buchstäblichen Sinn jener Urkunden des Volksglaubens zu sehr zu verstossen, kommt nach Kant's tiefergehender Be- merkung daher, weil lange vor diesem lezteren die Anlage zur moralischen Religion in der menschlichen Vernunft ver- borgen lag, wovon zwar die ersten rohen Äusserungen blos auf gottesdienstlichen Gebrauch ausgegangen seien, und zu diesem Behuf selbst jene angeblichen Offenbarun- gen veranlasst, hiedurch aber auch etwas von dem übersinn- lichen Charakter ihres Ursprungs selbst in jene Dichtun- gen, obwohl unvorsäzlich, gelegt haben. Auch gegen den Vorwurf der Unredlichkeit glaubt Kant diese Auslegungs- weise durch die Bemerkung schützen zu können, dass sie ja keineswegs behaupte, der Sinn, welchen sie den heili- gen Büchern jezt gebe, sei von ihren Verfassern auch durch- aus so beabsichtigt worden, sondern dieses lasse sie dahin- gestellt, und spreche für sich nur die Möglichkeit an, die- selben auch auf ihre Art zu deuten.
Wenn Kant auf diese Weise aus den biblischen Schriften auch ihrem geschichtlichen Theile nach morali- sche Gedanken herauszudeuten suchte, ja diese Gedanken selbst als die objektive Grundlage jener Geschichten anzu- erkennen geneigt war: so nahm er doch einestheils diese Ge- danken nur aus sich und der Bildung seiner Zeit, wesswe- gen er nur in seltenen Fällen annehmen konnte, sie haben wirklich schon bei den Verfassern jener Schriften zum Grunde gelegen; anderntheils unterliess er eben desswegen nachzuweisen, wie sich jene Gedanken zu diesen symboli- schen Darstellungen verhalten, wie es komme, dass jene in diesen sich ausgeprägt haben.
§. 8. Entstehung der mythischen Auffassungsweise der heiligen Geschichte, zunächst in Bezug auf das A. T.
Bei einem so unhistorischen Verfahren auf der einen Seite, und einem so unphilosophischen auf der andern
Einleitung. §. 8.
buchstäblichen Sinn jener Urkunden des Volksglaubens zu sehr zu verstoſsen, kommt nach Kant's tiefergehender Be- merkung daher, weil lange vor diesem lezteren die Anlage zur moralischen Religion in der menschlichen Vernunft ver- borgen lag, wovon zwar die ersten rohen Äusserungen blos auf gottesdienstlichen Gebrauch ausgegangen seien, und zu diesem Behuf selbst jene angeblichen Offenbarun- gen veranlaſst, hiedurch aber auch etwas von dem übersinn- lichen Charakter ihres Ursprungs selbst in jene Dichtun- gen, obwohl unvorsäzlich, gelegt haben. Auch gegen den Vorwurf der Unredlichkeit glaubt Kant diese Auslegungs- weise durch die Bemerkung schützen zu können, daſs sie ja keineswegs behaupte, der Sinn, welchen sie den heili- gen Büchern jezt gebe, sei von ihren Verfassern auch durch- aus so beabsichtigt worden, sondern dieses lasse sie dahin- gestellt, und spreche für sich nur die Möglichkeit an, die- selben auch auf ihre Art zu deuten.
Wenn Kant auf diese Weise aus den biblischen Schriften auch ihrem geschichtlichen Theile nach morali- sche Gedanken herauszudeuten suchte, ja diese Gedanken selbst als die objektive Grundlage jener Geschichten anzu- erkennen geneigt war: so nahm er doch einestheils diese Ge- danken nur aus sich und der Bildung seiner Zeit, weſswe- gen er nur in seltenen Fällen annehmen konnte, sie haben wirklich schon bei den Verfassern jener Schriften zum Grunde gelegen; anderntheils unterlieſs er eben deſswegen nachzuweisen, wie sich jene Gedanken zu diesen symboli- schen Darstellungen verhalten, wie es komme, daſs jene in diesen sich ausgeprägt haben.
§. 8. Entstehung der mythischen Auffassungsweise der heiligen Geschichte, zunächst in Bezug auf das A. T.
Bei einem so unhistorischen Verfahren auf der einen Seite, und einem so unphilosophischen auf der andern
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Einleitung. §. 8.
buchstäblichen Sinn jener Urkunden des Volksglaubens zu
sehr zu verstoſsen, kommt nach Kant's tiefergehender Be-
merkung daher, weil lange vor diesem lezteren die Anlage
zur moralischen Religion in der menschlichen Vernunft ver-
borgen lag, wovon zwar die ersten rohen Äusserungen
blos auf gottesdienstlichen Gebrauch ausgegangen seien,
und zu diesem Behuf selbst jene angeblichen Offenbarun-
gen veranlaſst, hiedurch aber auch etwas von dem übersinn-
lichen Charakter ihres Ursprungs selbst in jene Dichtun-
gen, obwohl unvorsäzlich, gelegt haben. Auch gegen den
Vorwurf der Unredlichkeit glaubt Kant diese Auslegungs-
weise durch die Bemerkung schützen zu können, daſs sie
ja keineswegs behaupte, der Sinn, welchen sie den heili-
gen Büchern jezt gebe, sei von ihren Verfassern auch durch-
aus so beabsichtigt worden, sondern dieses lasse sie dahin-
gestellt, und spreche für sich nur die Möglichkeit an, die-
selben auch auf ihre Art zu deuten.
Wenn Kant auf diese Weise aus den biblischen
Schriften auch ihrem geschichtlichen Theile nach morali-
sche Gedanken herauszudeuten suchte, ja diese Gedanken
selbst als die objektive Grundlage jener Geschichten anzu-
erkennen geneigt war: so nahm er doch einestheils diese Ge-
danken nur aus sich und der Bildung seiner Zeit, weſswe-
gen er nur in seltenen Fällen annehmen konnte, sie haben
wirklich schon bei den Verfassern jener Schriften zum
Grunde gelegen; anderntheils unterlieſs er eben deſswegen
nachzuweisen, wie sich jene Gedanken zu diesen symboli-
schen Darstellungen verhalten, wie es komme, daſs jene
in diesen sich ausgeprägt haben.
§. 8.
Entstehung der mythischen Auffassungsweise der heiligen Geschichte,
zunächst in Bezug auf das A. T.
Bei einem so unhistorischen Verfahren auf der einen
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/51>, abgerufen am 22.11.2024.
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