerkte πνεῦμα ἅγιον.
Man mag von dieser Geschichte denken, wie man will: in
jedem Fall ist sie ein Denkmal der vielen Überlegungen
und Kämpfe, welche es nach Jesu Abgang die Apostel
kostete, sich von der Aufnahmsfähigkeit der Heiden als
solcher in das Reich ihres Christus zu überzeugen, und
der Gründe, durch welche sie zur Aufnahme derselben
endlich bewogen worden sind. War ihnen nun aber
hiezu in dem sogenannten Taufbefehl eine so klare An-
weisung Jesu gegeben: wozu bedurfte es noch einer
Vision, um den Petrus zur Befolgung derselben zu er-
muntern? oder, wenn man die Vision als sagenhafte Ein-
kleidung natürlicher Überlegungen der Jünger faſst, was
brauchte es den Umweg der Reflexion, daſs alle Menschen
getauft werden dürfen, weil vor Gott alle Menschen wie
alle Thiere als seine Geschöpfe rein seien, wenn man doch
auf einen ausdrücklichen Befehl Jesu sich berufen konn-
te? Es stellt sich somit die Alternative: hat Jesus selbst
schon jenen Befehl gegeben, so können die Jünger nicht
erst so, wie A. G. 10. 11. erzählt ist, auf die Zulässig-
keit der Heiden gekommen sein; ist aber diese Geschichte
richtig, so kann jener angebliche Befehl Jesu nicht histo-

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[506/0530] Zweiter Abschnitt. an den Apostel Petrus gewiesen. Weil es aber Gott nicht verborgen war, müssen wir im Geist der Erzählung er- gänzen, wie schwer der Apostel dazu zu bewegen sein würde, einen Heiden ohne Weiteres in das Messiasreich aufzunehmen, fand er es für nöthig, denselben in einem symbolischen Gesichte zu einem solchen Schritte vorzube- reiten. Auf diese Weisung geht Petrus zwar zu Corne- lius; ihn aber mit seiner Familie zu taufen, dazu wird er erst durch ein weiteres Zeichen bewogen, indem er näm- lich das πνεῦμα ἅγιον über sie kommen sieht. Wie ihn nachher die Judenchristen in Jerusalem über die Aufnahme von Heiden zur Rede stellen, beruft sich Petrus zu sei- ner Rechtfertigung nur auf die gehabte Vision und das bei der Familie des Hauptmanns bemerkte πνεῦμα ἅγιον. Man mag von dieser Geschichte denken, wie man will: in jedem Fall ist sie ein Denkmal der vielen Überlegungen und Kämpfe, welche es nach Jesu Abgang die Apostel kostete, sich von der Aufnahmsfähigkeit der Heiden als solcher in das Reich ihres Christus zu überzeugen, und der Gründe, durch welche sie zur Aufnahme derselben endlich bewogen worden sind. War ihnen nun aber hiezu in dem sogenannten Taufbefehl eine so klare An- weisung Jesu gegeben: wozu bedurfte es noch einer Vision, um den Petrus zur Befolgung derselben zu er- muntern? oder, wenn man die Vision als sagenhafte Ein- kleidung natürlicher Überlegungen der Jünger faſst, was brauchte es den Umweg der Reflexion, daſs alle Menschen getauft werden dürfen, weil vor Gott alle Menschen wie alle Thiere als seine Geschöpfe rein seien, wenn man doch auf einen ausdrücklichen Befehl Jesu sich berufen konn- te? Es stellt sich somit die Alternative: hat Jesus selbst schon jenen Befehl gegeben, so können die Jünger nicht erst so, wie A. G. 10. 11. erzählt ist, auf die Zulässig- keit der Heiden gekommen sein; ist aber diese Geschichte richtig, so kann jener angebliche Befehl Jesu nicht histo-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/530>, abgerufen am 21.06.2024.