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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Drittes Kapitel. §. 54.
ihn an den Abhang des Bergs hinausgeführt, um ihn hin-
abzustürzen: er aber sei unverlezt durch ihre Reihen hin-
durchgegangen 4, 16--30.).

Von einem Besuch Jesu in Nazaret wissen auch die
beiden anderen Synoptiker, aber sie versetzen ihn in eine
viel spätere Zeit, als Jesus schon längst in Galiläa gewirkt,
und namentlich schon lange sich in Kapernaum ansässig
gemacht hatte (Matth. 13, 54 ff. Marc. 6, 1 ff.). Beide Vor-
gänge pflegte man sonst 1) in das Verhältniss zu stellen,
dass Jesus, unerachtet er das erste Mal so übel aufgenom-
men worden war, wie Lukas erzählt, doch später noch
einmal habe einen Versuch machen wollen, ob nicht seine
längere Abwesenheit und seither erworbener Ruhm das
kleinstädtische Urtheil der Nazaretaner gebessert habe, was
aber nicht der Fall gewesen sei. Allein die beiden Scenen
sehen sich doch gar zu ähnlich, um sich leicht auseinan-
derhalten zu lassen. Beidemale macht das Lehren Jesu in
der Synagoge, welches Lukas nur näher beschreibt, den-
selben Eindruck, dass die Nazaretaner eine solche Weis-
heit an dem Sohne des Zimmermanns Joseph nicht begrei-
fen können; beidemale lässt es Jesus an Wundern fehlen,
wovon bei den zwei ersten Evangelisten mehr die Ursache,
nämlich der Unglaube der Nazaretaner, bei dem dritten
mehr die ungünstige Wirkung auf dieselben hervorgehoben
wird; beidemale endlich spricht Jesus die Erfahrung aus
von dem in der eigenen Heimath am wenigsten angesehe-
nen Propheten, woran er bei Lukas noch weitere Reden
knüpft, welche die Nazaretaner zum Versuch eines Gewalt-
streichs reizen, wovon die beiden andern Referenten nichts
wissen. Entscheidender aber ist das Andere, dass keine
von beiden Erzählungen die andre vor sich dulden will,
sondern jede den Anspruch macht, den ersten Vorfall die-

1) So noch Paulus, exeg. Handb. 1, b. S. 403.

Drittes Kapitel. §. 54.
ihn an den Abhang des Bergs hinausgeführt, um ihn hin-
abzustürzen: er aber sei unverlezt durch ihre Reihen hin-
durchgegangen 4, 16—30.).

Von einem Besuch Jesu in Nazaret wissen auch die
beiden anderen Synoptiker, aber sie versetzen ihn in eine
viel spätere Zeit, als Jesus schon längst in Galiläa gewirkt,
und namentlich schon lange sich in Kapernaum ansässig
gemacht hatte (Matth. 13, 54 ff. Marc. 6, 1 ff.). Beide Vor-
gänge pflegte man sonst 1) in das Verhältniſs zu stellen,
daſs Jesus, unerachtet er das erste Mal so übel aufgenom-
men worden war, wie Lukas erzählt, doch später noch
einmal habe einen Versuch machen wollen, ob nicht seine
längere Abwesenheit und seither erworbener Ruhm das
kleinstädtische Urtheil der Nazaretaner gebessert habe, was
aber nicht der Fall gewesen sei. Allein die beiden Scenen
sehen sich doch gar zu ähnlich, um sich leicht auseinan-
derhalten zu lassen. Beidemale macht das Lehren Jesu in
der Synagoge, welches Lukas nur näher beschreibt, den-
selben Eindruck, daſs die Nazaretaner eine solche Weis-
heit an dem Sohne des Zimmermanns Joseph nicht begrei-
fen können; beidemale läſst es Jesus an Wundern fehlen,
wovon bei den zwei ersten Evangelisten mehr die Ursache,
nämlich der Unglaube der Nazaretaner, bei dem dritten
mehr die ungünstige Wirkung auf dieselben hervorgehoben
wird; beidemale endlich spricht Jesus die Erfahrung aus
von dem in der eigenen Heimath am wenigsten angesehe-
nen Propheten, woran er bei Lukas noch weitere Reden
knüpft, welche die Nazaretaner zum Versuch eines Gewalt-
streichs reizen, wovon die beiden andern Referenten nichts
wissen. Entscheidender aber ist das Andere, daſs keine
von beiden Erzählungen die andre vor sich dulden will,
sondern jede den Anspruch macht, den ersten Vorfall die-

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[447/0471] Drittes Kapitel. §. 54. ihn an den Abhang des Bergs hinausgeführt, um ihn hin- abzustürzen: er aber sei unverlezt durch ihre Reihen hin- durchgegangen 4, 16—30.). Von einem Besuch Jesu in Nazaret wissen auch die beiden anderen Synoptiker, aber sie versetzen ihn in eine viel spätere Zeit, als Jesus schon längst in Galiläa gewirkt, und namentlich schon lange sich in Kapernaum ansässig gemacht hatte (Matth. 13, 54 ff. Marc. 6, 1 ff.). Beide Vor- gänge pflegte man sonst 1) in das Verhältniſs zu stellen, daſs Jesus, unerachtet er das erste Mal so übel aufgenom- men worden war, wie Lukas erzählt, doch später noch einmal habe einen Versuch machen wollen, ob nicht seine längere Abwesenheit und seither erworbener Ruhm das kleinstädtische Urtheil der Nazaretaner gebessert habe, was aber nicht der Fall gewesen sei. Allein die beiden Scenen sehen sich doch gar zu ähnlich, um sich leicht auseinan- derhalten zu lassen. Beidemale macht das Lehren Jesu in der Synagoge, welches Lukas nur näher beschreibt, den- selben Eindruck, daſs die Nazaretaner eine solche Weis- heit an dem Sohne des Zimmermanns Joseph nicht begrei- fen können; beidemale läſst es Jesus an Wundern fehlen, wovon bei den zwei ersten Evangelisten mehr die Ursache, nämlich der Unglaube der Nazaretaner, bei dem dritten mehr die ungünstige Wirkung auf dieselben hervorgehoben wird; beidemale endlich spricht Jesus die Erfahrung aus von dem in der eigenen Heimath am wenigsten angesehe- nen Propheten, woran er bei Lukas noch weitere Reden knüpft, welche die Nazaretaner zum Versuch eines Gewalt- streichs reizen, wovon die beiden andern Referenten nichts wissen. Entscheidender aber ist das Andere, daſs keine von beiden Erzählungen die andre vor sich dulden will, sondern jede den Anspruch macht, den ersten Vorfall die- 1) So noch Paulus, exeg. Handb. 1, b. S. 403.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/471>, abgerufen am 22.11.2024.