zu dem ezetoun auton oi Ioudaioi apokteinai (5, 18.) in Bezug gesezt werden, als gleich darauf für Jesu Wandel in Ga- liläa der Grund angegeben wird, dass ihm der Aufenthalt in Judäa wegen der Nachstellungen seiner Feinde lebensge- fährlich gewesen (7, 1.). Zwischen dem folgenden Laub- hütten- und dem Enkänienfest (10, 22.) scheint es, wie wenn Jesus, weil diessmal keine ungünstigen Umstände ihn zur Entfernung nöthigten, die dazwischenliegenden Monate in der Hauptstadt geblieben wäre 9); ohnehin stellen sich die Züge nach Peräa (10, 40.) und Ephraim (11, 54.) als sol- che dar, zu welchen Jesum nur die Rücksicht auf die Ver- folgungen seiner Feinde genöthigt habe.
Ganz dasselbe Verhältniss also, welches in Bezug auf den ursprünglichen Wohnort der Eltern Jesu zwischen Matthäus und Lukas stattfand, haben wir hier in Betreff des eigentlichen Schauplatzes der Wirksamkeit Jesu zwi- schen den drei ersten Evangelisten und dem vierten. Wie nämlich dort Matthäus Bethlehem als den ursprünglichen Wohnsiz voraussetzte, Nazaret aber nur als den durch zufällige Umstände herbeigeführten, Lukas umgekehrt: so ruht hier die ganze Darstellung der Synoptiker auf der Ansicht, dass Galiläa das eigenthümliche Gebiet der Thätig- keit Jesu vor seiner lezten Reise gewesen sei, welches er nur aus besondern Ursachen bisweilen auf kurze Zeit ver- lassen habe, -- die des Johannes aber umgekehrt auf der Voraussetzung, eigentlich hätte Jesus immer in Judäa und Jerusalem wirken mögen, wenn ihm nicht die Vorsicht bisweilen gerathen hätte, sich in die entlegeneren Provin- zen zurückzuziehen 10).
Kann von diesen entgegengesezten Voraussetzungen nur Eine die richtige sein: so hat man in der Wahl zwischen beiden neuestens immer nur zu Gunsten des vierten Evan-
9) So Tholuck, Comm. zum Evang. Joh., S. 194.
10) Vgl. Lücke, a. a. O. S. 546.
Zweiter Abschnitt.
zu dem ἐζήτουν αὐτὸν οἱ Ἰουδαῖοι ἀποκτεῖναι (5, 18.) in Bezug gesezt werden, als gleich darauf für Jesu Wandel in Ga- liläa der Grund angegeben wird, daſs ihm der Aufenthalt in Judäa wegen der Nachstellungen seiner Feinde lebensge- fährlich gewesen (7, 1.). Zwischen dem folgenden Laub- hütten- und dem Enkänienfest (10, 22.) scheint es, wie wenn Jesus, weil dieſsmal keine ungünstigen Umstände ihn zur Entfernung nöthigten, die dazwischenliegenden Monate in der Hauptstadt geblieben wäre 9); ohnehin stellen sich die Züge nach Peräa (10, 40.) und Ephraim (11, 54.) als sol- che dar, zu welchen Jesum nur die Rücksicht auf die Ver- folgungen seiner Feinde genöthigt habe.
Ganz dasselbe Verhältniſs also, welches in Bezug auf den ursprünglichen Wohnort der Eltern Jesu zwischen Matthäus und Lukas stattfand, haben wir hier in Betreff des eigentlichen Schauplatzes der Wirksamkeit Jesu zwi- schen den drei ersten Evangelisten und dem vierten. Wie nämlich dort Matthäus Bethlehem als den ursprünglichen Wohnsiz voraussetzte, Nazaret aber nur als den durch zufällige Umstände herbeigeführten, Lukas umgekehrt: so ruht hier die ganze Darstellung der Synoptiker auf der Ansicht, daſs Galiläa das eigenthümliche Gebiet der Thätig- keit Jesu vor seiner lezten Reise gewesen sei, welches er nur aus besondern Ursachen bisweilen auf kurze Zeit ver- lassen habe, — die des Johannes aber umgekehrt auf der Voraussetzung, eigentlich hätte Jesus immer in Judäa und Jerusalem wirken mögen, wenn ihm nicht die Vorsicht bisweilen gerathen hätte, sich in die entlegeneren Provin- zen zurückzuziehen 10).
Kann von diesen entgegengesezten Voraussetzungen nur Eine die richtige sein: so hat man in der Wahl zwischen beiden neuestens immer nur zu Gunsten des vierten Evan-
9) So Tholuck, Comm. zum Evang. Joh., S. 194.
10) Vgl. Lücke, a. a. O. S. 546.
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Zweiter Abschnitt.
zu dem ἐζήτουν αὐτὸν οἱ Ἰουδαῖοι ἀποκτεῖναι (5, 18.) in Bezug
gesezt werden, als gleich darauf für Jesu Wandel in Ga-
liläa der Grund angegeben wird, daſs ihm der Aufenthalt
in Judäa wegen der Nachstellungen seiner Feinde lebensge-
fährlich gewesen (7, 1.). Zwischen dem folgenden Laub-
hütten- und dem Enkänienfest (10, 22.) scheint es, wie
wenn Jesus, weil dieſsmal keine ungünstigen Umstände ihn
zur Entfernung nöthigten, die dazwischenliegenden Monate
in der Hauptstadt geblieben wäre 9); ohnehin stellen sich die
Züge nach Peräa (10, 40.) und Ephraim (11, 54.) als sol-
che dar, zu welchen Jesum nur die Rücksicht auf die Ver-
folgungen seiner Feinde genöthigt habe.
Ganz dasselbe Verhältniſs also, welches in Bezug auf
den ursprünglichen Wohnort der Eltern Jesu zwischen
Matthäus und Lukas stattfand, haben wir hier in Betreff
des eigentlichen Schauplatzes der Wirksamkeit Jesu zwi-
schen den drei ersten Evangelisten und dem vierten. Wie
nämlich dort Matthäus Bethlehem als den ursprünglichen
Wohnsiz voraussetzte, Nazaret aber nur als den durch
zufällige Umstände herbeigeführten, Lukas umgekehrt: so
ruht hier die ganze Darstellung der Synoptiker auf der
Ansicht, daſs Galiläa das eigenthümliche Gebiet der Thätig-
keit Jesu vor seiner lezten Reise gewesen sei, welches er
nur aus besondern Ursachen bisweilen auf kurze Zeit ver-
lassen habe, — die des Johannes aber umgekehrt auf der
Voraussetzung, eigentlich hätte Jesus immer in Judäa und
Jerusalem wirken mögen, wenn ihm nicht die Vorsicht
bisweilen gerathen hätte, sich in die entlegeneren Provin-
zen zurückzuziehen 10).
Kann von diesen entgegengesezten Voraussetzungen nur
Eine die richtige sein: so hat man in der Wahl zwischen
beiden neuestens immer nur zu Gunsten des vierten Evan-
9) So Tholuck, Comm. zum Evang. Joh., S. 194.
10) Vgl. Lücke, a. a. O. S. 546.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/462>, abgerufen am 22.11.2024.
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